Romane & Erzählungen
"Titanic" 5. Kapitel - Die etwas andere Betrachtungsweise

0
"Sie werden den Untergang der Titanic mit anderen Augen sehen"
Veröffentlicht am 22. Februar 2014, 38 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich schreibe hauptsächlich um zu unterhalten. Dabei möchte ich Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts und egal welcher Herkunft unterhalten. Meine Ambitionen liegen bei den spannenden und aufregenden Romanen. Jedoch experimentiere ich hin und wieder auch mal an anderen Genres herum. Mehr über mich: www.porterthomson.de.tl sowie bei Facebook: "Porter Thomson, Autor aus Cuxhaven" und bei Google+ unter der web-Adresse: ...
Sie werden den Untergang der Titanic mit anderen Augen sehen

"Titanic" 5. Kapitel - Die etwas andere Betrachtungsweise

5. Kapitel

In den Morgenstunden des 25. März 1912, in einem Arbeiterviertel, ganz in der Nähe des Hafens von Belfast

Zum Glück war es an diesem Morgen halbwegs windstill, sonst würde dieser kontinuierliche Regen, der scheinbar in langen Fäden vom Himmel fiel erbarmungslos in Charlys Gesicht peitschen. Wer sich nun fragte, was Charly in dieser frühen Morgenstunde bei diesem miesen Wetter auf die Straße trieb, dem sei gesagt, es war die blanke

Not! Es war Montag! Montag war der Tag an dem man die beste Chance hatte einen der wenigen Jobs zu bekommen, die kaum angeboten, meist schon sogleich wieder vergeben waren. Hierbei war das Sprichwort, „Der frühe Vogel fängt den Wurm!“ wirklich wörtlich zu nehmen. Und so hatte sich Charly auch an jenem Montagmorgen bereits um fünf Uhr aus seinem Holzverschlag auf einem Hinterhof gequält, hatte notdürftig den gröbsten Dreck von seinen Klamotten abgeschlagen und seine Haare etwas gerichtet. Er schlurfte nun durch den noch dunklen verregneten Morgen ins Hafengebiet, wo es im Augenblick die einzigen Jobs in Belfast zu ergattern gab.

Gut! Meistens waren sie schlecht bezahlt und man schuftete sich den Buckel krumm. Aber lieber einen schlecht bezahlten Job als auf der Straße zu leben oder bald zu verhungern. Dummerweise traf auf Charly O´Keef im Moment sogar beides zu. Seit jenem verhängnisvollen 3.März lief es für Charly auf breiter Front ganz schlecht. Nicht nur dass seine kleine Wohnung an jenem Tag, vermutlich von der Polizei, komplett verwüstet wurde und seine Ersparnisse verschwunden waren, kündigte ihm noch am selbigen Tag der Vermieter, da der mit der Polizei nichts zu tun haben wollte.

So stand Charly da, ohne Dach über dem Kopf und ohne einen müden Penny in der

Tasche. Seine Fünfzig Pfund, die er für den ersten und einzigen Schmuggelauftrag von Mickey O´Sullivan bekommen hatte, waren durch sein unfreiwilliges Bad im Hafenbecken komplett ruiniert. Kein Händler oder Vermieter traute sich die Scheine noch anzurühren, aus Angst, mit diesem Geld könne etwas nicht stimmen.

War da noch sein kleiner Revolver. Den hat er schweren Herzens bei einem Hehler versetzt, als er das erste mal schwer hungerte.

Irgendwo Unterschlupf, bei diversen sogenannten Freunden, fand er auch nicht, da Charly im Milieu inzwischen bekannt wie ein bunter Hund war. Jeder wusste, woher auch immer, dass Mickey

O´Sullivan Charly auf dem Kieker hatte. Ja und jeder, der Charly auch nur Unterschlupf gewährte oder ihm gar half, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, lebte als bald genauso gefährlich wie Charly selbst.

