Geboren in der fliegenden Stadt, ist Kellvian lange mit einem Leben konfrontiert, das sich manch einer Wünschen würde. Doch als er sich eines Tages entscheidet, sein behütetes Leben als Sohn des Kaisers hinter sich zu lassen , beginnt für ihn eine Reise, von deren Ausgang plötzlich das Schicksal des ganzen Kaiserreichs abhängen könnte. Nichts ahnend, das bereits eine Macht in den Schatten lauert, die nur auf ihre Gelegenheit gewartet hatte, bricht Kellvian auf in eine Welt, die am Rand eines Bürgerkriegs
steht.
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Riach betrat das Gasthaus ohne sich wirklich umzusehen. Die Leute hier schienen freundlich, trotzdem nahm der Gejarn die Hand kein einziges Mal vom Messer. Ein grüner Umhang, der von einer Silberspange an der Schulter gehalten wurde, fiel ihm über die Schultern und er stieß mit dem Kopf fast gegen den Türrahmen, als er eintrat. Rotes Fuchsfell schimmerte im Licht einiger Kerzen. Riach war groß für seine Art, das wusste er, aber das führte wenigsten dazu, dass die meisten ihn in Ruhe
ließen. Die Reise war für ihn bisher ohne Probleme verlaufen, aber bis zur fliegenden Stadt war es noch weit. Und wenn er nicht rechtzeitig dort ankam… Er hatte zu lange gebraucht, die Ältesten der Clans zu überzeugen, auf Verhandlungen zu setzen. Der Kaiser hatte wieder und wieder Angeboten, Boten zu empfangen und was hatten diese Narren getan? Nichts. Aber nach der Zerstörung von Lore waren sie nachdenklich geworden. Hatte es den erst soweit kommen müssen, fluchte der Botschafter innerlich. Nur, das die Clans nicht sicher wussten, wer ihre Dörfer überfallen hatte, hatte einen
sofortigen Krieg verhindert. Und ihm die Gelegenheit gegeben zu sprechen. Er, der sich vorwerfen lassen musste, das große Ganze nicht zu sehen… Riach glaubte, manchmal der einzige zu sein, der es tat. Nun endlich hatte er die Gelegenheit, das auch unter Beweis zu stellen. In der fliegenden Stadt… dem Kaiser gegenüber ihre Rechte einfordern. Er wusste jetzt schon, dass er zumindest einige Clans enttäuschen musste. Was manche von ihnen forderten, darauf konnte Konstantin nicht eingehen. Aber vermutlich setzten sie genau darauf. Und das man ihn alleine auf den Weg schickte sprach auch nicht grade dafür, dass man ihm Erfolg wünschte. Die Ältesten
warteten vermutlich nur auf Nachricht über seinen Tot. Den gefallen würde er ihnen nicht tun. ,,Ach, noch einer.“ Ein bärtiger Mann mittleren Alters kam um den Tresen herumgelaufen. Offenbar der Wirt des Hauses, dachte Riach, während der Fremde mit einem einladenden Grinsen auf ihn zukam. ,,Nun, was führt euch hierher ? In letzter Zeit scheinen doch mehr eurer Art hier durchzukommen, als wir es gewohnt sind.“ Riach sah auf. ,,Wie meint ihr das ?“ ,,Erst vor einer Woche sind hier zwei Gejarn zusammen mit einem Menschen durchgekommen.“ , erwiderte jemand. Ein dunkelhaariger Mann, der einen
geflochtenen Strohhut trug. Draußen hatte es mittlerweile zu regnen begonnen und es wurde dunkel. Die Straßen des kleinen Dorfs, in das er sich vor dem nahenden Unwetter geflüchtet hatte, waren so gut wie verlassen. Und durch die Blätter des großen Baums in der Mitte des Orts wehte der Wind. Fast wie das heulen von Geistern. Riach zuckte mit den Schultern. ,,Ich suche nur einen Platz für die Nacht.“ , sagte er und warf ein paar Silbermünzen auf den Tisch. Die Geldstücke fingen einen Moment das Licht ein, bis der Wirt eines davon aufhob und flüchtig betrachtete. Die Oberfläche war vollkommen Bllank, ohne jegliche Prägung.
