Biografien & Erinnerungen
Gott Kind - Man stellt den Menschen unter jeden Scheffel

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"Gott Kind - Man stellt den Menschen unter jeden Scheffel"
Veröffentlicht am 11. Februar 2014, 66 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: Norbert Andresen
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Über den Autor:

keine besonderen Kennzeichen
Gott Kind - Man stellt den Menschen unter jeden Scheffel

Gott Kind - Man stellt den Menschen unter jeden Scheffel

Norbert Andresen

GOTT KIND

Fragment einer Kindheit

Litera Berlin 2008

Man stellt den Menschen unter jeden Scheffel

INHALT

1.  Es werde Licht   7

2.  Form und Inhalt   9

3.  Raumzeit         12

4.  Achille oder das frühe Bad

    im Drachenblut       14

5.  Dornen verhindern das

    Pflücken der Rose     23

6.  Adel verpflichtet      25

7.  Lueginsland      27

8.  Ist es die Möglichkeit?    30

9.  Nichterkennen      32

10. Der Gordische Knoten     35

11. Arme Sauberkeit      38

12. Der Herr Jesus       40

13. Die Lüge        44

14. Götterfunke

mit bösem Blick      48

15. Die Wahrheit      51

16. Sonntagsspaziergang     54

17. Die Sintflut      57

18 Gefahr       59

19 Schlafes Bruder      61

20 Mobbing       63

21. Das Ventil       65

22. Verlässlich      68

23. Das Schlachtfest            71

24. Vergeblich       74

25. Du bist verrückt

mein Kind       77

26. Supernumerarius     79

27. Der Prinz auf

der Erbse       83

28 Das Geschenk

der Griechin       85

29. Aufklärung      87

30. Das Füllhorn des Bacchus

oder die ‚Ausgießung

des Heiligen Geistes     92

ES WERDE LICHT

Er saß auf den Armen seiner Großmutter mütterlicherseits. Sie stand am Fenster in der Küche des alten Backsteinhauses. Sie hielt ihn auf dem Arm und wiegte ihn hin und her, hoch und runter. Er lächelte, denn er spürte die Zuneigung. Dann zeigte die Großmutter mit dem Finger zum Fenster hinaus: „Da, schau! Da geht der Uropa, kuck, wie er geht. Zum ersten Mal erkannte er, dass da draußen etwas war, es gab Licht, einen Hof und ein sehr altes Lehmhaus, fast eine Bruchbude, in der die Urgroßeltern

noch wohnten. Und der Uropa schlurfte mit seinem Stock sehr langsam zum Tor hin. Manchmal hielt er sich mit der linken Hand an der Wand. Er schaute ihm lange nach, bis er das Tor geöffnet hatte und verschwunden war.

FORM UND INHALT

Als er kurz davor stand, drei Jahre alt zu werden, erzählte ihm seine Mutter, dass er nun in den Kindergarten gehen könne. Es sei sehr schön dort, denn es gäbe viel Spielzeug und viele andere Kinder, mit denen er spielen könne.

In der nächsten Woche war es dann soweit: seine Mutter zog ihn an und ging mit ihm an der Hand in den Kindergarten. Sie gingen durch das Tor, aber es waren keine anderen Kinder da, weder im Garten noch im Haus. Sie gingen hinein und eine Erzieherin wies ihnen den Weg zur Kindergarten-Leiterin. Diese begrüßte sie, sprach kurz mit seiner Mutter und ging dann voraus, ihnen alles zu zeigen. Zuerst führte sie sie zu den Toiletten, dann zur Garderobe, wo all seine Überkleidung ordentlich hinzuhängen war. „Die Brottasche und die Trinkflasche sind am Haken aufzuhängen. Jedes Kind hat ein Namensschild an seinem Haken.“

Dann kamen sie in den Aufenthaltsraum: leere Tische, leere Stühle, leere Ruhebetten, Spielzeug war kaum zu entdecken, nur auf einem Tisch lag etwas, das aussah, als ob es Spielzeug wäre.

„Ruhezeit ist von 13.30 Uhr bis 14.30 Uhr, da müssen alle Kinder ruhig sein und liegen!“ Sie erzählte noch einige Sachen, aber er hörte gar nicht mehr zu. Als sie wieder draußen waren, fragte er seine Mutter, wo denn das Spielzeug ist

und wo die anderen Kinder sind? „Morgen kannst du mit den anderen Kindern spielen“, sagte seine Mutter.

RAUMZEIT

Er war drei Jahre alt und ging nun in den Kindergarten. Es war Ruhezeit! Wie alle Kinder legte er sich hin und versuchte zu schlafen, aber er schlief nicht ein. Also lag er wach da und wartete, doch der Ruf zum Aufstehen kam und kam nicht. Er dachte, die Erzieherinnen hätten es vergessen. Er stand auf und ging zur Kinderschwester, fragte: „Wann dürfen wir aufstehen?“ Die Erzieherin zeigte auf etwas Rundes an der Wand und sagte: “Wenn der große Zeiger genau nach unten zeigt, dann darfst du aufstehen.“ Er legte sich wieder hin und wartete….

