Fantasy & Horror
Midnight silver - Kapitel 3-5

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"Midnight silver - Kapitel 3-5 "
Veröffentlicht am 08. März 2014, 50 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Midnight silver - Kapitel 3-5

Midnight silver - Kapitel 3-5

3

Was macht er da schon wieder? Milo kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser erkennen zu können, was sein Bruder hinter dem Feuerholzstapel trieb. Könnte er seine Wolfskräfte kontrollieren, könnte er ihn nicht nur scharf sehen, sondern auch das hören, was er hörte. Aber das konnten nur die ganz großen Wölfe. Nicht mal Badrio, geschweige denn Kelan konnten das. Den Wolf in sich zähmen, sodass man seine Kräfte unabhängig von der Wolfsgestalt benutzen kann. Er war nicht sicher, ob sein Vater diese Fähigkeit beherrschte, doch manchmal

hatte er das Gefühl, in seiner Gegenwart belauscht zu werden. Manchmal konnten Wer-Wölfe mit den Personen, denen sie besonders nahe standen, in Gedanken kommunizieren. Warek hatte es gekonnt.

Tja, er war ein Held, daher musste er wohl alles können. Und trotzdem glaubte man heutzutage genauso wenig an ihn, wie an Telepathie, da kaum ein Wolf es benutzen konnte, geschweige denn gebraucht hatte.

Kelan beobachtete Badrio, wie er sich sehr angeregt mit Evelyn unterhielt. Evelyn war ebenso ein Teil dieses Dorfes, wie es auch der Rest des Clans war, der sie vor einiger Zeit verlassen hatte. Daher war es nicht mehr das Selbe

wie früher. Die Häuser standen leer, der Feuerplatz nurnoch spärlich belegt. Früher hatten Badrio, Evelyn, Kelan und er mit einigen anderen den alten Gran geärgert. Vermutlich hat er seine Hütte deshalb an einen anderen Platz versetzen lassen, nachdem Evelyn die brilliante Idee hatte, Grans unechte Haare zu stehlen. Kelan hatte sie dann ausversehen im Fluss ertränkt, seit dem waren die Kinder für ihn Geschichte. Plötzlich wurde Kelans Miene aufmerksam. Er blickte zu einer dunklen Gestalt herüber, die sich seinen Weg durch die am Feuer sitzenden bahnte. Es sah so aus, als würde Kelan wissen, wer das war, denn er stand auf, uns schlich

ihm hinterher. Da erkannte Milo am Gang des Mannes, um wen es sich handelte. "Vater?", fragte er leise und runzelte die Stirn. Was tat er dort? sollte er nicht bei Berck, Finjus und Holg sein? Sie wollten sich wegen der Vernichtung des Abdara-Clans beraten. Das war wichtig, warum schlich er also hier draußen herum?

Kelan folgte ihm. Vermutlich hatte sein Bruder wieder einmal etwas dummes vor und Milo musste ihn am Ende aus dem Dreck ziehen, oder am besten noch seinen eigenen Kopf hinhalten. Manchmal war Kelan viel zu unüberlegt. Er war ein Krieger, aber kein Stratege. Das musste er noch lernen, auch wenn er

es sich selbst nie eingestehen würde.

Gerade wollte Milo seinem voreiligen Bruder folgen, als eine strenge Stimme hinter ihm rief: "Ah, ah, ah, junger Mann. Du bleibts schön hier!"

"Aber Mutter, ich...", Milo verstummte. Wenn er Kelan jetzt verriet, würde das eine menge Ärger für ihn bedeuten. Immerhin mischte sich sein Bruder gerade in Dinge ein, die er offentsichtlich garnicht mitbekommen sollte. Und wenn dem so wäre, dann hatte es einen triftigen Grund.

"Garnichts musst du.", sagte seine Mutter bestimmt und zog ihn liebevoll zurück zum Lager. "Wenn dein Vater etwas geheimnisvolles zu verbergen hat,

bedeutet das noch lange nicht, dass du wissen möchtest, um was es geht."

Wiederwillig ließ sich Milo von seiner Mutter fort ziehen. Noch einmal sah er Kelan nach, der vorsichtig seinem Vater durch das Gebüsch folgte.