,,Erst Kaisergold, jetzt siegellose Münzen. Ihr kommt aus den Clanlanden , wie ?“ ,,Nur, wenn das ein Problem sein sollte.“ Alron winkte ab. ,,Wir haben hier weder Ärger mit den Gejarn noch dem Kaiser.“ ,,Das ganze Obergeschoss steht leer.“ , fügte der Wirt hinzu, während er die Silberstücke zählte und Riach dann fünf Münzen zurückgab. Auch die Reise ließen die abtrünnigen Clans ihn aus eigener Tasche bezahlen. Er sollte nicht gehen. Die Ältesten brachten es fertig und brachten ihn bei seiner Rückkehr um, wenn er tatsächlich eine Einigung mit dem Kaiser erreichte. Manche von ihnen schienen vergessen zu haben, dass
der Kaiser sie jederzeit schon hätte auslöschen können, hätte er das gewollt. Das war schlichte, kalte Mathematik. Kam es zu einem offenen Konflikt, wären sie zahlenmäßig weit unterlegen. Nein, es musste eine friedliche Lösung geben. Er musste sie nur finden und hatte jetzt die Gelegenheit dazu. Riach ließ die Münzen wider in der Tasche verschwinden, bevor er sich auf den Weg durch die leere Schenke in Richtung einer Treppe zum zweiten Geschoss des Gebäudes machte. ,,Ach , bevor ich es vergesse.“, hielt ihn der Wirt noch einmal an. ,,Das hier hat mir eine Gejarn gegeben, die meinte ich sollte es dem nächsten geben, der mir
begegnet.“ Der bärtige Mann hielt ihm einen Papierumschlag hin. Riach nahm das Stück Papier an sich. Auf dem Umschlag selbst stand nichts. Es gab auch kein Siegel oder irgendetwas, das ihm einen Hinweis darauf gab, wer das hier hinterlegt hatte. Vorsichtig öffnete er das Kuvert und förderte ein dicht beschriebenes Blatt Papier ans Tageslicht. Die verschlungenen Zeichen seiner eigenen Sprache schimmerten ihm entgegen. Riach begann zu lesen. ,,Mein Name ist Jiy aus Lore. Ich bin die letzte Überlebende meines Heimatortes und lege mit diesen Worten Zeugnis ab gegen das Kaiserreich von
Canton…“ Während er die Zeilen weiter verfolgte begannen seine Hände zu zittern. Was für Spiele trieben die Schicksalsweber mit ihm, das ausgerechnet ihm das in die Hände fallen musste. Ein detaillierter Augenzeugenbericht über die Vorkommnisse in Lore. Nicht auszudenken, wenn das die Ältesten erreicht hätte. Das war praktisch eine Kriegserklärung. Ein… Es konnte sie immer noch erreichen. Erst bei den letzten Zeilen des Briefes schien sich der Ton zu ändern. ,,Auch wenn mein Hass auf diejenigen, die uns ohne Grund überfielen und jagten ungebrochen bleibt und bleiben wird, ich
bin einem Menschen begegnet, der mich davon überzeugt hat, das nicht alle gegen uns stehen. Dieser ganze Ort in dem ihr diesen Brief erhalten habt spricht dafür. Da ihr das erhalten habt, müsstet ihr das wissen. Ich habe die Verantwortung aus der Hand gegeben und überlasse es dem Zufall, wie ihr verfahrt. Vielleicht, weil ich einer dummen Idee nachlaufe. Doch eine Bitte habe ich wer auch immer diese Zeilen liest: Verurteilt nicht alle, aufgrund der Taten weniger. Ich habe diesen Fehler beinahe gemacht und bin froh, dass mein Herz mich davon abhielt.“ Riach faltete das Blatt wieder zusammen.
Stattdessen wanderte seine Hand wieder zum Dolch. Offenbar bemerkte der Mann mit dem Strohhut in der Ecke die Geste und legte die Hand demonstrativ auf eine Glasflache auf dem Tresen. Als ob er ihn damit einschüchtern konnte… Götter, er durfte kein Risiko eingehen. Wenn der Wirt wusste, was in diesem Brief stand… ,,Sagt es mir. Habt ihr das hier gelesen?“ Er hielt den Brief hoch, während er auf den Wirt zutrat. ,,Ich…“ Der Mann schien plötzlich unsicher und sah hilfesuchend zu seinem Gefährten, der einen Schritt auf Riach zumachte. ,,Antwortet mir.“ Er ließ das Messer los
und packte den Mann bei den Schultern. ,,Euer und noch sehr viel mehr Leben hängen davon ab, das ihr mir die Wahrheit sagt.“ ,,Okay, ich geb es zu, ich hab versucht das Ganze zu lesen. Hey, wer würde das nicht, aber… ich kann die Buchstaben nicht mal entziffern.“ Angst vermischt mit Unverständnis spiegelte sich in den Augen des Wirts. Er log nicht, dachte Riach. Aber konnte er das Risiko eingehen, sich hier von einem bloßen Gefühl leiten zu lassen… Kurz schätzte er seine Chancen ab. Er könnte es sicher sowohl mit dem Wirt als auch mit dem anderen Mann aufnehmen Aber… Er war hier um für Frieden zu Sorgen. Langsam