ACHILLE ODER DAS FRÜHE BAD IM DRACHENBLUT

Er saß auf der Bettkante, betrachtete das mitgebrachte Bild und begann zu weinen wie ein Schlosshund. Wo blieb sie nur? Sie hatte doch versprochen zu kommen, er wartete jetzt schon zwei Wochen. Wieder und wieder sah er sich das Bild an. Er musste noch mehr weinen. Da stand Schwester Brigitte vor seinem Bett, tröstete ihn ein wenig. „Sie kommt bestimmt!? Du musst jetzt schlafen!“ Er zog sich aus und legte sich ins Bett, zog die Decke über den Kopf. Weinend schlief er ein.

Am nächsten Morgen stand er früh auf, ging mit den anderen zusammen in den großen Waschraum, wusch Hände und Gesicht, putzte sich die Zähne und spuckte das Wasser, das er gegurgelt hatte, ins schon etwas verschmutzte Waschbecken. Dann nahm er das Handtuch, auf dem sein Name angenäht war und trocknete sich ab. Er folgte dem Strom der Kinder in den Esssaal. Viele der kleinen Heimbewohner saßen schon in langen Reihen an den Tischen und warteten, bis die Glocke bimmelte, das Zeichen, das die Erlaubnis zum Essen und Trinken anzeigte. Er war hungrig und sehr neugierig, was es denn zum Frühstück geben würde. Vor ihm

standen ein großer, leerer Suppenteller und eine Henkeltasse. Küchenhelferinnen kamen mit Wagen, auf denen große dampfende Kübel und metallene Teekannen standen, herein, füllten die Teller mit einer Kelle mit Brei und gossen Tee in die Tassen. Es war Pfefferminztee, den kannte er, aber was da im Teller dampfte, kannte er nicht. Er fragte seinen Nachbarn, was das ist: „Haferschleimbrei!“ war die kurze Antwort.

Nach Ertönen der Glocke begannen die anderen Kinder zu essen. Er probierte den Tee und fand, dass man ihn trinken konnte. Bei dem Brei war er etwas vorsichtiger und wollte nicht so recht

daran. Er nahm einen viertel Löffel voll und führte ihn langsam zum Mund. Schon der Geruch schreckte ihn ab. Ganz wenig zog er mit den Lippen vom Löffel. Es war heiß und schmeckte nach Korn. Es war eigentlich nicht der Geschmack, der ihn ekelte, sondern vielmehr das Aussehen. Das wollte er nicht essen trotz des Hungers. Ein junger Mann hinter ihm hatte wohl bemerkt, dass er nicht aß, kam auf ihn zu und fragte, was denn los sei, warum er nicht esse?  „Es schmeckt mir nicht!“ „Das musst du essen, damit du groß und stark wirst. Du bleibst so lange sitzen, bis du aufgegessen hast.“

Er saß vor dem Teller und ekelte sich.

Langsam nahm er wieder einen viertel Löffel voll und schob ihn in den Mund, würgte es hinunter. Er machte eine Pause, die Tischreihen lichteten sich und bald saß er ganz alleine an dieser großen Tafel im großen Esssaal. Die Zeit verging nicht. Löffel für Löffel führte er zum Mund bis der Teller fast leer war. Nun war ihm schlecht und er durfte gehen.

Das Mittagessen schmeckte ihm gut, er aß, soviel er konnte und erinnerte sich dabei an einen Tischspruch seines Vaters:

„Iß und trink, so lang dirs schmeckt, schon zwei Mal ist uns ‚s Geld

verreckt.“

Zum Abendessen gab es Wurst und Käse. Der Weichkäse stank arg und schmeckte fürchterlich. Er spuckte das Stück wieder auf den Teller zurück. Sofort kam ein

Betreuer und ordnete an, den Käse zu essen. „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Ängstlich steckte er Stück für Stück des Käses in den Mund. Als er all den Käse im Mund hatte, rannte er zur Toilette und spuckte ihn aus. Aber es war zu spät, er musste sich übergeben.

Am nächsten Morgen gab es Haferschleimbrei.  Wieder saß er vor

dem vollen Teller und wollte nicht essen. Wieder saß er als Letzter am Tisch. Da kam eine Heimschwester, nahm den Teller weg und stellte ihm ein Marmeladenbrot hin.

Freudig aß er es auf.

DORNEN VERHINDERN DAS PFLÜCKEN DER ROSE

Wenn er krank wurde, legten sie ihn auf die Couch im Wohnzimmer und seine Mutter und seine Oma umsorgten ihn. Er bekam je nach Krankheit kalte oder warme Wickel um die Beine oder den Oberkörper, es wurde Fieber gemessen,

und man kümmerte sich rührend um ihn. Es gab allerdings einen Wermutstropfen: seine Großmutter hatte ein Hausmittel, das so gar nicht schmeckte, ‚heißer Zwiebelsaft. Er hasste heißen Zwiebelsaft. Das „Kranksein“ gefiel ihm sehr und er überlegte von Zeit zu Zeit, ob er nicht mal wieder krank machen sollte. Doch seine Großmutter hatte den Trick bald erkannt und immer, wenn er ‚kränkelte, holte sie eine Zwiebel und sagte: „ich mache dir erst einmal einen schönen heißen Zwiebelsaft. Da blieb er dann doch lieber gesund.