"Sei nicht so ungeduldig, Milo.", sagte seine Mutter. "Es wird sich schon alles früh genug aufklären. Weißt du eigentlich, wo dein Bruder steckt? Badrio hat zu tun, da mache ich mir kaum Gedanken.", murmelte sie in Gedanken. "Aber Kelan macht sicher wieder irgendeinen Blödsinn...". Er war sich sicher, dass seine Mutter ahnte, was in ihm vorging. Aber sie würde ihn nicht bedrängen. Statt etwas zu erwiedern,

starrte Milo betreten auf den Boden und blieb ihr eine Antwort schuldig.


Crole sah sich um. Er wusste, dass man ihn nicht gehen lassen würde, wenn er es jemandem erzählte und er wusste auch, dass Kelan ihm folgte. War der Junge wirklich so blauäugig und dachte, er könnte einen erfahrenen Alpha verfolgen, ohne das dieser ihn wahrnahm, oder wollte er lediglich sehen, wie weit er gehen konnte?

Er bahnte sich einen Weg durch das dichte Unterholz, durch das schon so lange niemand mehr gegangen war und gelangte endlich an den Ort, zu dem er gerufen wurde. Er atmete tief durch. Was

würde ihn erwarten? Wenn der weise Gran ihn aus der Besprechung mit seinen letzten Anhängern des Clans beförderte, musste es wichtig sein. So wichtig, dass es nicht bis um Mitternacht warten konnte. Langsam hob er die Hand, bereit, an der schmalen Holztür zu klopfen. Doch bevor er einen Muskel rühren konnte, schwang die Tür auf und ließ ihn eintreten. Drinnen war es warm von dem Feuer, welches sich gierig in dem im Kamin liegenden Holz verbiss. Der einzige Raum des Hauses war klein, genauso wie alle anderen Hütten. In der Mitte stand ein Tisch mit zwei Stühlen und ganz an den Rand gerückt, hinter einer Ecke befand sich

ein Bett. Vom alten Gran nichts zu sehen.

Crole zog die Augenbrauen zusammen. Gerade als er sich umwand, um hinauszugehen, sagte eine kratzige, müde Stimme: "Jetzt siehst selbst du mich nicht mehr, Crole."

Sie kam aus dem Bett. Crole zog scharf die Luft ein, als er die zsammengefallene Gestalt erkannte. Als er Gran das letzte Mal gesehen hatte, waren sicher schon zwei Jahre vergangen, immerhin wollte der Alte nie von irgendjemandem besucht werden. Jetzt wirkte er um Jahrzehnte gealtert und er war damals schon nicht mehr der Jüngste.

"Ja, die Zeit macht auch vor mir nicht

halt.", murmelte er, als würde ihm das Sprechen schwer fallen. "Nimm dir einen Stuhl, mein Junge. Ich habe dir etwas wichtiges zu berichten. Und schließ um himmelswillen diese Tür, es zieht!"

Crole nickte, als könne Gran ihn von hinten sehen und schloss hastig dir Tür hinter sich. Dann zog er sich einen der Stühle heran und setzte sich.

Es gab nur ein kleines Fenster, durch das der fahle Neumond ein wenig Licht hereinbrachte. Crole war sich sicher, dass Kelan dort irgendwo hockte und seine Wolfsohren anstrengte, um jedes Wort mitzubekommen.

"Warum hast du mich gerufen, Gran?"

"Ist dein Junge hier?", fragte er mit zitternder Stimme. Es war, als würde er frieren, doch es war nicht kalt.

"Ja, er ist hier. Wie du gesagt hast. Der wahre Alpha."

Gran holte tief Luft und schloss die leeren Augen. "Ich wünschte, ich könnte ihn noch einmal sehen..."

"Aber das kannst du doch...", Crole verstummte. Nein, konnte er nicht, vollendete er seinen Satz in Gedanken. Gran war blind.

"Aber ich kann das wilde Herz im Dorf schlagen hören.", sagte er und lächelte milde. "Er ist hier." "Ja. Was ist nun mit ihm?"