ließ er den Wirt los und trat ein paar Schritte zurück. ,,Entschuldigt. Ihr habt gut daran getan mir das zu geben.“ Vara lag eingekeilt zwischen einem See und dutzenden von Hügeln, welche die ganze Stadt umgaben. Wie ein Juwel in seiner Fassung schimmerten die grünen Kupferdächer der Universitätsgebäude im Morgenlicht. Kellvian konnte die silbernen Kuppeln des Planetariums der Stadt erkennen. Es war Jahre her, das er hier gewesen war, aber die Hallen und endlosen Bibliotheken der Gelehrten
hatten damals schon ihre Anziehung auf ihn ausgeübt. Auch wenn er kaum Gelegenheit gehabt hatte, sich alleine umzusehen. Immer hatte jemand in seiner Nähe sein müssen, der ein Auge auf ihn hatte. Eigentlich, überlegte er, hatte sich seit damals nicht viel verändert. Und selbst jetzt noch… egal, ob er hier etwas fand, er würde es nicht bereuen hierhergekommen zu sein, das wusste Kell jetzt schon. Die Stadtmauern aus honigfarbenem Stein bildeten ein annäherndes Oval, in dem sich scheinbar tausende von Häusern erhoben. Sie standen auf einem der zahlreichen Hügel vor Vara. Irgendjemand hatte
gewaltige, mit Runen übersäte Monolithen auf jedem einzelnen der kleinen Berge aufgestellt. Aber was diese Runensteine zu bedeuten hatten, das hatten bisher nicht einmal die Gelehrten der Universität sicher feststellen können. Zyle hatte es sich unter einer der Granitsäulen bequem gemacht und schlief scheinbar. Die Nacht über waren sie einfach durchgelaufen. Niemand war gestern noch nach Schlafen zu Mute gewesen. Kell entging jedoch nicht, das der Man ein Auge leicht geöffnet hatte und die Hand am Schwertgriff ruhte. Nach dem Angriff durch die Unbekannten Räuber an der Erdwacht . Bisher hatte er nichts zu dem Steckbrief
gesagt, den die Fremden dabeigehabt hatten, sondern offenbar entschieden es für sich zu behalten. Und dafür war Kell ihm auch dankbar. Er hätte keine Möglichkeit, sich da rauszureden. Ihm war ja nicht einmal selber klar, wer hinter ihm her sein könnte. ,,Dieser Ort ist… riesig.“ , meinte Jiy. ,,Eigentlich ist es nur eine mittelgroße Stadt.“ , bemerkte Kellvian lächelnd. Die Gejarn sah ihn ungläubig an, so als vermute sie, er erlaube sich einen Scherz. ,,Vor allem die großen Häfen an der Küste sind noch viel größer und die fliegende Stadt… Sagen wir einfach, dagegen würde selbst ein Ort wie Lasante winzig
wirken.“ Eine Straße führte über Serpentinen den Hang hinab in Richtung der Stadttore, wo sich ein stetiger Strom Reisender einfand. Schwer beladene Karren mit Lebensmitteln schleppten sich neben den Kutschen der Adeligen und einigen Bürgern entlang, die zu Fuß gingen. Alles unter den Wachsamen Augen einiger durch Kürasse geschützter Wachen. Lange Stoffbahnen mit dem Banner des Fürsten von Vara wehten sanft im Wind. Ein weißer Stern auf blauem Grund. Die Farbe des Kaiser und das persönliche Emblem von Markus Cynric. Der Patrizier und Herr der Stadt war Kellvian erst ein paar Mal begegnet. Zeit, sich die
Stadt etwas näher anzusehen. Kellvian schulterte den Rucksack. ,,Desto früher wir da sind, desto schneller kannst du dir ein eigenes Bild machen. Das heißt, wenn wir Zyle wach bekommen.“ ,, Hey, Schlafmütze, wir wollen los.“ , rief Jiy. Zyle schlug die Augen auf und tat einen Moment verwirrt. So als hätte er tatsächlich geschlafen. Vielleicht konnte der Mann ja tatsächlich mit geöffneten Augen ruhe finden, dachte Kell. Oder er Schauspielerte gut. Aber warum sollte er sich schlafend stellen ? Sie waren nicht seine Feinde… ,, Ich bin wach.“, antwortete der Laos und setzte sich auf. ,, Das ist also euer