ADEL VERPFLICHTET

Einige Tage nach seiner Ankunft kam ein

Heiminsasse zu ihm und wollte ihm im Heim alles zeigen. Sie gingen durch die Schlafräume und Herbert erklärte, was ‚was war, und was man wo zu tun hatte oder konnte. Waschraum, Spielzimmer, Toiletten. Alles kam ihm riesig  vor. Sie gingen in einen Schlafsaal, in dem die Betten Gitter hatten, und Herbert erklärte, wer hier welches Bett belegte und wer welche Krankheit hatte: „Hier liegt Kurt, er ist Bettnässer, das Bett gehört Lutz, er stottert …“

Er stellte die Ohren auf Durchzug.

LUEGINSLAND

Seine Eltern hatten sich eines frühen Abends mit ihm an den Küchentisch gesetzt, der Vater hatte

Landkarten auf dem Tisch ausgebreitet und zeigte ihm eine rote Linie auf der Karte, der Streckenverlauf der Eisenbahn von zu Hause bis nach Totmoos. Es sollte ungefähr 6-7 Stunden dauern, bis er und seine Mutter das Ziel erreichten. Er beschrieb die Wegstrecke, nannte Städte und Landschaften, die sie passierten, hier müsst ihr umsteigen und dann braucht ihr noch 2 Stunden, dann seid ihr dort, und er schien sehr erfreut über seine erste große Reise. Er hatte auch eine farbige Postkarte des

Kindererholungsheimes „Lueginsland“, wo er sich von seiner Lungenentzündung erholen sollte.

Die Mutter erklärte ihm, dass er lernen müsse, seine Wäsche zusammenzulegen und in einen Koffer zu packen. Sie hatte in jedes Wäschestück ein Namensschildchen eingenäht.

Zum ersten Mal erkannte er, dass seine Eltern sich ihm zuneigten.

Die Großmutter zeigte ihm in den nächsten Tagen, wie man Hemden, Hosen, Pullover und Handtücher fein säuberlich zusammenlegte.

IST ES DIE MÖGLICHKEIT?

Sie kamen am Kinderheim an, es sah genauso aus wie auf der Postkarte, gingen hinein und wurden in das Vorzimmer der Heimleiterin gewiesen. Auf zwei der Stühle, die hier aufgereiht standen, nahmen sie Platz und warteten bis sie hineingerufen wurden. Die Heimleiterin, eine ältere gestrenge Dame, begrüßte sie. Sie erklärte den Tagesablauf im Heim, die Aktivitäten, die unternommen werden und einiges mehr. Er war damit beschäftigt, sich im Zimmer umzuschauen und hörte nur mit einem Ohr zu. Doch plötzlich schnappte er einen Satz auf, der ihn ganz Ohr werden ließ.

„ Ich habe schon viel von Dir gehört!“

Er war geschockt. Wie konnte diese Frau, mehr als acht Stunden Zugfahrt entfernt von zu Hause, etwas von ihm gehört haben?  „Du bist Frühaufsteher, du träumst gerne vor dich hin ….“

War das möglich?

NICHTERKENNEN

Nach ungefähr 6 Monaten Aufenthalt im Heim, teilte ihm seine Lieblings-Erzieherin Helene mit, dass seine Mutter ihn am nächsten Tag abholen würde. Er sei geheilt und könne wieder nach Hause. Am nächsten Morgen war er früh wach und war ganz ungeduldig,

musste aber noch warten. Er spielte allein im Spielzimmer mit den Triebwagen der Holzeisenbahn, als die Erzieherin hereinkam und ihn rief. „Deine Mutter ist da.“ Er ging sofort zum Eingang und etwa 10 Meter vor der Tür stand eine Frau. Zuerst erkannte er sie nicht. Dann schaute er auf die junge Erzieherin und wieder zu seiner Mutter. Er hatte sie viel jünger in Erinnerung. „Lauf!“ Er rannte auf seine Mutter zu, diese bückte sich zu ihm herunter und er umarmte sie. Dann schaute er sie nochmals an und fand, dass sie sehr gealtert war. Die Erzieherin brachte sein Gepäck und er wollte losziehen. „Verabschiede dich noch von Helene. Er

sprang Helene in die ausgebreiteten Arme, sie hob ihn auf und er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Seine Mutter nahm den Koffer und sie trotteten zum Bahnhof. Im Zug fragte er sie, warum sie denn nicht gekommen sei, er habe so gelugt. „Wir haben doch immer so viel zu tun“, antwortete sie.

DER GORDISCHE KNOTEN

Kurz nachdem er aus dem Kinderheim, wo er den ganzen Winter über sehr gefroren hatte, wieder nach Hause zurückgekehrt war, stand er alleine im Hof und entwarf gerade mit Kreide ein Wandbild auf der Mauer zum Nachbarn,

als die kleine Tochter dieser Nachbarn, der Familie Schmidt, seinen Hof betrat. Sie fragte, was machst du da? Er sagte, „ich male!“ Sie behauptete, das dürfe er nicht, die Mauer gehöre ihnen, er solle sofort aufhören. „ Das hier ist unser Hof, das geht dich gar nichts an“, antwortete er barsch, „geh nach Haus!“

Doch sie war hartnäckig und wollte ihm die Kreide wegnehmen. In der Ecke lehnte ein Schrubber, er schnappte ihn und bedrohte sie damit: “wenn Du jetzt nicht abhaust, hau ich Dir eine!“ Sie blieb scheinbar völlig unbeeindruckt stehen und blickte ihn furchtlos an.