Gran schwieg einen Moment lang, als

überlege er sich, was er nun sagen würde. "Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als du und ich zu glauben vermögen. Dein Ältester hat Recht, Crole. Unsere Rasse wird sterben.

Aber vielleicht nicht heute und vielleicht auch nicht morgen."

Verständnislos sah Crole den alten Mann an.

"Es liegt an deinem Erben, Crole."

Jetzt war er vollends verwirrt.

"Was...?"

"Unser aller Leben lag schon immer in der Hand des mächtigsten Wer-Wolfes unserer Geschichte."

"Warek.", sagte Crole trocken. "Aber das ist eine Geschichte."

"Warek der Silberne.", flüsterte Gran andächtig, auf die Worte des Alphas neben ihm nicht weiter eingehend.

"Warek hat unser Volk aus der Dürre geführt und uns zu neuer Stärke verholfen, als jeder mit dem Untergang gerechnet hatte. Doch das ist schon viele Jahre her."

Crole verkniff sich den Reflex, die Augen zu verdrehen. "Ja, ich weiß. Jeder kennt dieses Märchen."

"Kein Märchen. Es ist unsere Geschichte.

So lange vergessen, bis sie zur Legende wurde. Aber Warek ist tot. Und er wird uns nicht mehr helfen."

"Ja, er ist tot..." Crole wurde langsam ungeduldig. Man suchte sicher schon

nach ihm oder Kelan.

"Crole, es gibt etwas, das mir die Geister im Vertrauen erzählten und was ich dir nun in gutem Gewissen anvertraue. Um unsere Clans zu retten, müssen drei Puzzelteile auf ihren richtigen Platz gerückt werden. Drei Teile, ohne die wir nicht bestehen können. Zwei davon sind in Gefahr, den falschen Weg einzuschlagen. Und der dritte Teil wird alles zerstören, an was wir glauben,nur damit er es neu aufbauen kann."

"Du sprichst in Rätseln, Gran", sagte Crole, angestrengt, irgendetwas aus einen Worten zu verstehen.

"Deine Frau erwartet ein Kind, Crole.

Und dieses Kind wird ein Opfer verlangen, damit es leben kann."

Der Alpha wirkte überrascht und bestürzt. "Was für ein Opfer? Du meinst doch nicht...?", "Es muss sein! Wenn du willst, dass deine Nachkommen eine Zukunft hat, musst du es geschehen lassen und alles dir mögliche tun, damit die drei Teile ihren Einsatz nicht verpassen! Was ich damit sagen will ist...", begann der Alte und zog die Aufmerksamkeit des Jüngeren in seinen Bann.

"Warek erschien, als das Volk keine Hoffnung mehr sah. Er war der letzte Krieger und der letzte Retter. Und nun, da unsere Clans noch einmal in Angst

versinken, ist ein junger Wolf bestimmt, sein Erbe anzutreten. Ein Wer-Wolf mit einem reinen Herzen und einer großen, inneren Stärke, der die Macht besitzt, über sich hinaus zu wachsen."

"Was, du willst mir erzählen, dass Kelan mit den Kräften Wareks ausgestattet ist?", fragte Crole ungläubig.

"Nein.", sagte Gran langsam und bedächtig. "Nicht dieser ungestüme Held. Ich meine dein anderes Kind. Den Grauen."


4

Milo musterte ihn misstrauisch. Seit Kelan einige Minuten vor seinem Vater zum Lager zurückgekehrt war, sah er ihn nicht an, es wirkte sogar, als würde er ihm aus dem Weg gehen. Aber auch sein Vater benahm sich seltsam. Doch er sah ihn an. Und zwar so, wie er es noch nie getan hatte. Ein prüfender, unterschätzender Blick, mit dem er sonst immer Kelan bedachte, wenn dieser etwas falsch gemacht hatte. Das verwirrte ihn. Nachdenklich starrte Milo ins Feuer. Seine Mutter neben ihm ließ es sich nicht anmerken und führte eine offentbar intensive Unterhaltung mit