Charly war inzwischen soweit, dass er jeden Job annehmen würde. Hauptsache er verdiente ein paar Pennys für etwas zum Essen und bestenfalls ein Dach über dem Kopf.

Er war wieder einmal am Kohlehafen. Manchmal hatte er ja heute etwas mehr Glück als die letzten male. Seit Wochen bestreikten die Kohleschauerleute landesweit die Kohlehäfen und verhinderten auch erfolgreich den Einsatz

von Streikbrechern. Hinzu kam, was die Situation für Charly nicht einfacher machte, dass viele Reedereien aufgrund der langen Liegezeiten der Schiffe ihre Seeleute auf die Straße setzten, was Belfast eine wahre Flut von kräftigen arbeitswilligen Männern bescherte.

Charly stand nun vor dem Verwaltungsgebäude des Kohlehafens und schaute betrübt auf dieses, inzwischen verhasste, große Pappschild auf dem da stand: „Dieser Betrieb wird bestreikt!“ Wütend ballte Charly in den Hosentaschen die Fäuste. Was haben nur diese bekloppten Kohlefuzzis?, dachte er sich. Die sollen doch froh sein, dass sie überhaupt Arbeit haben! Charly sah sich

schon eine weitere harte Woche hungern, in Abfällen herum wühlen oder wie ein Straßenjunge die Auslagen der Händler plündern. Er wollte schon gehen, als hinter ihm die Eingangstür der Verwaltung geöffnet wurde und eine Art Sekretär oder Buchhalter mit Nickelbrille und Leseschirm auf dem Kopf heraus schaute. „Hey Du da!“

Charly drehte sich um und schaute den Mann traurig an. „Ja was denn?“

„Ich habe dich schon ein paar mal hier gesehen. Es sieht mir so aus, als bräuchtest Du dringend Arbeit.“

„Ha! Ha! Wer brauch das nicht!“ Was Charly jetzt so gar nicht gebrauchen konnte war Mitleid von einem, der

sorgenfrei in Lohn und Brot stand. Er drehte sich um und wollte schon weiter gehen.

„Ja nun warte doch mal! Möchtest Du nun Arbeit oder nicht?“, rief ihm dieser Mann hinterher.

Charly fuhr herum. Konnte es sein? War es möglich, dass dieser kleine Schreiberling die Lösung für all seine Probleme hatte?

„Ja natürlich möchte ich Arbeit haben! Haben Sie einen Job für mich?“

„Nun ja, ich nicht direkt. Aber geh doch mal nach neben an zu Harland & Wolff. Die suchen gerade jede Menge Leute.“

Charlys Gesicht erstrahlte. Wie weg gewischt, war aller Kummer und Trübsal

aus seinem Gesicht. Ein Job in der Werft! Das wäre es doch! Er hat zwar noch nie mit der Verarbeitung von Stahl zu tun gehabt, aber Charly glaubte doch handwerklich begabt und äußerst lernfähig zu sein. Er rannte auch schon los. „Vielen Dank Sir!“, rief er noch dem Büroangestellten zurück.

„Ich wünsche dir viel Glück mein Junge!!!“

Euphorisch rannte Charly, glücklich über die Aussicht in ein paar Minuten einen Job in der Werft zu bekommen, die Straße entlang zum Haupttor der Harland & Wolff Werft.

Selbst der noch immer gleichmäßig stark fallende Regen hatte seine Tristes von vor

ein paar Minuten verloren. Alles war auf einmal in Charlys Augen nicht mehr so grau in grau, wie es ja real eigentlich auch war. Weißes, buntes oder überhaupt farbenfrohes gab es hier in Belfast nicht. Auf allem und jedem lag der permanente Grauschleier der Unmengen an Qualm und Kohlenstaub, welcher bedingt durch die unzähligen Kohleöfen dieser Zeit entstand und auch permanent neu produziert wurde.

