Romane & Erzählungen
Zweites Leben - Teil23

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"Zweites Leben - Teil23"
Veröffentlicht am 11. März 2014, 24 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Zweites Leben - Teil23

Zweites Leben - Teil23

23. Kapitel Leonores Geheimnisse „Und warum soll ich mit dir dort hin?“, Micky klang empört. „Weil ein Erwachsener mit muss!“, drängte ich. „Warum fragst du dann nicht Elly oder Marc?“ Wenn ich es richtig überlegte, hatte er recht. Was würde es ändern, wenn einer von beiden mitkäme? Nichts! „Dann frag ich eben Elly“, grinste ich ihn an. „Dann genießen wir eben die heißen Dampfbäder und die Sauna.“ (ich wusste gar nicht, ob das Hotel so etwas überhaupt hatte). Man sah ihm schon an, dass er es

bereute, so schnell abgesagt zu haben. Elly war begeistert von der Idee. Und sie wunderte sich auch nicht, dass der Gutschein erst so spät kam. Eher wunderte sie sich darüber, dass der Gutschein für das Hotel hier in der Stadt und nicht für ein schöneres Hotel in Köln galt. „Was bringt es denn, hier Urlaub zu machen?“, jammerte sie über den Schulleiter, der den Gutschein ihrer Meinung nach gesponsert hatte. Alles lief nach Plan, Elly und ich kamen im Hotel an, zückten den Gutschein, den Elias, Saskia, Mandy und ich bezahlt hatten und wunderten uns darüber, wie seltsam modern das Hotel

war. „Als ich das letzte Mal hier war, wow … sah es ganz anders aus“, staunte Elly. Ich zwinkerte ihr nur zu. „Ja, das liegt alles an unserer wundervollen neuen Managerin Frau Dornbrecht J“, flüsterte die Frau an der Rezeption, die sich so weit zu Elly hingestreckt hatte, dass sie sich fast berührten. „Was soll denn das J?“, fragte Elly. „Junior“, flüsterte die Frau immer noch. Was befürchtete sie? Etwa, dass sie jetzt um die Ecke geschossen kam und sie auf frischer Tat erwischte? „Was soll das denn heißen? Leitet sie jetzt das Hotel?“, Elly war entsetzt, aber

zugleich auch erstaunt, dass sie (das größte Klatschmaul dieser Stadt) das nicht mitbekommen hatte. „Ja. Frau Senior ist verzogen, im Ruhestand. Ich bin mir nicht sicher.“ „Umgezogen?“, fragte ich. „Uns wurde erzählt, sie sei tot.“ „Tot? Das wüsste ich aber nicht.“ „Vielleicht ist sie ja umgezogen und dann gestorben“, meinte Elly um die Stimmung etwas aufzuheitern. Sie merkte direkt, dass ich mir darüber den Kopf zerbrach. Wir fuhren in einem kleinen Aufzug nach oben, der in einem rosa gestrichenen Flur hielt. Es gab nur vier Türen auf dieser Etage und anhand der

Knöpfe im Fahrstuhl erkannte ich, dass diese die oberste war. Eigentlich war das gut, denn dann brauchte ich nicht so viel zu durchsuchen. Andererseits machte es auch schwieriger, sich zu verstecken, wenn mich dann doch jemand beim Schnüffeln überraschen sollte. Elly stoppte plötzlich vor einer der großen hellgrünen Türen und ich lief direkt in sie hinein. „Da sind wir. Drei Tage Wellness, wir kommen!“, Elly schloss die Tür auf, stellte die Koffer in eine Ecke und ließ sich auf eines der Betten fallen. Ich fand es alles ein wenig zu übertrieben. Der rosa- grüne Flur passte gar nicht zu