Finjus Frau, doch Milo kannte sie gut genug, um ihre aufmerksame Haltung genau zu durchblicken. Sie wusste, dass ihr Mann etwas verheimlichte, dass er etwas wusste, was nicht unwichtig war. Sie wäre wohl am liebsten aufgesprungen und hätte sich wie eine Furie auf ihren geheimniskrämenden Gatten gestürzt und Milo hätte gerne das Selbe getan. Doch jetzt war nicht der richtige Moment. Da entdeckte er Badrio. Er stand im Schatten eines der Häuserwände und sah zu ihm herüber. Als er bemerkte, dass Milo ihn entdeckt hatte, winkte er ihn zu sich. Milo stand so unauffällig wie möglich auf, sobald soetwas überhaupt möglich war, und

schlenderte dann scheinbar gelassen in Richtung seines Bruders. Eigentlich hätte er sich garnicht anstrengen brauchen, denn auf ihn achtete sowieso nie jemand. Aber durch Badrios unauffälliges Getue bekam Milo das Bedürfnis, es ihm gleichzutun. Als er ihn schließlich erreichte, zog ihn sein Bruder hinter sich her, hinein in den dunklen Wald. Als sie das flackernde Feuer und die Darumsitzenden nur noch schemenhaft durch die Zweige erkennen konnten, fing Badrio an zu erklären.

"Ich weiß nicht, in wie weit du dir darüber schon Gedanken gemacht hast, aber vermutlich werden wir früher oder später alle sterben..." Er sah ihm direkt

und ernst in die Augen.

"Nun ja...", fing Milo an. "Das ist ja auch ein natürlicher Prozess, nehme ich an." "Du weißt was ich meine!", sagte Badrio, nahm ihn bei den Schultern und drückte seinen Blickwinkel hinüber zu der niedrigsten Stelle der Bergkette, die das Tal einschloss. Dort standen zwei Berge so weit auseinander, dass ihr tiefster Punkt, also genau die Mitte in der sie sich zusammenschlossen, nur einige hundert Meter über der jetzigen Höhe lag. "Das", fing Badrio an, "ist der einzige Punkt des Tals, an dem man es am einfachsten und am unauffälligsten verlassen kann." "Warte!", unterbrach Milo ihn. "Worauf willst du hinaus? Du

wirst sowieso wieder zu deinem Clan zurückgehen, aber für dich wäre es kein Problem, eine Abkürzung über die hohen Hänge zu nehmen!" "Ja, du hast Recht. Aber ich habe nicht an mich gedacht. Vater ist heute nicht zu der Besprechung mit den Finjus, Terva und Berck gekommen." Er stockte einen Moment. "Und stattdessen bin ich hingegangen."

Milo zog die Augenbrauen hoch und starrte ihn an. "Vater wird dich umbringen.", erklärete er trocken.

"Ja, vermutlich schon. Aber ich musste dabei sein! Ich habe bereits einen Clan untergehen sehen und ich habe nicht vor, das gleiche bei einem anderen zuzulassen." "Was hast du ihnen gesagt?"

"Ich habe ihnen die Situation erklärt. Es ist ihnen nicht leicht gefallen, aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es besser wäre, wenn wir das Ghazir-Tal verlassen."

Milo schluckte. Jetzt war es wohl soweit. Badrio legte seinen Arm um Milos Schulter, wie er es immer machte, wenn der kleine Bruder Angst hatte. "Aber die Anderen werden mich nicht zu meinem Clan begleiten. Und Vater... Er wird das Dorf ganz sicher nicht verlassen. Es sieht so aus, als ob jetzt jeder seinen eigenen Weg geht." Einen Moment schwiegen sie beide und blickten in die immer dunkler werdende Ferne. Dann flüsterte Milo aufeinmal:

"Was wird aus uns, Badrio? Was wird aus mir? Ich will hier nicht bleiben, aber ich will Vater nicht im Stich lassen." "Ich habe lange darüber nachgedacht.", sagte Badrio. "Und ich möchte, dass du mit mir gehst. Schließ dich meinem Clan in den Ebenen an! Kelan wird mich nicht begleiten und das soll mir Recht sein."

"Badrio, ich..."

Plötzlich entflammte das Feuer zu einer hohen Stichflamme und ließ die herumsitzenden angstvoll aufschreien. Milo und Badrio rannten zurück zum Platz.

