Romane & Erzählungen
Zweites Leben - Teil 5

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"Zweites Leben - Teil 5"
Veröffentlicht am 21. Februar 2014, 30 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Zweites Leben - Teil 5

Zweites Leben - Teil 5

6. Kapitel Schneesturm bei 20 Grad Das Geheimnis meiner neuen Familie, der Schock und die Erleuchtung. Die Tage vergingen immer schneller, und Weihnachten stand vor der Tür. O nein. Weihnachten ohne meine Familie, aber mit meiner Neuen. Ich hatte bereits alle Geschenke gekauft. Lars und Micky bekamen beide einen Aufkleber für ihre Autos oder Mofas und ein Duschgel. Ich meine, von größeren Brüdern und Geschenken für sie hatte ich gar keine Erfahrung. Ich wusste nicht einmal, ob sie mir was schenken

würden. Für Elly hatte ich eine selbst gebastelte Karte und ein teures Parfüm. Marc bekam das, was ich eigentlich meinem Vater schenken wollte. Es war eine kleine Schachtel, in der ich etwas kleines Silbernes versteckt hielt. In der Schachtel war ein winziges Auto, ich wusste nicht, ob es Marc gefällt. Aber ein Autofan war er ja. Und jetzt mal zu den wichtigeren Dingen: 1. Ich hatte mich immer noch nicht für die schwarzen Schwäne entschieden. 2. Die Jungs haben mich gefragt, ob ich bei ihrer Bande mitmachen möchte, aber das können sie sich gleich wieder abschminken. Als ob ich als erstes und

einziges Mädchen mit sechs Jungen in einem Auto im Wald, schlafen würde. 3. Judith und Lara kannten mich immer noch nicht. 4. Ich habe herausgefunden, was los war. Noch mal zurück zu Freitag. In der ersten Stunde hatten wir Kunst, da sitze ich neben Judith, immer noch. Und ich habe es ausgenutzt, sie mal zur Rede zu stellen. Erst war sie ganz still und starrte auf ihr Blatt, dann hab ich sie gelöchert. Bis sie schließlich aufgab. Sie sagte nur: „Tu nicht so, als ob du es nicht weiter gesagt hättest.“ Ich wusste zu dem Zeitpunkt immer

noch nicht, was ich weiter erzählt haben sollte. Von dem Baumhaus hatte ich keinem was erzählt, das wussten doch sowieso schon alle. Aber genau das meinte sie. Heute ist Dienstag und ich habe heute meine Aufnahmeprüfung zur Theatergruppe in der Schule. Ich liebe das Theater. Keine meiner Freundinnen mochte das Theater auch nur ansatzweise. Saskia glaubte aber fest an mich. Sie meinte, ich hätte wirklich Talent. Jill hatte auch das erste Mal etwas Nettes zu mir gesagt, ich glaubte, dass das Eis zwischen uns langsam zu Schmelzen

begann. Alle wollten mich begleiten, die schwarzen Schwäne und die Wildkicker, die anderen aus der Klasse interessierte es nicht! Das machte die Sache nicht gerade leichter, zu wissen, dass alle meine Freunde im Publikum saßen und mich anfeuern wollten. Nach der sechsten Stunde versammelten sich alle „Möchte gern Schauspieler“ in der Aula. „Hallo, alle zusammen, also es gibt nur zwölf Rollen zu vergeben!“, nuschelte eine ältere Lehrerin vor sich hin, „Das Stück heißt: Küss die Nachtigall! Wir sind vierzehn, also müssen zwei

nachher nach Hause gehen. Ich möchte, dass sich jetzt jeder das Drehbuch durchliest und entscheidet, welche Rolle zu ihm passt.“ Jeder schnappte sich eins der Bücher, man hätte eher Hefte sagen sollen und begann zu lesen. Das Drehbuch hatte nur sechszehn Seiten. Es war ja auch nur ein Trailer zu dem ganzen Theaterstück. Ich glaubte, dass die Holde Jungfrau zu mir passen würde, dann müsste ich mich zur immer über den Lärm und die Dienstboten beschweren. Am Ende müsste ich auf grausame Weise ermordet werden. Und das von meiner eigenen

Tochter. Noch ein anderes Mädchen interessierte sich für diese Rolle. Wir bekamen beide den gleichen Text und mussten ihn innerhalb von zehn Minuten auswendig lernen. Anschließend spielten wir das Stück einmal mit ihr, dann einmal mit mir in der Rolle der Holden Jungfrau. Ich glaube, ich hatte viel mehr Chancen als sie. Nach der siebten Stunde trudelten dann auch alle meine Freunde nacheinander ein. O Gott, wie peinlich! Um halb vier sollte das erste Stück beginnen. Da spielte ich meine Rolle. Es machte wirklich Spaß!!!

