Humor & Satire
Früher, früher, früher

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"Der Meister der Siebenzeiler schreibt über Dinge, die, äh, mal waren."
Veröffentlicht am 13. Februar 2014, 16 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Der Meister der Siebenzeiler schreibt über Dinge, die, äh, mal waren.

Früher, früher, früher

Früher, ja früher, da war alles besser! Ich sag das jetzt nicht nur so, ich kann mich ja erinnern. Früher, da hatten wir zum Beispiel diese Eisdiele in der Stadt, direkt am See. Meine Mutter ging mit uns Kindern hin und ließ einen riesigen Kübel mit Softeis füllen, was dann ein paar Pfennige kostete und nicht wie heute, ein bis zwei Euro für eine Miniaturmurmel Synthetikeis. Von dem Kübeleis zehrten wir Tage, Wochen, ach was, Jahre wahrscheinlich. Und wie groß früher die Kübel waren! Gut, vielleicht war mein Kopf auch einfach kleiner als heute, aber Fakt ist, heute gibt es überhaupt keine Kübel mehr. Außer Kotzkübel, und die können bekanntlich

nicht groß genug sein. Früher wohnte ich noch bei Mama. Und das war, obwohl ich kein Geld hatte, toll, denn zumindest der Kühlschrank war immer so prall gefüllt, dass ich vor lauter Starren auf den Warenüberschuss jedes Mal einen Anschiss bekam, ich solle die Kühlschranktür zumachen. Heute mach ich die Kühlschranktür auf, und alles, was mich anlacht, ist ein Stück Wurst, von dem immer zu Befürchten ist, dass es schreiend wegläuft, sobald meine Hand sich nähert. Und bei Mama gab es Taschengeld, das reichte hinten und vorne nicht. Die Anschaffung einer neuen Spielkonsole

zum Beispiel wurde da zu einem echten Projekt. Ein Projekt, bei dem am Ende tatsächlich was rauskam, nämlich ‘ne Konsole. Heute habe ich unzählige Projekte und bekomme unverschämt viel Geld dafür. Und trotzdem kommt am Ende irgendwie immer was heraus, von dem man nicht weiß, ob man gerade ein Gesicht oder zwei Arschbacken vor sich hat. Lauter digitale Picassos, oder anders ausgedrückt, unzählige Miniaturhauptstadtflughäfen. Na Prost Mahlzeit! Da war eine Spielkonsole definitiv griffiger. Früher hatten wir auch kein Telefon. Es gab zwar Telefonzellen, aber die waren

nur zum Reinpinkeln, weil auch sonst niemand, den man kannte, ein Telefon hatte. Wer dennoch ein Telefon besaß, so wetterte mein Vater gerne, war bei der Stasi. Über die roten Socken meckert er heute noch, aber heute haben alle ein Telefon. Tragen es sogar mit sich herum und gehen trotzdem nicht vor die Tür. Früher war das anders. Da hätte selbst die NSA noch persönlich auf Kaffee und Kuchen vorbeikommen müssen. Überhaupt, wenn man was von jemandem wollte, dann musste man entweder einen Brief schreiben und für immer warten, weil keiner zurückschrieb, oder man musste zu Fuß losstiefeln. Und wenn ich dann durch den scheiß Regen marschiert

war, bei einem meiner Freunde klingelte, nur um von der Mutter zu hören, der Sebastian habe leider Hausarrest, der könne darum nicht raus, weil er böse war, dann war man nicht nur angefressen, nein, man musste auch durch den besagten scheiß Regen zurückmarschieren. Immerhin bekam man vom vielen Marschieren keinen fetten Arsch. Aber früher wurden wir ja auch noch abgehärtet. Früher hatten Mut, Ehre und Tod fürs Vaterland noch einen echten Stellenwert. Das bekamen wir zu jeder Gelegenheit von unserer Kindergärtnerin eingetrichtert, wenn sie uns Geschichten

von heldenhaften Soldaten erzählte. Die Bilder dazu hingen ja an der Wand, und auf der hohen Anrichte stand ein großer Modellpanzer, den niemand anfassen durfte. So ging Pädagogik in der sterbenden DDR. Und gegen 12 ging es links-zwo-drei-vier zum Mittagessen. Überhaupt konnte man noch was ab, durch all den Kindergartendrill. Ich weiß noch ganz genau, wie ich das Titellied von »Werner – Beinhart!« summend um die Ecke rannte und plötzlich mit dem Auge auf einem Stuhlbein steckte, weil irgendwer aus Gruppe 3 unbedingt sein Sitzmöbel durch die Gegend wuchten musste. Und, hat’s mir geschadet? Pah! Ein Kübel Vanilleeis, und das Matschauge

war vergessen. Heute dagegen kriegen die Leute vom Kurbeln auf ihrem MP3-Player einen iPod-Daumen. Und was die dauerkrumme Haltung der Smartphone-Jünger langfristig mit dem Genpool anstellen mag, will ich mir gar nicht erst ausmalen. Leute, denkt doch an Darwin! Früher waren wir außerdem noch richtige Männer, obwohl wir kleine Jungs waren. Mit bloßen Händen hoben wir metertiefe Gruben im Wald aus, bedeckten sie mit Baumstämmen und Erde und verkrochen uns konspirativ darin wie Vietcong. Und unsere Buden waren reine Männersache. Wäre da ein Mädchen aufgekreuzt, hätten wir dem