Dann schallte die knisternde Stimme des alten Gran über die Lichtung. Er hustete

und kicherte dann über seinen gelungenen Auftritt. Er hatte als Schmane schon immer ein Fabel für die uralte Magie und beherrschte sie gut.

"Nun", rief seine Stimme durch das Lager. "Wie ich sehe, sind wir vollzählig. Dann lasst uns beginnen."

Einige schauten sich verwirrt um, als fühlten sie sich ertappt. Gran kommunizierte nur per Stimme, doch sicherlich hatte er auch einige Tricks auf Lager, die die Umgebung für ihn in seiner düsteren Hütte sichtbar machte.

"Wie ihr euch alle sicher schon gedacht habt, wird das hier wohl meine letzte Tat als Ältester dieses Clans sein."

Ein Raunen ging durch die Menge. Sicher

hatten die meisten weder soetwas gedacht, noch auch nur einen Gadanken daran verloren. Gran war für fast alle hier irgendwie schon immer da. Und die logische Fortsetzung des Ganzen war wohl, dass es auch immer so bleiben würde. Milo schaute zu seinem Vater. Ob das der Grund war, warum er sich so seltsam benahm? Aber was hatte das mit ihm zu tun? Naja, vielleicht bildete er sich diese ungewollte Aufmerksamkeit ja nur ein. Er fing schon an zu fantasieren.

"Ich werde wohl nicht mehr erleben, wie der Eine unter uns sich erheben und unsere Clans in den entgültigen Frieden führen wird." Wieder flackerten

aufgeregte Gespräche auf. Jeder sah den Nachbarn prüfend an, um sich zu vergewissern, dass er nicht neben dem Auserwählten saß. Doch die meisten Blicke ruhten auf Kelan. Sie glaubten an ihn als neuen Clanführer, der sie retten würde. Aber der starrte, genau wie sein Vater, auf den staubigen Boden. Was verbargen sie nur?

"Die Geister haben mit mir gesprochen.", erklärte Gran. "Sie berichteten mir von einer Prophezeiung.

Sie erzählten mir von einem Kind, welches bald geboren werden wird. Es trägt unser Vorfahren im Herzen und unser Erbe in seinen Ardern. Die Götter schenken ihm ein Leben, doch ein Leben

müssen sie zurücknehmen. Das Kind, wird unsere Zukunft bestimmen. Ihm wird eine große Aufgabe zuteil kommen. Und es steht geschrieben, dass es es nicht schaffen wird."

Ein Zucken durchlief die am Lager sitzenden, ein Schauder, welcher sie sichtlich zusammenfallen ließ. Ihre Hoffnung schwand.

"Doch wir dürfen nicht aufgeben!" Grans Stimme baute sich auf.

"Die Geister unserer Vorfahren haben mir genauso den Grund des Versagens erzählt. Zwei in einer Vollmondnacht geborene Wölfe, einer auserwählt um uns zu führen, einer erwählt um zu folgen."

Milo kniff die Augen zusammen. Redete er tatsächlich von Kelan und ihm? Die Stimmung wurde immer aufgeregter, die Luft wirkte wie elektrisiert.

Gran atmete tief ein.

"Doch wird es an beiden liegen, unsere Clans zu retten. Zwei Brüder wie Tag und Nacht, Wind und Erde, Licht und Schatten. Nur zusammen können sie tragen, was ihnen aufgebürdet wurde, nur gemeinsam können sie die Völger vereinen und nur gemeinsam können sie siegen. Doch die Geister berichteten mir, wenn der Eine fällt, wird der andere fliehen."

Plötzlich wurde Milo schlecht. Sollte das bedeuten, er würde Kelan verraten?

Ihn im Stich lassen?

"Wenn alles versagt und alles verloren scheint, wird sich einer erheben, aus der Asche der Zeit. Gefüllt mit Trauer und Zorn, wird neue Kraft in ihm erwachen, zu retten die Starken, genau wie die Schwachen. In unserer Sprache nennen wir ihn den "silbernen Wolf"."