Alle applaudierten, als ich mit dem tollen Kostüm, als Leiche, über die Bühne gezogen wurde. Alle waren begeistert von meinem Gesichtsausdruck, als meine Tochter, die von Laura gespielt wurde, mich erstach. Die Lehrer wollten sich noch beraten, wer die Rolle bekam, am Ende der Woche sollte das Ergebnis feststehen. „Du warst wirklich super!“, Ninas Augen leuchteten vor Freude. „Man hat richtig mitgefiebert“, murmelte Jill. „Die andere hat null Chancen gegen dich! Du wirst bestimmt mal Filmstar.“ „Ja klar, Steven Spielberg kommt hier in

diese Kleinstadt und entdeckt mich?!“, scherzte ich. „Kann doch sein“, Madleén kicherte ein wenig, sie wollte es aber ernst meinen. „Nach allem, was dir passiert ist, wirst du wieder Glück bekommen. Sonst verliert die Waage an Gleichgewicht!“, Nina seufzte. „Ach, Quatsch.“ „Nein, Leo, du warst wirklich gut!“, meldete sich Saskia leise. „Und wenn schon, ich werde nur hier auf der Bühne stehen können. Und ermordet werden können!“, ich schaute nur auf meine Füße, während wir durch den Schnee, in Richtung Bandenquartier

liefen. „Wir können ja ein eigenes Theaterstück schreiben, und dafür Eintritt bezahlen“, schlug Nina vor. „Ja, und von dem Geld kaufen wir uns dann ein neues Dach für unseren Schuppen.“ „Das wäre ne gute Idee, aber wer würde das Theaterstück schreiben?“ „Und wer würde es sehen wollen?“ „Und auch noch bezahlen?“ „Unsere Eltern, aber dann bekämen wir höchstens zwanzig Euro zusammen.“ „Ja, und, davon können wir uns eine neue Plane kaufen, die wir dann über das Dach legen könnten. Das reicht doch auch aus!“, Saskia klang

wütend. Ich fand das mit dem Bandenquartier immer noch ziemlich dämlich. Vor allem in diesem Wald. Und direkt bei dem Förster. „Was sagt der Förster eigentlich dazu?“, fragte ich. „Welcher Förster?“ „Der komische Mann, der da auf der Lichtung wohnt!“ „Auf welcher Lichtung?“ „Wisst ihr das nicht? Hab ich den noch nie gesehen?“ „Wen?“, fragte Nina, Saskia und Madleén gleichzeitig. „Soll ich euch sein Haus, oder eher gesagt Hütte zeigen?“, fragte ich

schnell. „Okay“, Nina schien zu bezweifeln, dass es eine Hütte gab. Aber eigentlich müssten sie sich doch hier besser auskennen als ich, oder? Ich führte sie zu der Straße, über die Lars geschossen war. Dann suchte ich die Abzweigung. Nach einigen Fehlschlägen fand ich die richtige Lücke zwischen den Büschen und zeigte auf den leeren Platz. Wie in meiner Erinnerung bestand die Lichtung aus Schlamm und Kies. Keine Schneeflocke war dort hingekommen. Und wie beim letzten Mal war es mucksmäuschenstill hier. Nicht ein einziger Vogel zwitscherte.

Ich hörte Saskia hinter mir schlucken. „Ihr wisst, was für eine Hütte das ist, oder?“ „Sch!“, befahl Nina. „Was denn?“, fragte ich schnell. „Hast du schon mal was von NUNI gehört?“ „Ja, ich hab es als Buch!“ „Du hast es aber noch nicht gelesen, oder?“ „Nein, warum?“ „Das Buch ist die Geschichte von einem Mädchen, das hier ermordet wurde. In diesem Wald, in dieser Hütte. Von diesem Bewohner.“ Die Äste knackten hinter mir. Jill und