aber gezeigt, wo der Konstrukteurshammer so hängt. Schon deswegen, weil Mädchen natürlich per se igitt waren, bis ihnen plötzlich Brüste wuchsen. Heute dagegen lassen wir die Frauen freiwillig in unsere Wohnungen, wo sie dann ohne zu fragen dekorieren, wie es ihnen gefällt. Blumenvasen, Buchstützen, Kerzenhalter und Tischdeckchen hätte in unseren Untergrundbuden jedenfalls keiner geduldet. Und nicht nur das, früher waren wir natürlich insgesamt auch fitter. Nichts knackte, weil Knochen Dinge waren, die nur alten Leuten passierten, und keiner

musste nach Feierabend joggen gehen, schließlich hatten wir Sportlehrer – sadistische Viehtreiber, die tagsüber darauf schauten, dass bei uns Jungs der Schweiß lief und bei den Mädels die Brüste wippten, und die abends kräftig ins Glas guckten. Überhaupt war die Schule früher im Nachhinein eine ganz effiziente und korrekte Angelegenheit: Ski waren noch nicht Schi, Jogurt und Spagetti hatten ihr H noch nicht verloren, von Majonäse und Ketschup fange ich lieber gar nicht an, und immerhin lernte man hin und wieder noch was, das man wirklich gebrauchen konnte, so was wie die Tiere des Waldes statt alle Pokémon und ihre

Entwicklungsstufen. Heute dagegen lerne ich jeden Tag was Neues und kann überhaupt nichts davon gebrauchen. Dafür war ich früher in der Freizeit faul, und das war gut so. Früher musste ich nichts schreiben, kein Instrument lernen, nicht lesen und auch sonst nichts tun, um mich irgendwie selbst zu verwirklichen, bevor es zu spät war. Da wurden die Wolken von ganz alleine lila, wenn man Mist gebaut hatte und die Eltern wutentbrannt nach Hause kamen. Nicht mal Nachrichten musste man anschauen, weil ja immer alles gleich blieb: Der Kohl war seit 100 Jahren Bundeskanzler, die FDP noch kein

Kleinbühnenkabarett, und in der SPD saßen noch linke Säue und keine Finanzmarktderegulierer mit lobbygesponserten Filzpantoffeln. Und so konnte ich früher einfach ungestört hinter dem Haus auf dem Rasen liegen und über die Formen der Cumuluswolken nachsinnieren, während mein bester Freund hinter mir getrocknete Hundekacke so weit warf, wie er konnte. Und all diese Kleinigkeiten erst: Früher gab es kein Klima, sondern nur Wetter. Und das Ozonloch war zwar ‘ne blöde Sau, aber es war wenigstens wirklich da, und keiner stritt sich darüber. Vielleicht waren die Menschen früher auch einfach

klüger. Früher schloss man sein Privatleben noch gut sortiert in Schreibtischschubladen ein, statt Sichtbarkeitsbeschränkungen für seine Timeline festzulegen. Früher waren sogar die Terroristen noch schlauer. Da wurde erst gebombt und dann gefordert. Heute haben die Bombenleger sogar eigene Fernsehshows und Webseiten und wundern sich dann, wenn der Obama wieder mal ‘ne flotte Drohne mit ‘nem frischen Strauß Luft-Boden-Raketen vorbeischickt. Früher hatten wir keine Bananen, dafür schmeckten die, die wir nicht hatten, himmlisch, während heute die fair gehandelten und nach EU-Norm vorsortierten Bio-Sonnenfrüchte

kiloweise in den Supermarktregalen vergammeln. Früher starb nur der Wald, heute stirbt gleich der ganze olle Planet. Früher hatten wir keine Computer, wir hatten eine Handschrift. Wir hatten nur fünf Fernsehsender, dafür waren die genauso beschissen wie die dreihundert Sender von heute. Früher durften Menschen in Deutschland nicht gefoltert werden, heute schickt man sie ins Dschungelcamp, steckt ihnen dort Mehlwürmer in den Anus und feiert die Quote, früher, früher, früher. Und doch … Wie sagte Uli Hoeneß, bevor er mit Alice Schwarzer in Zürich einen heben ging: Mir san mia. Genau,

ich bin ich, heute wie damals und wie künftig, und in zwanzig Jahren werde ich zurückblicken, und selig an die Zeit denken, in der wir noch mittelalterlich anmutende Mobiltelefone mit Touchscreen in den Hosentaschen spazieren trugen und uns nicht mit plötzlich explodierenden Hirnimplantaten herumschlagen mussten. Der Mensch streicht seine Erinnerung mit dem goldenen Pinsel, sagt eine chinesische Weisheit, und so bekommt auch das mitunter skurril anmutende Heute ganz sicher bald schon seinen schillernden Anstrich. Damit das so bleibt, mögen wir weiterhin in interessanten Zeiten leben, und das ist übrigens ein chinesischer

Fluch.