Dann bäumte sich das Feuer auf, zischte und loderte. Und dann, erloschen die heißen Flammen für immer. Milo sah seine Mutter an, die legte einen Arm um ihn und zog ihn an sich. Milo wusste, genau wie alle anderen, dass der alte Gran nun nicht mehr zu ihnen gehörte. Nur noch eine Erinnerund der Vorfahren.

5

Es herrschte Stille. Jeder starrte stumm in die verbrannte Asche und wagte kein Wort zu sagen. Nur das Zirpen der Zikaden und der rauschende Wind in den Bergen gab diesem Ort etwas lebendiges.

Da erhob sich Crole langsam von dem Platz, auf dem er kraftlos zusammengesunken war. Sein Clan verlangte nun eine starke Rede von ihm. Dass er sie aufbauen und ihnen Mut zusprechen würde. Er holte tief Luft und wandte sich an die verängstigten Leute zu seinen Füßen.

"Meine Freunde. Was auch immer die Geister sagten, sie erzählten schon oft

etwas über unser Verderben und was passierte? Nichts. Zusammen haben wir es geschafft, unsere Familien zu beschützen und es bis hierher zu bringen.

Wir dürfen jetzt nicht aufgeben oder..."

"Nein!" Eine andere, stärkere und entschlossenere Stimme durchbrach die Rede des Alphas.

"Nein, Crole!" Es war die Stimme von Berck, der sich nun ebenfalls erhob.

"Du hast uns zu lange zu viel versprochen, mein Freund. Zu dem Rat, den deine letzten Männer einberufen hatten, bist du nicht erschienen. Was sollen wir deiner Meinung nach tun, Crole?" "Wir müssen nur abwarten! Das Kind, das bald geboren wird, kann uns

retten. Wir müssen nicht Kämpfen!"

"Und wenn nicht? Was wenn deine Söhne es nicht schaffen, dieses Kind zu beschützen, es nicht schaffen, es zu seinem Schiksal zu leiten?"

"Du sprichst da von meinen Söhnen, Berck!" "Und du handelst gleichermaßen kurzsichtig und blauäugig über das Leben unserer Familien! Wir sind es leid, immer und immer wieder auf Antworten, auf erlösende Worte deinerseits zu warten."

"Aber einen Krieg könnt ihr nicht gewinnen, ihr kennt die Macht des Feindes nicht!" "Aber du schon?" "Ich weiß zu was sie fähig sind und dass sie keine Gnade kennen. Sie werden jeden

der sich ihnen in den Weg stellt ohne zu zögern ermorden und eure Kinder versklaven, aufdass sie ihre eigenen Handpuppen werden. Bis niemand mehr übrig ist, für den sich der Silberne erheben kann." "Das ist eine Geschichte! Ein Märchen! Niemand wird dir außerhalb dieser Berge glauben, dass der Älteste dir durch das Feuer von dem silbernen Erlöser berichtet hat."

"Es muss niemand glauben. Sobald sie es sehen, werden sie ihm folgen!"

"Wo ist er also? Wer von deinen Männern ist der Silberne? Ich kenne keinen mit einem solchen Fell, du etwa?"

"Er wird sich erst zeigen, wenn alles verloren scheint, hast du etwa nicht

zugehört?"

"Crole... Wir können nicht mehr warten!"

"Aber..."

"In dem Rat, dem du nicht beiwohntest, haben wir, Finjus, Terva und ich beschlossen, dass wir unseren Frieden woanders suchen werden. Wir werden einen Weg finden, um unsere Clans so lange wie möglich zu schützen, doch wir werden uns nicht mehr in diesem Loch verstecken!" "Soll das heißen, ihr verlasst mich?" "Wir werden immer verbunden sein, das verspreche ich! Wenn du uns rufst, werden wir kommen und an deiner Seite kämpfen! Doch dieser Kampf muss mit uns selbst ausgefochten werden."

Crole wirkte so verlassen, wie nie zuvor. Niemand erhob sich, um Einwände zu erheben, um sich auf seine Seite zu stellen. Er hatte immer mit der uneingeschrenkten Treue seiner engsten Freunde, seiner Familie gerechnet. Und nun verließen sie ihn genau wie all die anderen.