Er musste seinen Hof unbedingt verteidigen, gerade jetzt, wo er sein zu

Hause  wieder gewonnen hatte. Der Schrubber sauste durch die Luft und landete auf ihrem Kopf. Sie sah ihn an, ihre Augen weiteten sich ungläubig, dann fing sie an zu weinen, dann zu heulen und dann rannte sie weg.

ARME SAUBERKEIT

Es war wieder soweit, das wöchentliche Kinderbad stand an. Wie immer war in der Küche der Herd mit Holz befeuert worden, der große Wasserkübel dampfte schon. Eine Zinkwanne, in der er nur mit angewinkelten Beinen sitzen konnte,

 stand auf dem Küchentisch in der Mitte des Raumes. Darin wurden die Kinder gebadet.

Zuerst sein Bruder, dann er. Ein Kübel reichte gerade dazu, die Zinkwanne einmal zu füllen. So setzte man die beiden Kinder nacheinander ins gleiche Badewasser. Seine Mutter nahm ihn nach dem Waschen aus der Zinkwanne,

trocknete ihn mit einem großen Handtuch ab und sagte: “So, jetzt bist du ganz sauber!“

DER HERR JESUS

Er hatte ganz alleine das kleine Zimmer

am Anfang des Flures im

Stock des Hauses mit einem Bett und einem Schrank bekommen. Zum ersten Mal hatte er ein eigenes Zimmer. Abends kam seine Mutter noch

einmal ans Bett, setzte sich auf die Bettkante und er musste das Abendgebet aufsagen: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll  niemand drin wohnen als Jesus allein.“

Er faltete die Hände und sagte es auf. Die ersten beiden Sätze fand er ja in Ordnung, aber der letzte machte ihm Kummer. Wer war dieser Jesus und warum sollte er allein in seinem Herzen wohnen? Da sollte doch seine Mutter, sein Vater, der Opa, die Oma und auch

der Bruder wohnen. Diesen Herrn Jesus kannte er doch gar nicht!

Als er mit sieben Jahren in die Schule kam, betrachtete er zum ersten Mal sehr intensiv diesen Jesus, der im Flur der Schule an der Wand hing. Ein dunkles Holzkreuz, ein Mann mit Bart aus Messing hing mit einer Dornenkrone auf dem Kopf daran, die Arme ausgebreitet und die Füße übereinander geschlagen und hatte den Kopf zur Seite gesenkt. Er betrachtete ihn lange und kam zu dem Schluss, dass seine Entscheidung, lieber andere in seinem Herzen wohnen zu lassen, damals richtig war.

DIE LÜGE

Seine Mutter hatte ihn gewarnt. Wenn dein Vater nach Hause kommt, gibts ein Donnerwetter. Er hatte gelogen. Als sein Vater nach Hause gekommen war und mit Mama geredet hatte, riefen sie ihn in Küche und der Vater legte ihn übers Knie und schlug eiskalt mit der flachen Hand auf seinen Hintern. Das versetzte ihn in einen Schockzustand. Die Schläge taten weh, aber das war nicht das Schlimmste. Wegen einer Lüge wurde man so verprügelt?

GÖTTERFUNKE MIT BÖSEM BLICK

Er hörte den Lautsprecher schon von weitem, verstand aber nicht, was da ausgerufen wurde. Die Stimme kam näher. Er lief zur Straßenecke und sah in großer Entfernung einen kleinen Bus mit Lautsprechern auf dem Dach und auf allen Seiten mit bunten Plakaten beklebt. Jetzt verstand er auch einige Wortfetzen und begriff, was hier auf ihn zukam. Man warb für eine Zirkusvorstellung, der Zirkus hatte seine Zelte auf dem Marktplatz aufgeschlagen und es wurde angekündigt, dass in den nächsten Tagen mehrere Vorstellungen stattfinden sollten. Er war sehr erstaunt über den ganzen Krach und das bunte Auto, freute sich aber tierisch darauf,

den Zirkus besuchen zu können.

Beim Abendbrot erzählte er allen ganz aufgeregt von der Neuigkeit und bat seine Eltern, ihm zu erlauben, dorthin gehen zu dürfen.

Seine Mutter sagte ihm zu, ihn zu begleiten. Am nächsten Tag hörte er wieder diesen Krach und ging auf die Straße. Dieses Mal war es nicht nur das Auto, auch Tiere zogen an ihm vorbei: Ein Kamel oder Dromedar, ein Tanzbär an einer Kette, der sich immer drehte.

Er freute sich wieder darauf, die Vorstellung zu sehen. Am nächsten Spätnachmittag saßen sie im Zirkuszelt und hatten viel Vergnügen .Sie lachten über den Clown, bestaunten die

Kunststücke der Tiere und starrten gebannt auf die Trapez-Künstler. Nach der Vorstellung gab es noch eine Tierschau, die 50 Pfennig extra kostete. Er leierte das Geld dafür seiner Mutter aus der Tasche, ging alleine durch die Schau und betrachtete sich die Tiere, die er sonst nur aus Büchern kannte.