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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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Ninamy67 Tja, was soll ich dazu sagen....einfach nur gut! Ich musste dauernd lachen, ist das normal?
LG
Nina
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Nina,

nochmals danke schön. :-) Von Texten wie diesem habe ich jede Menge hier untergebracht. Und solange du beim Lachen nicht blau anläufst, ist alles in Ordnung, schätz ich mal. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Ninamy67 Es war einfach so, das ich ja Leute kenne die auch immer von "Früher" sprechen, als ob "damals" alles vergoldet gewesen wäre....und so wie du es dann rüber gebracht hast, hatte ich es noch nie gehört, bzw. gelesen!
Sehr dynamisch.....gefällt mir gut!!

LG
Nina
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Manchmal gucke ich die "Tagesschau vor 20 Jahren". Und wenn man das so sieht, stellt man fest, dass damals eigentlich alles so ziemlich genauso bescheuert war wie heute. Nur auf etwas anderen Ebenen. Vieles war langsamer früher, das ist klar, und manchmal wünscht man sich diese gefühlte "Ruhe" zurück, also ich zumindest, aber eben auch nur manchmal. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Früher :)
Gelungen Deine Früher Aufzählungen ....
und Du hast mich einer Illusion beraubt ... ich wollte immer nen Chip der meine Gedanken aufzeichnet ... so ganz für mich, denn mit zunehmenden Alter gehen die immer so schnell verloren. Aber die Explosion im Kopf erspar ich mir dann lieber, dann reichen Gedankenexplosionen.
Sonnigen Septembergruß
Ella
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Ella,

besten Dank. Mit so ’nem Chip würdest du ganz sicher verrückt werden. Schon deswegen, weil du hinterher genau wüsstest, wie es früher mal war, wie das so war und überhaupt. Da könntest du dir nichts im Nachhinein schönreden, was man ja sonst gemeinhin so tut (und auch muss, um eben nicht verrückt zu werden).
Übrigens wurschteln Wissenschaftler ja gerade tatsächlich an ähnlichen Chips. Die sollen bspw. Alzheimerpatienten irgendwann mal dabei helfen, sich besser an Dinge erinnern zu können. Bisschen gruselig wäre das schon, wenn alle so was hätten. Da bleib ich lieber bei meiner Verklärung der Vergangenheit. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
superdottie Bin über das "Schlumpftrauma"nun auf diesen erfrischend nostalgischen Text von Dir gestoßen.
Mir gefällt ganz besonders die Vorstellung, dass wir uns in 20 Jahren über die lustigen Smartphones, die man immer dabei haben musste, schief lachen werden. Wir werden dann ja mittels unserer Hirnimplantate telefonieren, Texte schreiben und Bilder posten. Na das wird ein Spaß! LG von Doris
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Doris,

vielen Dank! :-) Ich will doch hoffen, dass wir uns in zwanzig Jahren über die heutige Smartphone-Mode lustig machen. Die Dinger sind zwar ungemein praktisch und führen dazu, dass ich mich in Berlin und auch in fremden Städten nicht mehr verlaufen muss, wenn ich was suche, aber beobachte mal ein wenig dein Umfeld, wenn du unterwegs bist. Alle Leute glotzen auf ihre Displays. Also wirklich alle. Und tun sie's nicht, dann reden sie über Smartphones. Ich hoffe, dass die Dinger einfach etwas selbstverständlicher werden und wieder ein bisschen in den Hintergrund rücken, bevor wir vergessen, wie man sich miteinander unterhält.

Viele Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
superdottie Da sagst Du ein wahres Wort. Ich ertappe mich auch dabei, dass ich mir Wartezeiten mit meinem Smartphone verkürze (Bus kommt nicht, beim Zahnarzt liegen nur uralte "Frau im Spiegel" rum). Dann werden eben mal die Mails gecheckt. Was wirklich überhaupt nicht geht, sind Freunde oder Kollegen, die mir im Café oder Restaurant gegenüber sitzen und auf ihrem iPhone oder Samsung rumtippen. Wenn sie angerufen werden, okay sollen sie in Gottes Namen rangehen. Ansonsten gibt es schon mal einen Anranzer. Kommt nicht immer gut an, aber ich möchte auch nicht vor lauter Verzweiflung die Speisekarte ein zweites und drittes Mal lesen.:-))
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Mal draufschauen ist ja auch okay. Witzig ist halt, dass man inzwischen seine Pausen damit füllt, »mal eben die Mails zu checken«. Theoretisch würde es ja einmal am Tag reichen, das zu tun, sofern man nicht auf was ganz Wichtiges wartet. Und so wundern wir uns dann am Ende, dass trotz all der Helferlein heutzutage trotzdem weniger Zeit übrig zu bleiben scheint. So geht sie halt dahin. Aber ich nehm mich da nicht aus: bin ja selbst einer von denen, die so ihre Zeit »vergeuden«. ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
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