Schon nach wenigen Minuten hatte Charly das Haupttor erreicht. Viele offensichtlich hier angestellte Werftarbeiter in Arbeitssachen strömten bereits, bewaffnet mit ihren Verpflegungstaschen, ins Werk. Und von

den Trockendocks schepperten Charly schon die stählernen Klänge der Arbeit entgegen. Jedoch waren dafür, dass es hier jede Menge Jobs geben sollte, kaum Leute in Zivil unterwegs, welche diese vielen Jobs haben wollten, oder standen zumindest vor diesem Wärterhäuschen an. Um ehrlich zu sein war Charly wohl der einzige der sich für einen dieser vielen Jobs zu interessieren schien! Doch er ließ sich nicht beirren und klopfte beim Pförtner an die Scheibe seines Kontrollhäuschens. Der ältere Herr mit einem dicken weißen Schnauzbart, hielt wohl zu dieser frühen Stunde noch ein Nickerchen und schrak bei Charlys Geklopfe auf.

„Guten Morgen Sir! Ein Freund hat mir erzählt, dass man in der Werft noch Leute sucht!“

„Du suchst Arbeit?“, grummelte der Pförtner missmutig und zückte eine silbern glänzende Taschenuhr aus seiner Westentasche.

„Ja Sir!“, erwiderte Charly gut gelaunt.

„Na dann geh mal ins Verwaltungsgebäude, eine Treppe hoch, auf den langen Flur rechts und dann die dritte Tür links.“

„Danke Sir!“ Charly war schon losgelaufen und sah nicht mehr die Handbewegung des Pförtners, die soviel bedeuten sollte wie: „So ein Spinner!“ oder „Hat der sie noch alle?“

Null Komma nix hatte Charly das Gebäude erreicht und eilte die zehn Stufen der steinernen breiten Treppe zur doppelflügeligen Tür des Eingangs hinauf. Im inneren dieses Gebäudes roch es, wie in vielen solcher behördlichen oder verwaltungstechnischen Stellen, irgendwie muffig, als wäre die Luft alt und verbraucht, was sie wahrscheinlich auch war. Doch das machte Charly nichts aus. Er wollte nur noch diesen Job! Er wollte jetzt unbedingt Schiffe bauen!

Wie geheißen rannte Charly förmlich die eine Treppe nach oben und stand auch schon bald vor besagter Tür. Mit seinen bescheidenen Lesekünsten entzifferte er die Buchstaben auf dem Türschildchen.

„Personalabteilung“ Das muss es wohl sein!, dachte sich Charly und klopfte an die Tür. Unverzüglich erklang aus dem dahinter liegenden Zimmer ein lautes „Herein!!“

Jetzt geht es los! Doch etwas nervös, öffnete Charly die Tür und trat in ein verqualmtes Büro. Es war ein schmuckloses Zimmer ohne schöne Bilder an den Wänden oder gar ein paar Pflanzen in den Fenstern oder auf dem schlichten Schreibtisch. Gleichwohl wäre es fraglich gewesen, dass die Pflanzen bei dieser Luftqualität die ersten zwei Wochen überlebt hätten.

Hinter diesem schlichten Schreibtisch saß, eine Zigarre im Mund und eine Tasse

Kaffee neben sich, ein dicker glatzköpfiger Mann, bei dem Charly hätte nicht sagen können wo der Hals anfing oder aufhörte. Bei diesem Mann ging alles so sehr in die Weite, dass sein riesiger Schädel direkt auf dem Rumpf aufgesteckt schien. Da wo sein Kopf in den Rücken überging, legte sich, als der Mann den Kopf hob die Haut in Falten und verlieh ihm etwas von einer Bulldogge.

„Guten Morgen Sir! Ich habe gehört sie suchen junge kräftige Männer, die auch anpacken können. Da ich zur Zeit leider nichts zu tun habe und schon immer mal Schiffe bauen...“

„Stopp!!!“, fuhr ihm der Mann

unfreundlich ins Wort.