Es roch tierisch, ein Geruch, den er so auch noch nie erfahren hatte, obwohl er Stallgeruch ja kannte.

Zwei Löwen, ein Elefant, das Dromedar, der Bär und einige andere Tiere waren entweder in Käfigen eingesperrt oder standen in einer Umzäunung im Freien. Nachdem er sich von diesem Anblick losreißen konnte, ging er zurück zu

seiner Mutter, die am Rande der Umzäunung stand. Eine Nachbarin hatte sich mit ihrem Sohn zu ihnen gesellt. Sie schien nicht sehr belustigt, blickte ganz böse auf die Zirkusleute, rümpfte die Nase und sagte leise: „Harese“.

DIE WAHRHEIT

Sie waren bei der Feldarbeit, harkten die Reihen des langen Kartoffelfeldes und lasen die restlichen Kartoffeln auf. Die Tante seines Schulfreundes ging voran und sie beide folgten. Es war eine Arbeit, die ins Kreuz ging, auch bei den Jungen. So machte man von Zeit zu Zeit eine kleine Pause und hielt sich an der

Harke fest. ‚Arbeiterdenkmal nannte sein Vater das. Dabei sahen sie sich um und entdeckten die beiden Mädchen auf der weit entfernten Straße. Es waren Mädchen aus der etwas außerhalb liegenden Siedlung, keine Hiesigen. Die Leute in der Siedlung galten als asozial. Sie sahen sie, fingen an schneller zu gehen und riefen plötzlich: „Ihr Wichser“!

Die beiden Jungen sahen sich erstaunt an. Sie kannten die Mädchen nicht. Die Tante fing sofort an zu schimpfen: „Das hab ich gehört, denen würd ichs aber zeigen. Sie warfen die Harken hin und setzten sich in Bewegung, auf die Mädchen zu. Die fingen auch an zu

laufen. Immer schneller liefen sie hinter ihnen her, in der Hoffnung sie einzuholen und zur Rede zu stellen. Aber sie waren schon zu weit weg. Ganz außer Puste blieben sie stehen und kehrten langsam um. Wieder bei der Tante angekommen, sagten sie:

“Haben sie nicht mehr einholen können, sonst hätten wir es denen gegeben.“ „ Na ja, dann wollen wir mal weitermachen“, sagte sie.

SONNTAGSSPAZIERGANG

Es war Sonntag und das war der langweiligste Tag der Woche für die Kinder. Morgens sah man die alten Leute

in die Kirche gehen, aber sonst war kaum jemand unterwegs. Der Großvater nahm ihn vormittags manchmal mit. Sie gingen dann Hand in Hand zu einer Gastwirtschaft, die im 1. Stock eines alten Hauses lag und man konnte sie nur über eine außen liegende Holztreppe erreichen. Es war eine verräucherte, dunkle Stube mit einem gebohnerten Holzfußboden, der ächzte, wenn man über ihn schritt. Ältere Männer saßen an den Tischen und spielten Karten und tranken ihren Frühschoppen. Er saß meist neben seinem Opa und bekam immer eine Bluna und ein Tüte Salzstengel. Vom Kartenspiel verstand er nichts und wenn es ihm zu langweilig

wurde, ging er auf die Straße und schaute sich die Mauern, Häuser und Dinge an, die er zu Gesicht bekommen konnte oder träumte einfach vor sich hin.

DIE SINTFLUT

Er ging noch nicht in die Schule, als er plötzlich rote Pusteln am ganzen Körper bekam. Die Mutter entdeckte es, als sie ihn in die große Badewanne im neuen Badezimmer gesetzt hatte. Ihm war sehr heiß!

Die Erwachsenen vermuteten Masern und mit Mama ging er zum Arzt, der aber Masern nicht diagnostizieren konnte. Er wusste nicht so recht, was das eigentlich sein sollte, verschrieb einen Badezusatz und er musste des Öfteren zu ihm zur Überprüfung. Es dauert etwa 3 Wochen, bis die roten Flecken wieder verschwunden waren, bis auf einen, den behielt er sein Leben lang. Das Badewasser färbte sich in dieser Zeit in einer Farbe, die er nie vorher gesehen hatte, ein dunkles Rot, fast Lila.

GEFAHR

Er war noch nicht ganz 6 Jahre alt, also noch nicht ‚filmreif, als er zum ersten Mal ins Kino ging. An der Kasse saß die Ehefrau des Zahnarztes und beobachtete ihn. Er schaute sich die Bilder im Aushang an, da rief sie ihn zu sich. Du kannst ruhig einmal in den Kinosaal gehen und dir den

Film anschauen, du brauchst nichts zu bezahlen. Er war freudig überrascht, bedankte sich und beeilte sich, das Neue zu schauen. Das Kino war fast leer, er setzte sich auf einen der freien Plätze und sah sich das an, was auf der großen Leinwand lief. „Herkules“ kämpfte gerade mit einem Stier. Er hielt ihn an den Hörnern und versuchte ihn nieder zu

drücken. Der Stier schob Herkules nach hinten, hob ihn in die Luft. Er bekam Angst. Schnell stand er auf und verließ fluchtartig das Kino.

