Liebe ist nicht gefährlich, aber...
Sonnenaufgang im Orient. Es herrscht hellste Aufregung im Sultanspalast. Der untertänigste und beste Eunuch des Sultans liegt tot auf dem Marmorboden, mitten in der Empfangshalle. Die Bediensteten weinen und schreien um Hilfe. Plötzlich völlige Stille, die Angestellten fallen auf die Knie, der Sultan betritt, in seidenen Gewändern gehüllt, die goldverzierte Halle, bleibt vor dem Leichnam stehen, schaut bedächtig hinunter, macht nach wenigen Sekunden eine allen verständliche Handbewegung und sagt traurig: "Geht in eure Gemächer, laßt uns allein!" Die Dienerschaft gehorcht und eilt hinaus. Im gleichen Moment betritt der jüngste Sohn des Sultans, gerade mal 18 Jahre jung, die Räumlichkeit, bleibt entsetzt vor dem Vater stehen und fragt, die Hände in die Höhe streckend: "Was ist hier geschehen?"
Keine Antwort. Ohne Worte verweilen die beiden noch eine geraume Zeit vor dem Toten, dann nimmt der Herrscher seinen Sohn in den Arm, bittet ihn gleich darauf Platz zu nehmen und beginnt den Sachverhalt zu erklären.
"Mein lieber Sohn, es ist zwar tragisch und auch kaum zu fassen, was hier passiert ist, aber aus diesem Geschehniss kannst Du nur lernen. Hör genau zu mein Sohn, es wird eine Lexion für Dich sein." Der Sultan holt tief Luft, setzt seine Rede besonnen fort: "Letzte Nacht, als ich mich niedergelegt hatte, habe ich diesen, meinen Lieblingseunuchen gebeten, in meinen Harem zu eilen und mir die schönste meiner Frauen hierherzuschaffen. Er kam unglaublich schnell zurück und brachte mir eine Frau, von der selbst Allah kaum zu träumen wagt, so schön war sie. Aber Du kennst mich ja, sie hat nur meinen Appetit angeregt und ich schickte meinen treuherzigen Eunuchen wieder los. Diesmal sollte er so schnell wie möglich die feurigste meiner Frauen holen. Kurze Zeit später, Du weißt wie weit der Weg von meinem Schlafgemach bis hin zum Harem ist, kam er mit einer temperamentvollen Rothaarigen zurück. Aber auch sie konnte meine Lust nicht stillen, ich schickte den Eunuchen wieder los, mit dem Befehl, mir eine Jungfrau zu bringen. Wieder kam er blitzschnell zurück, diesmal mit einer zarten, blonden Jungfrau. Da mir aber auch die Jungfrau nicht genügte, mußte er in dieser Nacht noch einige Male die Strecke zwischen meinen Gemächern und dem Harem zurücklegen, bis er dann wohl plötzlich zusammenbrach und tot in der Halle lag."
"Aber, geliebter Vater, welche Lexion soll mir diese Ansprache erteilen, was soll ich daraus lernen?" fragt der radlos blickende Sohn.
Die Antwort läßt nicht lange auf sich warten, als der Sultan mit erhobenem Zeigefinger sagt: "Du, mein Sohn sollst aus meinen weisen Worten lernen, dass die Liebe sehr schön und keineswegs gefährlich ist, aber hinter ihr herzulaufen, mein geliebter Sohn, das kann tödlich sein!"