Charly war etwas traurig. Hatte er sich doch diesen Eröffnungssatz für den ersten Eindruck so schön zurechtgelegt!

„Eins mal vorneweg! Nicht Harland & Wolff sucht Leute, sondern eine mit uns zusammen arbeitende Reederei sucht für die Nordatlantikroute noch ein paar Trimmer, Heizer und Chefheizer. Wir sind nur der Mittelsmann. Also hast Du noch Interesse?“

„Nach Amerika?“, fragte Charly erstaunt darüber, dass ihm auf einmal dieser Job vorgeschlagen wurde.

„Na wo denn sonst hin? Nach Norwegen etwa? Also, ja oder nein?“

„Wie würde denn meine Arbeit bezahlt?“

fragte Charly noch immer unsicher. Das kam alles so überraschend! Bis vor ein paar Minuten wollte er noch Schiffe bauen! Und jetzt sollte er nach Amerika fahren?

Die Gedanken ratterten wild durch seinen Kopf.

„Du beginnst zunächst als Trimmer, also als der Arbeiter, welcher dem Heizer die Kohle aus dem Bunker ran schafft. Dein Einstiegslohn wäre mit sechs englischen Pfund im Monat ein überaus guter Lohn. Kost und Logie werden Dir von der Reederei gestellt. Ach ja und Du hast in jedem Hafen die Möglichkeit von Bord zu gehen.“ Der dicke Mann schaute ihn einen Moment fragend aus seinen leichten

Klubschaugen an. „Also, was ist nun? Machst Du den Job?“

Charly war irgendwie sprachlos. Sollte das endlich die lang ersehnte Chance sein, das alte hoffnungslose Leben hinter sich zu lassen, um in Amerika als ein Niemand, ein Neuling, unbescholten und unbeschrieben wie ein weißes Blatt Papier, ein neues Leben, mit allen erdenklichen Chancen, in der neuen Welt beginnen zu können? Nur eine Woche Kohle schaufeln und er hätte es geschafft! Kein Mickey O´Sullivan mehr, keine Polizei mehr, jede Menge Arbeit, in einer aufstrebenden neuen Welt, und nie wieder Hunger leiden. Er könnte in seinem neuen Leben alles besser machen! Einige Dinge

anders angehen, als in seinem alten Leben, hier im grauen Belfast.

„Okay Mister! Ich bin dabei!“

„Das ist sehr gut! Mein Sohn!“ Sogleich zog der dicke Mann aus einer Schublade seines Schreibtisches ein weißes Formular hervor und legte es Charly vor. „Dann musst Du noch eben hier unterschreiben oder dein Zeichen machen, dann ist alles paletti!“

Charly tat so als würde er das Formular gewissenhaft lesen, war aber mit dem Text hoffnungslos überfordert, was er sich natürlich nicht anmerken lassen wollte.

„Scheint ja wohl alles in Ordnung zu sein! Ich kann keine Haken und Ösen

finden.“

„Dann ist es ja gut?“ Der Mann reichte Charly einen Füllfederhalter und zeigte auf eine quergezogene Linie auf dem Formular.

Mit krakeligen Buchstaben kritzelte Charly langsam seinen vollen Namen „Charles Erwin O´Keef“ auf diese Linie.

„Also gut! Wo denn alles geklärt ist, bringt dich ein Kollege von mir zu deinem Schiff. Oder musst Du noch einmal nach Hause Sachen packen?“ Der Mann musterte Charly von oben bist unten, hatte aber an seinem heruntergekommenen Outfit nichts auszusetzen.

„Oh es geht schon los?“, fragte Charly

überrascht, hatte er doch bis jetzt angenommen, dass man immer zum Monatsanfang oder zum Beginn der darauf folgenden Woche eingestellt wurde.