SCHLAFES BRUDER

Als er mittags aus der Schule kam, teilte man ihm lapidar mit, dass der Opa gestorben war. Er musste zu allen Verwandten und Bekannten gehen und ihnen mitteilen, dass der Großvater ‚entschlafen sei und die Beerdigung in 3 Tagen um 14.00 Uhr stattfinden sollte. Sie behandelten ihn alle sehr freundlich und beteuerten ihm ihr Beileid. Am Tag

der Beerdigung wurde der Sarg in einem schwarzen, großen Auto gebracht und im Hof aufgebahrt. Der Sarg wurde geöffnet und Opa lag darin. Er hatte einen schwarzen Anzug an und lag, die Hände über dem Bauch gefaltet, das Gesicht etwas bleich mit geschlossenen Augen in dem mit weißem Tuch ausgeschlagenen Sarg. Er betrachtete ihn lange, man hatte ihm gesagt, er sei tot, er fand, er schlief nur.

MOBBING

Er war auf dem Weg von der Schule

nach Hause wieder von anderen Kindern verspottet und beschimpft worden. Den ganzen Nachmittag ärgerte er sich darüber und als sie alle beim Abendessen saßen, erzählte er davon. Seine Eltern versuchten ihn zu beruhigen, es sei doch nicht so schlimm, es sei leider Usus, sagten sie. Aber er ließ sich nicht so einfach beruhigen und beschwerte sich weiter. Seinem Vater wurde es schließlich zu bunt und er sagte einen Spruch auf, den er noch nie zuvor gehört hatte:

Wenn eiern Doller

Unsern Doller

Noch amol Doller schennt

Schennt unsern Doller

Eiern Doller

So lang Doller

Bis eiern Doller

Unsern Doller

Ne meh Doller schennt

DAS VENTIL

Wenn der 1. Mai heranrückte, traf sich die Dorfjugend, die aufgeteilt war in Ober und Unterdorf, um über die Aktivitäten der Nacht der Nächte zu beraten und Vorbereitungen zu treffen. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass in dieser Nacht die Dorfjugend sich

einen Jux machen und Bewohnern, die sich im vergangenen Jahr nicht nett gegen sie verhalten hatten, einen Streich spielen durfte. Sie berieten schon Tage vorher, was man anstellen könnte. Eine Anwohnerin des Bolzplatzes, der offiziell keiner war, hatte jedes Mal, wenn der Ball  in ihren umzäunten Garten fiel, diesen von ihrem Hund zerbeißen lassen. Sie sannen auf Rache. In dieser Nacht hoben Sie deren Gogomobil  hoch, packten Backsteine darunter, so dass die Räder, den Boden nicht mehr berührten.

Bei einer Nachbarin, die immer nur auf die Kinder und Jugendlichen schimpfte, hängten sie die Fensterläden aus und

hievten sie mittels eines langen, dicken Seiles auf einen Baum und ließen sie dort stehen. Kein Polizist wäre auf die Idee gekommen, solche Verbrechen zu dieser Zeit zu verfolgen.

VERLÄSSLICH

Als er von der Schule nach Hause kam, war sein Vater zu Hause. Nach dem Mittagessen sagte er

ihm, das der Opa krank im Bett liege und er zu Doktor Ferber gehen solle, ihm zu sagen, er müsse vorbeikommen.

Das passte ihm gar nicht. Er mochte Dr. Ferber nicht besonders und außerdem wollte er  spielen gehen. Aber er trabte los. Unterwegs wurde er abgelenkt durch

die vielen Pflanzen, die gerade grünten und dann traf er  ein paar Schulfreunde und spielte mit ihnen. Sehr spät fiel ihm wieder ein, was der Vater ihm aufgetragen hatte. Er ging zu Dr. Ferber und klingelte, denn die Sprechstunde war schon zu Ende. Niemand meldete sich. Unverrichteter Dinge trabte er nach Hause. Spät am Abend beichtete er dem Vater, dass der Arzt nicht da gewesen ist. Der Vater war stocksauer und schickte ihn in sein Zimmer. Er hatte Hausarrest. Er fühlte sich verlassen.

DAS SCHLACHTFEST

Die Großmutter hatte schon ganz früh morgens das Feuer unter den Waschkessel angezündet. Im Hof stand die ‚Brenk und der Metzgermeister mit Geselle kam gerade durch das Tor. Sie bereiteten alles vor. Dann wurde die Sau gebracht. Sie war am hinteren Bein mit einem Seil festgebunden und quiekte. Der Metzger setzte ihr den Schussapparat an den Kopf und drückte ab. Das Quicken erstarb. Dann bohrte sich ein Messer in ihren Hals und ein Eimer wurde zum Auffangen des Blutes bereitgestellt. Als sie ausgeblutet war, kam sie in die Brenk und wurde rasiert.

Dann hing man sie an zwei Haken an die Wand und schnitt sie an der Unterseite auf. Die Gedärme wurden entnommen, entleert und gewaschen.