der „Lobby“, doch zum Glück war das Zimmer in rot- weiß gehalten. Komisch sahen die Schränke aus, als ob sie aus Plastik beständen. Nach dem einigermaßen genießbaren Abendessen verschwand ich kurz in meinem Zimmer, um den Stöpsel in meinem Ohr und unter meinen Haaren zu verstecken. „Leo? Leo?“, ich hörte Elias´ Stimme deutlich in meinem Ohr. „Hörst du mich?“ „Elias, gib mal her, du weißt, Leo kann uns nicht antworten“, meckerte Saskia. „Sie kann uns nicht antworten? Wie sollen wir dann kommunizieren?“, zuerst hörte man das Rascheln von Saskias wilden Locken,

dann war wieder Elias Stimme zu hören. „Hallo?“, fragte ich vorsichtig. „Da, hab ihr das gehört?“, fragte Elias. „Nein, du Trottel, nur du hast das Ding am Ohr!“, hörte ich Saskias schwache Stimme herumzicken. „Sie kann doch mit uns reden.“ „Leute, startet die Mission!“, befahl Mandy im Hintergrund. „Leo, wir fangen an! Hörst du mich?“ „Klar und undeutlich“, antwortete ich zufrieden, aber auch gleichzeitig ängstlich. „Dann geh mal in die Bar, die ist im Erdgeschoss auf der rechten Seite.“ „Die haben den Laden hier ganz schon aufgepäppelt“, meinte

ich. „Ja, hab ich gehört, aber die Bar soll noch in dem Stil von unserer „toten“ Frau Dornbrecht sein“, ich hörte förmlich heraus, wie er toten mit Fingern betonte. „Was soll ich in der Bar?“, fragte ich, als ich vor dem offenen Eingang zur Bar stand. „Die Bar gehört nicht mehr zum Hotel. Dort können auch irgendwelche Leute aus der Stadt sein, wie unser Mathelehrer, denn das ist sein Stammlokal. Ich würde mich an deiner Stelle an die Theke setzen und mir ne Cola bestellen, während der Wirt sie dir serviert, kannst du ihn dann über Fr.

Dornbrecht ausquetschen“, schlug Elias vor. Ich hörte, wie Saskia im Hintergrund stöhnte. „Über welche?“ „Über beide. Sie sind beide wichtig. Achte darauf, dass du danach fragst, wann die Seniorin verschwunden und wann die Juniorin übernommen hat!“, befahl er streng. „Ich versuch´s“, jetzt geht’s los, dachte ich mir. Wie er es beschrieben hatte, war die Bar unten im Erdgeschoss. Ich stand vor einer braunen Holztür, die gar nicht zu der restlichen Lobby passte. Die Wände und Türen um mich herum waren weiß, gelb und

beige. Während ich die schwere Tür aufstieß, dachte ich darüber nach, was ich sagen sollte. „Eine Cola und einige Antworten, bitte!“ Der Raum war fast dunkel, nur fahles Licht fiel durch die trüben Scheiben der Bar. Und so sollte der Rest des Hotels auch ausgesehen haben? Höchstens sechs Leute, wahrscheinlich Stammkunden, saßen an kleinen Tischen um einen Billardtisch herum. Als ich mich der Theke näherte, hörte ich wie einer der Männer den Kopf hob und pfiff. Rauch und der Gestank nach Alkohol ließen mich meine Nase rümpfen. Ich wollte so schnell wie

möglich wieder hier heraus. „Was darf´s sein, Liebes?“, fragte eine rothaarige Frau mit einem tiefen Ausschnitt. Während sie sprach, hatte ich das Gefühl, dass sie völlig betrunken war. Ihr Kaugummi fiel bei jedem Wort fast aus ihrem Mund heraus. „Eine Cola, bitte“, stammelte ich. Irgendwie kam mir die Frau bekannt vor, ich wusste nur noch nicht, woher. Nach einigen Sekunden streckte sie ihre dicke Hand mit dem Glas zu mir aus. „Darf´s sonst noch was sein?“ Ich überlegte kurz. „Ja, eigentlich schon. Können sie mir sagen, seit wann es diese Bar schon gibt?“ Sie formte ihre fast schwarzen Augen,

die vermutlich nur wegen des Lichts so dunkel wirkten, zu kleinen Schlitzen: „Warum, kommt es dir so alt vor?“ Verwundert über diese Antwort, fing ich leicht an zu stottern. „N- nein. Ich frage nur, eine Angestellte des Hotels hatte nämlich behauptet, dass diese Bar mal zu dem Hotel gehörte.“ „Ja, das hat sie mal. Das waren noch besser Zeiten, für alle, denen Frau Dornbrecht Arbeit gab. Jetzt, seit ihre Tochter die Leitung übernommen hat, erhält mein Exmann mit Hartz IV ja noch mehr. Aber zurück zu deiner Frage. Das Hotel steht seit genau einundvierzig Jahren hier. Unsere Bar mietet seit dreizehn Jahren diesen

Raum.“ Oder dieses Loch, dachte ich. „Wissen sie, wo Frau Dornbrecht ist?“, ich legte das „Unschuldige Mädchengesicht“ auf. „Also Seniorin.“ „Ja, sie wollte mal weg hier. Sie hat es hier nicht mehr ausgehalten, seit diese Frau weggezogen ist.“ „Welche Frau?“ „Die Frau mit der Tochter. Ich hab ihren Namen vergessen. Auf jeden Fall weiß ich, dass meine Chefin wollte, dass niemand erfährt, wo sie hin ist. Nicht mal mir hatte sie es gesagt“, ihrem Ton nach zu urteilen, hatte sie ihr sehr nah gestanden. „Warum wollte sie denn weg? Nur weil eine Familie weggezogen

ist?“ „Auch, aber sie hatte alles verloren, was ihr lieb war. Ihr Hotel, ihr Auto und ihr Haus.“ „Warum?“ „Sie war pleite, hier kann man kein gutes Hotel führen, so oft, wie hier jemand Urlaub macht. All ihr Hab und Gut wurde zwangsversteigert. Leonore Dornbrecht“, ihre Augen wurden bei dem Namen wieder zu Schlitzen. „Ihre Tochter kaufte alles. Erneuerte alles, schmiss ihre Mutter raus, feuerte noch ein Paar „unnütze“ Angestellte …“ „Kann verstehen, warum sie abgehauen

ist.“ „Weil alle in der Stadt es wussten. Sie schämte sich so. Und vor allem wollte sie weg von ihrer Tochter, die ihr ganzes Lebenswerk zerstört hatte.“ Es folgte eine Weile der Stille, man hörte nur, wie die Männer sich leise unterhielten. Ich nippte einmal kurz an der eiskalten Cola. „Leonore hat ihre Mutter nie richtig verstanden, ich denke, das war das größte Problem. Vor zwanzig Jahren wurden hier einige Menschen ermordet. Und ihre Mutter war eine der drei Hauptverdächtigen. Das hat uns alle sehr mitgenommen. Ich bin eine von vielen, die hier ihr ganzes Leben

gearbeitet haben. Wir wussten also, wie sie das mitgenommen hatte. Aber das hatte Leonore ja nie verstanden. Sie war nur auf das Geld und den Erfolg aus. Als das Mädchen dreizehn Jahre war, ist sie abgehauen. Das geschah drei Jahre, nachdem Frau Dornbrecht freigesprochen wurde. Ein weiterer seelischer Schlag für die junge Mutter.“ „Wo ist Leonore hin?“, fragte ich und zog noch einmal an dem Strohhalm. „Zum Drachenauge“, irgendwoher kannte ich diesen Begriff. „Wo ist das?“, stirnrunzelnd starrte ich sie an. „Das ist ein romantisches Plätzchen. Damals, zu meiner Jugend haben wir uns

dort immer getroffen. Ach, - waren das noch Zeiten. Es ist eine Schande, dass die Jugend heute das nicht mehr macht. Es war viel schöner dort als in einem Kino oder im Internet.“ Sie hatte mir immer noch nicht gesagt, wo genau das Drachenauge war, aber wie sollte ich sie danach fragen? „Du willst wissen, wo das war, stimmts?“, sie hatte etwas Eigenartiges in ihrem Blick, etwas Liebevolles und Unterstützendes. Ich verstand sowieso nicht, warum die Frau mir das alles erzählte. Ich nickte zaghaft. „Kennst du das Gemeindezentrum?“, sie nahm sich auch eine Cola aus dem

Eisschrank. Ich nickte wieder. „Wenn du links abbiegst, siehst du hinter einer kleinen Mauer ein Yogahaus, das steht schon seit Jahrzehnten dort, ich weiß nicht, wie es heute aussieht, ich war ewig nicht mehr dort. Wenn du über die Mauer kletterst, siehst du eine kleine Lücke zwischen den Häusern, sie ist höchstens sechzig Zentimeter breit. Durch die Lücke kommst du zum Garten. Früher war es eine Art Ruhestätte für die Leute, die meinten, Yoga würde erholen. Aber mich hat es nie beruhigt, sondern eher aggressiv gemacht. Dort haben wir uns immer getroffen. Zwischen den japanischen Büschen und dem kleinen Teich“, sie

lächelte mich erleichternd an. Vermutlich war sie mit ihren Gedanken in einer anderen Zeit. „Warum nennt man diesen Ort Drachenauge und nicht Yogagarten?“, fragte ich laut. „Ach, ich denke, wegen des Namens, der Yogaschule: „Dragon´s Ballettschool“. Ein gewisser Frank Dragon, ein Japaner, eröffnete die Schule, er war ein herrlicher Lehrer. Freundlich, hilfsbereit und auch in hoffnungslosen Fällen wie bei mir hat er nicht aufgegeben. Warte, der Teich, der Teich in dem kleinen grünen Garten er war ein Auge!“ „Ein

Auge?“ „Ja, in einer Augenform!“, jetzt erinnerte ich mich wieder, wo ich das mit dem Drachenauge schon mal gehört hatte. Wir haben die Briefe von Mandys Vater an einem grünen Ort gefunden. In den Briefen waren wir auf den Begriff gestoßen. Am Drachenauge sollte irgendetwas versteckt sein, aber was? „Danke. Ich muss jetzt los“, mit einem Lächeln legte ich ihr einen fünf Euroschein auf den Tisch. „Aber, das ist doch …“ „… Trinkgeld!“, beendete ich den Satz. Ich rannte die Treppe hoch, in unser Zimmer. In diesem Moment überlegte

ich, ob meine Freunde das alles mitgehört haben könnte. Bei ihnen hatte ich ja auch alles andere verstanden. „Leute?“ „Wir haben alles mitbekommen!“, das war weder Elias´ noch Saskias noch Mandys Stimme. Diese Stimme gehört jemand anderem. Iska. Ich riss mir den Stöpsel aus dem Ohr und rannte die Treppe wieder hinunter. Lief im Eiltempo aus dem Hotel auf die Straße, in Richtung Innenstadt. Ich musste vor ihnen da sein. Doch wo musste ich eigentlich hin? Da vorne stand ein Taxi, mit sechs Schritten hatte ich die Straße überquert und lehnte mich in das Auto. „Ist das

frei?“ „Ja“, ein junger Fahrer lächelte mir entgegen, wunderte sich anscheinend, dass überhaupt jemand (außer der alten Dame, die gerade aus dem Wagen stieg, und auf ihr Haus zuging) ein Taxi brauchte. Ich sprang hinein. „Fahren sie mich bitte zum Gemeindezentrum.“ Mit einem lauten Quietschen setzte sich der gelbe Wagen in Bewegung.

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Stephi96

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