Madleén machten sich aus dem Staub. Nina nahm meinen Arm: „Komm, und geh hier niemals allein hin!“ Wow, ich konnte mir gut vorstellen, dass er jemanden umgebracht hatte. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass Lars für ihn … Und warum wurde er nicht verhaftet? Tausend Fragen schlichen durch meinen Kopf. Mein toter Bruder war ein super Detektiv gewesen. Er hätte diesen Fall gelöst, aber er ist … ..tot. Wir standen wieder vor dem Wald und merkten erst jetzt, dass es schon dämmerte. Wieder hätte ich mir

gewünscht, dass Schnee lag. Aber die Pampe klebte bloß an meinen Schuhen. Die Felder um uns herum waren in ein tiefes Braun getaucht. Unheimlich. Ich war bei einem Mörder im Haus gewesen. Nina merkte mir meine Angst an und flüsterte schnell: „Keine Angst, es ist nur eine Geschichte.“ „Nein, ist es nicht“, Jill schrie fast, so entsetzt war sie. Jetzt schauten alle in ihre Richtung. In der Dunkelheit, die immer näher zu schleichen schien, sah ihr Gesicht wie die Maske eines Vampirs aus. Sie hatte generell einen weißeren Hautton. „Ein Mädchen wurde wirklich

getötet! Ihr wisst es und Leonie müsste es auch wissen. Schließlich betrifft es sie am meisten!“ „Was, mich?“, fragte ich entsetzt, „Warum?“ „Deine Pflegeeltern“; sie sprach es vorsichtig aus, um mich nicht zu verletzen. „Hatten ein eigenes Kind!Sie war zwei oder drei, doch sie verschwand eines Abends und wurde tot im Wald aufgefunden.“ „Was?“, kreischte ich. „Du hättest es nicht jetzt oder heute sagen sollen!“, flüsterte Saskia Jill zu, aber ich hörte sie genau. Elly, Marc, und Lars (falls er es

überhaupt wusste) haben es ja gut vor mir geheim gehalten. Die arme Elly! Deshalb war sie so herzlich zu meinen Freundinnen und mir. Sie kann immer so gut mit Mädchen umgehen. Ich starrte schon seit einigen Minuten auf einen Grashalm, der zwischen meinen Füßen war. Meine Stirn hatte tiefe Falten bekommen und meine Augen waren riesen groß. Saskia stand neben mir, auf der anderen Seite stand Madleén. Jill hatte sich ein wenig in den Hintergrund gestellt, wahrscheinlich war sie jetzt sauer auf sich selbst. Ich fand es aber richtig, dass sie es mir gesagt hatte. Sonst würde ich immer noch im Dunkeln

tappen. „Leute, es fängt an zu regnen“, sagte Nina ruhig. Keiner von den anderen bewegte sich, nur Nina. Sie hüpfte nervös von einem Bein aufs andere. Anscheinend war ich nicht die Einzige, die noch nicht Bescheid wusste. Auch Saskia und Madleén waren überrascht. „Ich dachte das wär nur eine Geschichte“, flüsterte Saskia mit starrem Blick, vermutlich auch auf einen Grashalm gerichtet. „Und ich hatte nicht gewusst, wessen Kind das Opfer war“, Madleén starrte auf ihre Hände, die vor Kälte zitterten. Es regnete wirklich schon, doch niemand

rührte sich. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Saskias wilde Locken immer glatter wurden. Madleéns Pferdeschwanz klebte an ihrer Kapuze fest. Die anderen beiden konnte ich nicht sehen. Sie standen sicher hinter uns. Mir liefen kalte Eistropfen über die Stirn, erst das erweckte mich wieder aus meiner Starre. Auch meine braunen Haare klebten an meinem Gesicht. Ich löste den Blick von dem Grashalm und drehte mich zu Nina und Jill um. Die Beiden standen nah beieinander. Sie hatten ihre Kapuzen übergezogen. Mit zusammengepressten Lippen wollte Jill sich entschuldigen. In ihrem Blick lagen

Trauer, Angst und Vergebung. „Ist schon okay, ich musste es ja irgendwann erfahren“, ich lächelte ein gequältes Lächeln und nahm ihre Hand. Nina folgte uns, als wir uns in Richtung Stadt schlichen. Auch Madleén und Saskia gingen mit uns. Meine Schuhe waren völlig durchnässt. Die Schlaglöcher in der alten Landstraße hatten sich alle mit Regenwasser gefüllt und wurden zu einem natürlichen Hindernis für meine Füße. Das störte mich aber nicht, denn aus meinen Schuhen quoll bei jedem Schritt mindestens ein Liter Wasser

heraus. An der Ecke zu meiner Straße verabschiedeten wir uns alle. Ich ging noch langsamer nach Hause. Ich überlegte mir, wie ich Elly oder Marc fragen sollte. Zuerst wollte ich aber Lars fragen. Ich glaubte zwar nicht, dass er mir weiterhelfen könnte. Aber einen Versuch war´s wert. Ellys Herz wollte ich nicht schon wieder brechen, also ich hab es ihr ja noch nie gebrochen. Aber der Tod ihres Kindes hatte sie bestimmt sehr mitgenommen. Ich weiß ja, wie es ist, jemanden zu