Dann wurde die Sau in zwei Hälften geteilt. Das Blut im Eimer wurde gerührt, damit es nicht gerinnt. Die Schweinhälften kamen auf einen Tisch und wurden weiter zerlegt. Blut und Speckstücke wurden in den Darm gefüllt und kamen mit Wellfleisch, Leber- und Bratwurst  Wurst in den Kessel zum Kochen. Was hier entstand, wurde Metzelsuppe genannt. Als das Schlachten zu Ende ging, hatte die Familie Fleisch und Wurst für ein Jahr. Die Suppe wurde in kleine Milchkannen

gefüllt, eine Blut- und Leberwurst hinzu gegeben und alle, die gut bei Fuß waren,  brachten jedem in der Nachbarschaft und jedem Verwandten eine Kanne.

VERGEBLICH

An einem Sonntag kam sein Bruder zu ihm und schlug vor, doch gemeinsam ins Kino zu gehen, ein toller Film lief. Er fand das gut, zumal sein Bruder sonst nicht viel mit ihm unternahm, hatte aber kein Geld. Da musste man den Opa fragen. Der war spazieren gegangen und sie mussten ihn suchen, er konnte ja nicht weit sein. Sie

fanden ihn erst nach langer Suche auf

einer Bank im ‚Graben. Sein Bruder blieb zurück und schickte ihn vor. Er setzte sich neben ihn, nach einem kurzen Gespräch kam er mit seiner Bitte heraus. Fünfzig Pfennig, das Eintrittsgeld. Opa antwortete, dass er das Geld bekomme, aber sein Bruder nicht, der sei ungezogen gewesen. Er dachte nicht recht zu hören. Noch Mal! „Nein“, war wieder die Antwort. Er bettelte, doch der Opa blieb hart.

Traurig trottete er neben dem Opa durch den Graben nach Hause. Von seinem Bruder war nichts zu sehen.

DU BIST VERRÜCKT MEIN KIND

Sie hatten sich mit ein paar Freunden einen Holzkarren gebaut, ein Brett mit vier kleinen Rädern und einem Strick zum ziehen daran. Damit fuhren sie durch die Straßen und hatten viel Vergnügen. Er fand es schön, gezogen zu werden, je schneller desto besser. Kurz bevor sie wieder nach Hause fuhren, hatte sein Bruder eine Idee. „Komm, wir erschrecken einmal die Oma. Wir schmieren dir Ketchup in die Haare und du musst aussehen, als hättest du geweint. Dann sagen wir ihr, du hättest ein Loch im Kopf, also einen Dachschaden.“ Er fand die Idee toll.

Sie schmierten ihm Ketchup in die Haare und warfen ihm Wasser ins Gesicht. Am

Kopf verletzt und heulend zog sein Bruder ihn auf der Karre in den Hof. Oma kam aus dem Haus und war sehr erschrocken. „Was ist denn passiert“, fragte sie. „Er ist auf den Kopf gefallen.“ Oma wollte sich den Kopf anschauen, da riefen sie: “April, April!“ Sie lachten alle und er freute sich diebisch über den gelungen Streich.

SUPERNUMERARIUS

Er spielte gerade auf der Straße mit dem Ball, als eine Gruppe von Kindern eilig und aufgeregt gestikulierend an ihm vorbeizog. Auf seine Frage, antworteten

sie wie im Chor:“ Die Amis kommen!“ Er lief hinter ihnen her. Oben an der Durchgangsstraße warteten schon viele Menschen am Straßenrand. In der Ferne hörte man ein dunkles Brummen von Motoren. Dann sah man den ersten Wagen des Konvois. Ein Jeep mit langer Antenne, dahinter Lastwagen, die ihm riesig vorkamen und dann ein Fahrzeug, das er noch nie vorher gesehen hatte, ein Panzer und auf dem Panzer saß ein ganz großer Neger. So jemanden hatte er noch nie gesehen, er kannte nur den Mohr aus dem ‚Struwwelpeter. Die Leute winkten und schrieen “Cigarettes, chewing-gum“. Der Neger beugte sich in die Öffnung des Panzers und holte

einige Sachen heraus, die er in die Menge warf. Die Menschen sammelten alles auf, was in ihrer Nähe ankam. Vor seinen Füssen landete eine Dose und ein kleines rechteckiges Papier, mit silbernen Enden. Die Dose ergriff ein neben ihm stehender Junge, er bekam das Papier zu fassen. In der Dose war Erdnussbutter, er hatte einen Kaugummi ergattert. Er wunderte sich sehr über diese „Amis“.

DER PRINZ AUF DER ERBSE

Seine Mutter weckte ihn früh, er musste sich gut waschen und bekam frische Sachen zum Anziehen. Dann gingen sie zum Schulgebäude. Hier saßen und

standen viele Kinder mit ihren Müttern und warteten, bis Sie in das Zimmer des Schularztes gerufen wurden. Als er an der Reihe war, gingen Sie hinein und er musste den Oberkörper freimachen. Der Arzt betrachtete ihn, hörte seine Lunge ab und sagte dann, er sei gesund. Nun sollte er mit einem Arm über den Kopf an sein Ohr auf der anderen Seite fassen. Er konnte es nicht erreichen, seine Arme waren zu kurz, deshalb wurde er noch ein Jahr zurückgestellt.