Er spürte die Blicke aller auf sich und er wusste, dass sie sich fragten, was er dachte, was er fühlte. Aber nachempfinden konnten sie es nicht. Sie sahen ihn mitleidsvoll an, verstanden jedoch nicht, wie es war, alles zu verlieren, was einem einmal wichtig war.

Dann riss er sich zusammen. Er konnte seine Männer nicht zwingen, bei ihm zu

bleiben, das hatte nichts ehrenvolles mehr.

"Und nun? Ich kann euch nicht aufhalten, wenn ihr gehen wollt... Könnt ihr gehen."

Bercks Gesicht wich einer traurigen, niedergeschlagenen Maske. Er ging zu seinem alten Freund legte seine Hand auf dessen Schulter.

"Wir werden immer eine Familie, ein Clan sein. Das verspreche ich!"

Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging davon, seine Familie folgte ihm.

Dann stand auch Finjus auf und sagte: "Es wird das Beste sein, denke ich. Nimm es nicht so schwer, alter Freund. Deine Tage als großer Alpha sind vorbei,

genauso wie die unseren. Nun liegt es an unseren Söhnen, unser Erbe zu vertreten. Aber das können sie nur lebendig."

Und dann verließen er und seine Familie das Lager.

Nach ihm trat Terva vor. Er war immer Croles bester Freund und engster Vertrauter gewesen. Beide wagten es nicht, sich in die Augen zu sehen.

"Du weißt, das ist mir nicht leicht gefallen...", fing Terva an, doch Crole unterbrach ihn. "Was auch immer du für das Richtige hälst, wird eine gute Entscheidung sein."

Terva nickte stumm. Crole hatte ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen, er

war immer ein starker, gutgläubiger Wolf gewesen, der ihn so manches Mal aus der Klemme geholfen hatte.

"Ich gehe mit meiner Tochter fort von hier, aber ich werde niemals meine Familie vergessen!"

"So soll es sein." Crole wandte sich ab. Er ertrug es nicht mehr.

"Gibt es noch jemanden, der sich von den Ghazir-Wölfen abwenden will? Dann sollte er jetzt vortreten."

Eigentlich erwartete er garnicht, dass jemand noch etwas zu sagen hatte, doch dann stand Badrio auf.

Crole musterte ihn. "Was hast du zu sagen, mein Sohn?"

Badrio zögerte. Dann spannte er seinen

Körper an und ging zu seinem Vater.

"Ich werde sie über den tiefen Berghang führen und dann zu meinem Clan zurückkehren. Die anderen werden im Westen nach geeigneten Ländereien für ein neues Revier suchen."

"Was soll das? War das deine Idee? Hast du sie auf diese Idee gebracht?"

"Ich hielt es für das Beste..."

"Nein!" Croles Stimme schwoll an und schien zu zerbersten. "Ich habe dir vertraut, dich gehen lassen, um die Gefahr da draußen kennenzulernen, um eines Tages wiederzukommen und der neue Alpha unseres Rudels zu werden. Aber du hast mich verraten und mir genommen was mir als letztes geblieben

ist!" Nun schrie er beinahe. Die umstehenden zuckten erschrocken zusammen. Sie alle waren im Begriff, Crole dasselbe anzutun, wie sein eigener Sohn. Doch vertrauten sie diesem mehr als dem alten, gebrochenen Alpha.

"Ich werde wiederkommen, Vater. Das schwöre ich. Wenn das alles vorbei ist und mein Clan in Sicherheit ist, komme ich zurück. Aber das muss nicht sein. Komm mit mir, bitte!"

"Niemals! Ich werde dir nicht folgen wie ein verwundeter Hund, der keine andere Wahl hat. Ich weiß, was gut für unseren Clan ist und ich werde von diesem Glauben nicht abweichen."

Da trat Kelan vor. Seine Stimme war

stark als er sagte: "Ich werde dich niemals im Stich lassen, Vater!"

Badrio verzog das Gesicht. "Ach, halt den Mund Kelan. Du bist immernoch ein Welpe, der sich hinter dem Wort seines Vaters versteckt und seine Lefzen leckt, um ihm zu gefallen!"