verlieren, der die Wichtigsten in seinem Leben waren. Ich hatte meine Familie ja wenigstens noch kennenlernen dürfen. Dreizehn Jahre hatte ich Zeit dafür. Elisabeth und Marc hatten ja nur drei. Über Lars Familie wusste ich auch nicht viel. So viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf, und so viele Antworten gab es nicht. Wahrscheinlich bekam ich auch nie die Gelegenheit, alle zu stellen. Ich bezweifelte schon, dass mir überhaupt einer antworten würde. Entweder würde ich nur unser Leben versauen, wenn ich wieder mit dem Tod anfing, oder ich würde in tiefe Depressionen gestürzt werden. Ich

konnte es nicht ertragen, Elly weinen zu sehen. Und besonders nicht, wenn ich wüsste, Schuld daran zu sein. Ich entschloss mich, als ersten Lars auszuquetschen. Hoffentlich konnte er mir gute Antworten geben. Und wenn nicht, würde ich mich an Jill wenden. Nuni. Ja, das Buch. Ich musste das Buch lesen, um mehr zu erfahren. Hatte Elly es mir deshalb gekauft? Sollte ich etwas über sie herausfinden? Sollte ich nach Spuren in dieser Hütte suchen, in der das Mädchen anscheinend umgebracht wurde? Wollte sie mich auf ihre Art aufklären? Und wie lange war es her? So alt waren Marc und Elly ja gar nicht.

Marc war dreiundvierzig und Elly war neununddreißig, also konnte der Tod des Mädchens höchstens zwanzig Jahre her sein. Warum war das Buch denn in so einem altertümlichen Schriftstil geschrieben? „Leo? Wo warst du? Und warum stehst du da im Regen?“, Elly stand in der Haustür und rief meinen Namen. Ich drehte mich zu ihr und ging quer über den Rasen in Richtung Haustür. „Ich hab völlig vergessen, dass ich schon vor dem Haus stehe!“, stammelte ich. Naja, ich hatte mir schon eine bessere Ausrede einfallen lassen! „Ist jetzt egal, komm erst mal rein!“, befahl sie und zog meinen nassen Arm

ins Haus. Nachdem ich die nassen Sachen ausgezogen hatte und durch trockene ersetzt hatte, fuhr Elly mich zum Arzt. Denn mein Verband um die Hand und um das Bein war total aufgeweicht. Es war ein mieses Gefühl, wieder beim Arzt zu sein. Ich wollte in meinem Leben nie mehr ins Krankenhaus! Da würde ich lieber sterben, als wieder an ein Bett gefesselt zu sein. Dadurch hatte ich sogar die Beerdigung meiner eigenen Familie und meiner Freundin verpasst. Wie gern hätte ich mich noch von ihnen verabschiedet! Mit einem nach Medikamenten

stinkenden Bein und einer neuen Schiene um den Arm fuhren wir wieder nach Hause. Während der Fahrt schaute Elly mich besorgt an. Ich starrte aus dem Fenster, dann aufs Armaturenbrett. Wir hatten halb sieben. Marc müsste gleich nach Hause kommen. Wo Lars war, wusste ich nicht. „Was ist los?“, fragte Elly besorgt. „Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt.“ Ich antwortete nicht, starrte einfach nur raus in den Regen. „Was ist passiert?“, fragte sie wieder, dann probierte sie zu scherzen: „Du siehst aus, als hättest du eine Leiche

gefunden.“ So in der Art war es auch. Sie lag gar nicht mal so daneben. Jetzt folgte der Schneesturm. Eine Mutter (Pflegemutter), die sich viel zu große Sorgen macht, fragt einen nach dem Ereignis, das sich offenbar in meinem Gesicht spiegelte wie in einer Fensterscheibe, bei Nacht. Sollte ich ihr sagen, was ich wusste? Nein, lieber nicht. Würde sie mich weiter mit meinen Freundinnen spielen lassen? Würde sie Judith und Lara anstiften, wieder nett zu mir zu sein? Oder musste Lars jetzt den Freundschaftsersatz

spielen? Nein, danke. Micky sollte in ein paar Tagen wieder kommen, denn Weihnachten stand vor der Tür. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich nach dem Mädchen … nach NUNI, fragen sollte. Nicht vor Weihnachten, dass stand fest. Aber auch nicht, bevor ich das Buch gelesen

hatte!!!

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Stephi96

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