„Ja! Ja! Dein Schiff liegt schon im Hafen. Morgen beginnt deine Einarbeitungszeit, damit es am 2. April los gehen kann.“

„Ich brauche nicht mehr nach Hause Sir.“, gab Charly beflissen zurück, als würde er mal für ein zwei Tage verreisen und nicht sein ganzes altes Leben zurück lassen.

„Warte einen Moment hier! Ich rufe eben meinen Assistenten.“ Ächzend erhob sich der dicke Mann angestrengt aus seinem Bürostuhl und wälzte seinen massigen Körper in ein Nebenzimmer seines Büros.

„Billy!!“, rief er durch die geöffnete Tür

ins Nebenzimmer. „Hier ist ein Neuer! Bring ihn eben rüber zu seinem Schiff!“

„Alles klar Chef!“, antwortete ihm eine noch junge Männerstimme.

Der dicke Mann schleppte sich zurück an seinen Schreibtisch. Hinter ihm erschien ein zierlicher Blondschopf mit Nickelbrille, weißem Hemd, schwarzer Weste und schwarzer Hose. Die dazu gehörige Krawatte oder Fliege hatte er wohl für die Arbeit abgelegt. Er schmiss sich gerade sein schwarzes Jackett über.

„Guten Morgen!“, begrüßte er Charly. „Können wir dann?“

„Meinetwegen!“

Der Bursche, er war wohl zwei oder drei Jahre jünger als Charly verließ das Büro

seines Chefs durch die andere Tür auf den Flur. Charly folgte ihm wie ein Hund seinem Herrn.

Draußen auf dem Werftgelände herrschte inzwischen reges Treiben. Scheinbar Tausende Arbeiter wuselten, Ameisen gleich, kreuz und quer über das Gelände. Entweder waren sie unterwegs zu ihren jeweiligen Arbeitsplätzen oder, die Frühschicht, die wohl unmittelbar nach Mitternacht begonnen haben musste, war zu Ende. Die von Rost, Ruß und Staub verschmutzten Arbeiter drängten sich zum Hauptportal des Werftgeländes.

Der Geräuschpegel war enorm. Allenthalben mussten Charly und der junge Bursche aus weichen, um nicht von

einigen Werftarbeiten angerempelt oder gar umgerissen zu werden.

„Wie kommt es denn, dass Du gerade Heizer werden möchtest!“, fragte der Bursche laut, den Lärm der Werft übertönend.

„Zu diesem Job bin ich wahrscheinlich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Eigentlich wollte ich hier in der Werft arbeiten. Tcha nun ist es halt die Stelle als Trimmer geworden.“

„Ich staune nur, dass Du so einfach eingewilligt hast.“, entgegnete der Bursche laut und stoppte.

„Wieso?“ Charly wusste nicht worauf sein Gegenüber hinaus wollte.

„Na ja! Also ich wollte nicht auf einem

solchen Schiff arbeiten. Diese Serie ist vom Pech verfolgt. Darf ich Dir vorstellen, dein Schiff!“ Billy streckte den Arm seitlich aus. Charly folgte seinem Wink. Sie standen vor einem riesigen Monstrum eines schwarzen Schiffskörpers, welcher am langen Betriebskai vor diesem riesigen neuen Trockendock lag. In der Ferne am Bug konnte Charlie in weißen stählernen Lettern, welche auf die oberen Stahlplatten aufgenietet waren den Namen des Schiffes lesen „TITANIC“. Charly entglitten sämtliche Gesichtszüge. Schlagartig waren die Bilder jenes verhängnisvollen Tages wieder vor seinen Augen, als sein doch relativ geregeltes

Leben völlig aus der Bahn geworfen wurde, als er auch beobachtete, wie auf jenem Schiff seltsame Dinge vor sich gingen. „Oh mein Gott! Was habe ich getan?“

„Ja hast Du denn deinen Vertrag nicht durchgelesen, bevor Du ihn unterschrieben hast?“

„Ja schon! Es ist mir nur nicht so aufgefallen!“, log Charly.