Vara ? Irgendetwas, das ich noch wissen sollte ?“ Zyle besah sich den Ort mit unlesbarem Gesichtsausdruck. War das Erwartung in seinen Zügen? ,, Viel gibt es dazu eigentlic nicht zu sagen. Die Universität ist das Zentrum der Stadt, obwohl das eigentliche Land einem Patrizier gehört, einem… Bekannten von mir könnte man sagen. Es ist die erste größere Stadt auf dieser Seite der Clangebiete und ein kleines technisches Wunder. Das Planetarium hier ist nur eines davon. Es gibt Bäder in den Städten und magisch getriebenes oder mechanisches Wasser…. ,,Oh den Göttern sei Dank. Ich könnt ein Bad
gebrauchen…“ Was mir auch schon aufgefallen ist.“ , bemerkt Zyle. Und wusste im selben Moment, das er einen Fehler gemacht hatte. Jiy holte mit einer Faust aus und es gelang ihm grade noch darunter wegzutauchen. Dem nächsten Hieb wich er fast genau so geschickt aus. ,, Geht’s wieder ?“ , wollte er mit einem überlegenen Grinsen wissen. Im nächsten Moment holte ihn etwas von den Füßen und er schlug der Länge nach auf dem Boden auf. Die Gejarn hatte einfach ihren Schweif benutzt um ihm die Beine wegzuziehen. Kell streckte ihm eine Hand hin um ihm aufzuhelfen. ,, Ihr seid doch nicht schon
wieder Müde ?“ ,, Sehr witzig.“ Zykle ergriff die dargebotene Linke und zog sich hoch. ,, Er hat es verdient.“ ,, Schon gut Jiy. Wir waren alles eine Woche in der Wildnis unterwegs. Das hinterlässt seine… Spuren.“ Kellvian sah demonstrativ an sich selbst herab. Ein nur schwer zu übersehener Blutfleck prangte auf dem linken Ärmel seines Hemds. Die Farbe war vielleicht mal weiß gewesen, erinnerte jetzt aber eher an schmutziges Grau, wie Zyles Fell. Wenn er die beiden nicht brauchen würde…. Aber du brauchst sie, erinnerte Zyle sich. Zumindest bis sie in der Stadt waren. Und bis Kellvian ihn zu
diesem Patrizier bringen konnte. Das musste sein Ziel sein. Irgendwie tat es ihm leid, Kell so für seine Zwecke einzuspannen. Der Mann war so freundlich, dass es einem schon fast auf die Nerven gehen konnte. Auch wenn sich irgendetwas unter dieser Naiven Nettigkeit zu Verstecken schien. Und er hatte Potential, das hatte er gesehen. Wäre Kell in Helike geboren, er wäre sicher schnell durch die Ränge aufgestiegen, hätte er die nötige Härte besessen. Und Jiy… was war eigentlich mit der? Er wusste bis jetzt nicht, warum sie mit Kell zusammen reiste.
Aber was ging ihn das an. Er war hier um seinen Auftrag auszuführen. Zyle sah nach Vara hinab, als sie sich an den Abstieg über die Seite des Hügels machten. ,, Ihr habt erwähnt, ihr kennt den Fürsten der Stadt ?“ Kellvian nickte. ,,Markus Cynric. Aber ich werde seine Hilfe nur in Anspruch nehmen, wenn wir sie wirklich brauchen. Momentan sieht es so aus, als sollten wir ohne Probleme durch die Tore kommen. Auch wenn ihr vielleicht eure Waffe werdet abgeben müssen.“ ,, Was ?“ Zyle sah Kellvian an, als hätte dieser ihm soeben die Ohrfeige
verpasste, bei der Jiy ihn verfehlt hatte. ,, Ich sagte vielleicht. Wir sind nah an der Grenze und auch wenn Markus immer gute Beziehungen zu den Gejarn-Clans unterhielt, so wie die Momentane Situation ist… Sie werden euch nicht unbedingt Bewaffnet durch die Tore lassen.“ ,, Ich gehöre nicht mal zu einem euer verdammten Clans.“ ,, Das wissen die aber nicht.“ , entgegnete Jiy. Zyle schüttelte den Kopf. So nah war er bisher selten an die Städte Cantons herangekommen. Eigentlich hatte er nach wie vor das blanke Chaos erwartet. Ohne die ordnende Hand eines strengen
Gesetzes und des Worts der Archonten… aber das hier schien dem zu Wiedersprechen. Zyle verfluchte sich kurz selbst. Es lag nicht an ihm, das zu Hinterfragen. Wenn Laos Worte nicht gut wären, hätte der große Lehrer siesicher nicht aufgeschrieben. Er hatte den Archonten zu vertrauen. Das Chaos, das man von außen nicht sah, das musste sich einfach innerhalb der Mauern niederschlagen. Kurz wünschte er sich, die bewaffneten Gestalten an den Toren würden tatsächlich Ärger machen. Ein Kampf würde ihm erlauben, seine Gedanken ein wenig zu klären…