DAS GESCHENK DER GRIECHIN

Er hatte Geburtstag und erwartete seine Geschenke. Er konnte lesen und galt als Leseratte. Seine gut gebaute Tante kam, warf mit moralischem Spalierobst und überreichte ihm ihr Geschenk. „Machs auf!“ Er riss das Papier auf, wickelte das Buch aus, las den Titel und erschrak. ‚Was ein Häkchen werden will… und die Tante komplettierte: “krümmt sich beizeiten“. Er ärgert sich über das Geschenk. Er wollte kein ‚Häkchen werden und krümmen wollte er sich auch nicht. Er legte das Buch in die Abstellkammer und rührte es nie mehr an.

Er fürchtete Vergangenes voraus.

AUFKLÄRUNG

Er war etwa 11 Jahre alt und spielte auf der Straße vor dem Haus Hüpfen in mit Kreide gezeichnete Felder,  als ein Freund um die Ecke bog, ein dickes Buch in der Hand haltend. Sie grüßten sich und der Freund, der freiwilliger Rotkreuzhelfer war erzählte, was zuvor zu Hause so gemacht hatte. Dann kam er zur Sache. „Es ist Zeit, dass du aufgeklärt wirst“. Er öffnete das Buch auf der letzten Seite und zeigte ihm zwei farbige Bilder. Sie setzten sich auf den

Bordstein und betrachteten die beiden Körper, rechts einen nackten Mann und links eine nackte Frau. Er hatte schon nackte Menschen gesehen am Nacktbadestrand, trotzdem schaute er aufmerksam hin. Die Bildchen waren aufklappbar und es erschien das Innere des Menschen. Der Freund erklärte die einzelnen Körperteile, indem er mit dem Zeigefinger darauf deutete und die Dinge beim Namen nannte: Brust, Brüste, Bauch, Arme, Beine, Hals, Kopf, Penis und Vagina. Na gut, dachte er, das ist eigentlich nichts Neues. Doch dann kam die Überraschung: „Und woher kommen die Kinder“? Er wusste nur, dass der Klapperstorch sie in einem

Tuch, das er im Schnabel hielt, brachte, wenn man Zuckerstückchen auf die Fensterbank legte. „So ist das aber nicht“, sagte der Freund, „es ist nämlich folgendermaßen: Sex ist etwas, das Erwachsene tun, wenn sie sich sehr lieb haben. Im Deutschen sagt man dazu auch Geschlechtsverkehr. Dabei wird der Penis des Mannes steif, so dass er ihn in die Scheide seiner Partnerin stecken kann.

Wenn der Sex am schönsten ist, also auf dem Höhepunkt, kommt aus dem Penis des Mannes eine Flüssigkeit: das Sperma. Dabei können auch Babys entstehen, die neun Monate im Bauch der Frau wachsen und dann geboren

werden.“ „Ups, da hatten sie ihn wieder einmal belogen, er wurde sauer. Nicht nur, dass die Kinder nicht vom Klapperstorch gebracht wurden, ärgerte ihn. Das Schlimmste war, dass sie ihn immer zu Reinlichkeit, Sauberkeit, und Ehrlichkeit anhielten und sie selbst machten heimlich solche Schweinereien.

DAS FÜLLHORN DES BACCHUS ODER DIE AUSGIEßUNG DES ‚HEILIGEN GEISTES

Er ging in die Mittelschule und seine Lehrer waren der Meinung, er solle das Gymnasium besuchen. Hierzu fehlte ihm

aber eine 2. Fremdsprache, nach Gesprächen mit den Lehrern und Eltern bot sich der Direktor der Realschule, der eine schöne Tochter hatte, an, ihn in französischer Sprache kostenlos privat zu unterrichten. Jeden zweiten Nachmittag kam dieser zu ihm nach Hause und er musste nach dem Lehrbuch französische Texte lesen, Vokabeln lernen, übersetzen und Übungen zu Text und Grammatik durchführen. Das Vokabellernen war ein bisschen mühselig, nach einigen Lektionen wechselte der Lehrer und das Lernen ging nicht mehr so voran. Dennoch wurde er in die Französischklasse integriert, fand aber

nach all dem Lernaufwand, dass er des Französischen nicht mächtig war und vor allen Dingen nicht sprechen konnte. In den Sommerferien war seine ganze Familie verreist und er allein zu Hause. Eines späten Nachmittags klopfte ein junger Fremder an die Tür, der nur wenig Deutsch sprach. Es war ein Tramper aus Frankreich und er ließ ihn herein, holte aus dem Keller vom Selbstgemachten, zuckerte etwas nach und beide tranken und versuchten sich zu unterhalten. Nach etwa dem 3. Krug ging die vorher schleppende Unterhaltung plötzlich immer besser vonstatten. Er sprach mit dem Fremden Französisch und das wurde immer

besser. Nach dem 5. Krug plauderten sie über Gott und die Welt und philosophierten vor sich hin bis ihnen die Köpfe rauchten und verstanden sich immer besser. Bacchus hatte sein Füllhorn über ihm ausgeschüttet. Dann sanken sie ins Bett.
Am nächsten Morgen ließ er den Franzosen aus dem Tor hinaus, ging zurück ins Haus, blieb stehen und wunderte sich, er hatte am Abend vorher fließend französisch gesprochen. Zufrieden mit sich und der Welt suchte er ein paar Kopfschmerztabletten.

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