„Du hast bei der White Star Line unterschrieben.“

„Kann ich noch absagen?“, fragte Charly unsicher.

„Leider nein! Du hast dich für wenigstens eine Überfahrt verpflichtet. Frühestens in New York kannst Du abheuern.“


An Bord der Titanic, 31. März 1912

„Also O´Keef! Ist das jetzt endlich bei Dir angekommen!? Der Heizer muss ständig Kohle vor der Schaufel haben.“, wurde Charly vom Chefheizer ruppig angeschnauzt, nur weil er etwas zu langsam die Kohle aus dem Bunker hervor zur Ausschüttluke geräumt hatte. „Nur wenn die Kessel ständig unter Volldampf laufen kann das Schiff seine volle Leistung abrufen.“

Der Heizer, für den Charly in jener Schicht zuständig war, grinste breit,

während Charly vom Oberheizer zusammen gefaltet wurde. Von einer einheitlichen Heizercrew konnte hier auf diesem Schiff wirklich keine Rede sein. Die Oberheizer führten sich auf wie die Könige und behandelten die Heizer von oben herab. Die Heizer wiederum ließen ihren Frust darüber an den Trimmern aus. Wer nun meinte, die Schiffsführung würde eine solche Hackordnung in keinster Weise tolerieren, der irrte! Vielmehr war es so, dass dieses Benehmen indirekt sogar noch gefördert wurde! So war die Verpflegung und Unterkunft der Oberheizer besser als die der normalen Heizer. Die wiederum waren besser gestellt als die einfachen Trimmer.

So waren Streitigkeiten und Unruhen in der Heizercrew an der Tagesordnung.

„Also bewege gefälligst deinen knochigen Arsch etwas schneller! Sonst gibt es Abzüge an deiner Heuer! Klar!?“

„Ja Chef!“, rief Charly aus dem inneren des brüllend heißen Bunkers und brach mit einer Picke die ebenso heiße Kohle los. Innerlich fluchte er nur. Hätte ich bloß nie unterschrieben! Ich Idiot! Nur diese eine Überfahrt! Dann bin ich weg! „Warum nur ist das hier drin so verdammt heiß!?“ brüllte Charly wütend nach draußen und schlug erneut etwas heiße Kohle aus diesem einzigen hoch gepressten Kohlemassiv des Übungsbunkers Nr.6, an dem die neue

Crew schon seit Tagen eingewiesen und trainiert wurde.

„Hä hä!“, rief ihm vom Kesselraum sein Heizer in den Bunker. „Weil die Kohle das macht, was Du nicht machst! Nämlich arbeiten!“

„Ach halt doch dein Maul Mann!“, schrie Charly und schob dem Heizer mit einer Art Schieber einen weiteren Haufen Kohle zu.

Endlich läutete die schrille Klingel für den Schichtwechsel. Zumindest würde das auf See das Zeichen dafür sein. Doch heute während dieser Vorbereitung bedeutete die Klingel nur, dass für diesen Tag Feierabend war.

Eilig krabbelte Charly aus seinem

Bunker, richtete sich auf und stand vor Miller, seinem Heizer, ein grobschlächtiger Kerl aus Liverpool, der sich vor ihm aufgebaut hatte.

„Wie war das eben, Du mieses kleines Irenschwein?“ Mit einer schnellen Kopfbewegung rammte er Charly seine Stirn ins Gesicht, worauf hin der zurück stürzte und sich seinen Schädel an der stählernen Ausschüttluke seines Kohlebunkers stieß. Wütend rappelte sich Charly auf und stürzte sich wie ein Löwe auf Miller. Wenn Charly in einem geübt war, dann darin, sich seiner Haut zu erwehren oder aber auch handfest auszuteilen. Wuchtig wie ein Rugbyspieler sprang er Miller in die

Magengrube und riss ihn nach hinten um.