Crole stellte sich vor seinen jüngsten Sohn, der seinen älteren Bruder zornig anfunkelte. "Was weißt du schon? Du hast nie auf die Worte deines Vaters vertraut." "Richtig.", sagte Badrio. "Weil ich immer ein klar und selbst denkendes Wesen war. Ich gehe meinen eigenen Weg und lasse mich nicht beeinflussen."

"Dann geh deinen eigenen Weg! Doch auf

diesem wird unsere Familie keinen Platz mehr finden."

Verwirrt sah Badrio zu seiner Mutter.

"Crole..." Fing sie an, doch dieser gab ihr ein deutliches Zeichen, sich nicht einzumischen.

"Geh!", sagte er ruhig.

"Aber..."

"Geh!" Croles Worte schallten laut durch die nahen Bergkämme und scheuchten die verstummten Amseln auf.

"Du bist hier nicht mehr erwünscht!"

Badrios Kiefer mahlte erzürnt, doch dann wandte er sich ab. "Lass mich wenigstens Milo mitnehmen. Er wird es bei mir gut haben!"

"An dich verliere ich nicht auch noch

meinen anderen Sohn! Ich habe genug verloren in dieser Nacht!"

"Das sollte seine eigene Entscheidung sein!"

Crole wandte sich an Milo.

"Na schön. Dann soll er sagen, was er will!" Alle Blicke richteten sich auf Milo. Doch dieser saß mit aufgerissenen Augen neben seiner Mutter, die ihn schützend im Arm hielt.

"Er bleibt hier!", sagte sie entschlossen. "Er ist mein Sohn und er ist noch ein Kind. Es fällt mir schwer genug, meinen ältesten Sohn jedes Mal aufs neue gehen zu lassen und nicht zu wissen, ob er jemals zurückkehrt. Aber Milo bleibt hier bei mir!"

Kelan schnaufte. "Wenn Badrio nach mir verlangt hätte, hättest du dich nicht so sehr um mich bemüht, Mutter."

Sie zuckte verletzt zusammen.

"Das ist nicht wahr! Du bist ebenso mein Sohn und da du noch nicht erwachsen bist, hätte ich dich ebensowenig gehen lassen."

Badrio lachte kurz auf. "Na Gott sei Dank verlangt keiner nach dir, sonst könntest du dir noch einbilden, du wärst etwas Besseres als deine Brüder."

"Badrio!", rief Crole erzürnt. "Das alles liegt nicht mehr in deiner Hand! Milo bleibt hier!"

"Schön. Bei uns ist er immer willkommen. Wenn er volljährig ist, wir

er uns folgen können."

Er sah seinen kleinen Bruder ein letztes Mal an. Dann wandte er sich um und verschwand zusammen mit dem Rest des Rudels in den Tiefen des Waldes.

Zurück blieben nur noch Crole, seine Frau und die beiden Söhne, die eines Tages das Leben aller anderen retten sollten.


Und während Kelan in Zorn auf den Verrat seines Bruders lebte, erwachte in Milo ein Wunsch, der von Tag zu Tag mächtiger wurde. Er wollte Kelan nicht verraten, es sollte nicht an ihm liegen, dass die Wölfe von diesem Ort verschwanden. Wer auch immer der

silberne Wolf war, er würde ihm dienen und die bevorstehende Schlacht an seiner Seite austragen, wie es sein sollte. Er legte es nie auf einen Kampf an, doch wenn es nötig war, würde er für sein Volk über sich hinauswachsen und alles daran setzen, der Prophezeiung zu entgehen.


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Lanni97

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PorterThomson Es ist wirklich ein Genuss deine Texte zu lesen! Nicht nur das! Auch die Story, welche Dir da eingefallen ist hat richtig gutes Potential. Mach weiter so!
Vor langer Zeit - Antworten
Lanni97 Dankeschöön! :D
Vor langer Zeit - Antworten
JC_dreams du schreibst so schön*.* wenn ich lese dann entstehen richtige bilder in meinem kopf und ich bin voll überrascht wenn s dann schon zu ende ist:D
Vor langer Zeit - Antworten
Lanni97 Haha das freut mich :D So soll es sein :))
Vor langer Zeit - Antworten
Lanni97 Aber es geht ja zum Glück noch weiter... ;)
Vor langer Zeit - Antworten
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