Sofort bildete sich eine Menschenmasse aus anderen Trimmern, Heizern und Oberheizern um die Beiden und feuerten lautstark den einen oder anderen an. Die Trimmer hielten mehr zu Charly und die Heizer eben zu Miller.

Der flog mit Charly nach hinten auf den Stahlboden. Sofort begann Charly damit seinen Gegner mit einer Reihe von Faustschlägen ins Gesicht einzudecken. Doch Miller war auch nicht aus Pappe und schlug Charly mit einem gekonnten Schwung seiner Beine zur Seite weg. Sofort rappelten sich beide wieder auf. Doch Miller war etwas schneller und verpasste Charly einen schweren Tritt in

die Magengrube. Überwältigt von der Wucht und dem Schmerz sackte er zusammen. Miller wollte sich schon wieder auf ihn stürzen als das laute Brüllen des leitenden Heizers Frederick Barrett durch den Kesselraum dröhnte.

„Aufhören! Ihr miesen kleinen Schwanzlutscher! Wenn ihr nicht wollt, dass ich Euch einen ganzen Tageslohn abziehe, dann lasst den Scheiß!“ Barretts Wort hatte Gewicht, dem auch alle untergebenen Trimmer, Heizer und Oberheizer folge leisteten, unterstand doch der leitende Heizer keinem geringeren als dem technischen Offizier!

Sofort ließ Miller von Charly ab.

„So! Und nun verpisst Euch in Eure Quartiere!"

Die Heizer und Trimmer verließen murmelnd miteinander redend den Kesselraum. Nur eben Charly nicht! Der war noch etwas benommen und starrte mit schmerzverzerrtem Gesicht vor sich hin. Er hielt sich noch immer den Magen während er vor sich am Sockel eines Kessels eine Maschinenplakette aus Blech betrachtete. Auf ihr waren der Typ und die Seriennummer des Heizkessels sowie seine Leistungsparameter vermerkt. Wahrscheinlich beim Einbau, hatte man direkt neben dem Schildchen noch die Zahl 400 in den Stahl des Sockels gestanzt.

Gequält und ächzend erhob sich schließlich auch Charly und schleppte

sich in die ärmlichen Quartiere der Trimmer.

Um zu den Quartieren der Trimmer zu gelangen, musste er zunächst einige steile Treppen überwinden und vor dem Verlassen der Kesselräume die Luke einer Schottwand zwischen den Mannschaftsquartieren und den Kesselräumen passieren. Wieder fiel Charly eine solche Plakette an der Luke auf. Sie sah eigentlich genauso aus wie jene am Sockel des Heizkessels. Nur zwei Sachen fielen ins Auge. Zum einen stand da, oben an in den Stahl der Luke gestanzt „RMS TITANIC“. Das war ja auch normal! Die Luke war ja auch Teil der Titanic. Es folgte die Plakette mit den

technischen Daten. Das war auch normal! Dafür waren diese Plaketten ja auch da. Nur untenan irritierte Charly etwas. Untenan hat man wieder ein Zahl in den Stahl der Luke gestanzt. Sie lautete jedoch diesmal 401. Charly konnte die Bedeutung dieser Entdeckung noch nicht richtig einschätzen und schleppte sich weiter zu seinem Quartier.

0

Hörbuch

Über den Autor

PorterThomson
Ich schreibe hauptsächlich um zu unterhalten. Dabei möchte ich Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts und egal welcher Herkunft unterhalten. Meine Ambitionen liegen bei den spannenden und aufregenden Romanen. Jedoch experimentiere ich hin und wieder auch mal an anderen Genres herum. Mehr über mich: www.porterthomson.de.tl sowie bei Facebook: "Porter Thomson, Autor aus Cuxhaven" und bei Google+ unter der web-Adresse: https://plus.google.com/+PorterThomsonAutorausCuxhaven/posts

Leser-Statistik
7

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Zeige mehr Kommentare
10
0
0
Senden

107281
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung