
Anshale ist ein Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit. In einem Land, zerrissen von einem Religionskrieg zwischen der Numen-Kirche und den Geisterbeschwörern der Kal’ban bleibt ihm jedoch kaum Zeit, seine verlorenen Erinnerungen aufzuspüren. Lediglich Grauer ,der mysteriöse Anführer der Kal’ban, scheint etwas über ihn zu wissen. Als dieser ihn bittet , ihm dabei zu helfen , einige Gefangene zu befreien findet er sich plötzlich direkt zwischen den verfeindeten Fronten wieder. Und auf dem alles entscheidenden
Schlachtfeld von Ebenwald offenbart sich ihm schließlich eine Wahrheit, die ihn zur Entscheidung zwingt.
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Das Kerzenlicht spiegelte sich in den Wasserpfützen am Boden des Tunnels. Offenbar war seit langer Zeit niemand mehr hier gewesen. Die lose gesetzten Steine, welche die Wände und die bogenförmige Decke des Gangs bildeten waren mit Moos überwuchert. ,, Wie habt ihr diesen Ort gefunden ?“ , wollte Anshale wissen, während er Gwenth durch das Halbdunkel folgte. ,, Finden war der einfache Teil.“ , antwortete dieser. ,, Ich glaube nicht, das jemand überhaupt weiß, dass es diesen Durchgang überhaupt gibt. Und
vermutlich wäre das auch so geblieben. Aber… auf einigen der alten Baupläne der Kathedrale war er noch eingezeichnet.“ ,, Ihr seid mir ein Rätsel, wie ihr den ganzen Tag mit alten Papieren verbringen könnten.“ ,, Man gewöhnt sich daran.“ ,, Wie alt ist dieses Gebäude ?“ , wollte Grauer wissen. ,, Ich schätze, der Grundstein wurde gelegt, als die Numen hier ankamen.“ ,, Stammt deren Volk nicht von hier ?“ ,, Den Geburtsort der Numen bildet die alte Heimatstadt des Propheten. Auf der Insel Madrea. Heute gibt es dort nur noch Ruinen und einige Pilger, die sich dorthin wagen. Nach dem Tod des
Propheten, wurde der Ort schnell verlassen. Innerhalb weniger Jahre verfiel alles.“ ,, Was ist mit diesem Propheten passiert ?“ ,, Ich weiß es nicht. Wenn die Kirchenaufzeichnungen stimmen, wurde er im Kampf mit einem Fremden getötet, einen Mann von jenseits der See.“ Langsam setzten sie ihren Weg durch die Dunkelheit fort. Der Gang begann sich mittlerweile kaum merklich zu neigen und bergab zu verlaufen. Wenn Anshale ihre Position richtig abschätzte, lag die Garnison ein Stück tiefer als die Kathedrale. Es konnte also nicht mehr weit
sein… ,, Mit wie vielen Gefangenen müssen wir rechnen ? Dreißig ? Fünfzig ? Es wird schwierig werden, die alle durch einen derart schmalen Tunnel zu schleusen.“ , meinte Celcine. Gwenth schüttelte den Kopf. ,, Wir kommen nicht auf diesem Weg zurück.“ Der Gang endete wenige Meter vor ihnen an einer Wand. Grauer hielt die Kerze hoch und begutachtete einen Augenblick den massiv wirkenden Stein. ,, Das ist eine Sackgasse.“ ,, Ist es nicht.“ , erwiderte der Priester und trat zu dem Kal’ban. ,, Leuchtet mir
einmal.“ Gwenth begann die Wand nach etwas abzusuchen, bis er innehielt. ,, Aha. Wusste ich es doch.“ Mit einem Klicken löste sich einer der Steine aus dem Mauerwerk. Als Anshale nähertrat, konnte er erkennen, dass sich dahinter lediglich Holz befand. ,, Diese Gänge waren ursprünglich ein Fluchttunnel für die Garnison. Im Fall einer Belagerung konnte man so Leutedirekt aus der Kirche in die Festung bringen.“ , erklärte Gwenth und drückte die Hand gegen die Holzfläche. Mit einem Klicken sprang die vorher so unverrückbar wirkende Mauer eine Handbreit zurück. ,, Das Problem ist,
das hier ist eine… nun ja… Einbahntür.“ ,, Das heißt, wir können nicht zurück ?“ , fragte Grauer. Der Priester nickte. ,, Ich bin sicher, es gab mal einen Öffnungsmechanismus auf der anderen Seite, aber im Gegensatz zu diesem hier ist er wohl dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.“ Anshale seufzte. ,, Großartig.“ ,, Ihr habt doch gesagt, ihr kennt die Wachpläne.“ ,, Ja , aber…“ Das stimmte allerdings. Das seltsam vertraute Gefühl, diesen Ort zu kennen, stellte sich wieder ein. ,, Bringen wir es einfach hinter uns. Desto früher wir hier weg sind, desto besser.“ Die Wand ließ sich mühelos
zurückschieben, als Anshale dagegen drückte. Die Steine und der Mörtel, der dem ganzem einen massiven Eindruck verliehen hatten, waren lediglich an einer Grundfläche aus Holz befestigt. Trotz der Jahrzehnte, die der Mechanismus schon ungenutzt sein musste, schwang der versteckte Durchgang fast lautlos auf. Anshale trat, gefolgt von den anderen nach draußen. Sie befanden sich in einem nur schlecht beleuchteten Gang, der in zwei Richtungen weiterlief. Lediglich einige brennende Fackeln erhellten das dunkel und füllten die Luft mit dem Geruch von brennendem Pech. Der Fluchttunnel hinter ihnen fiel mit
einem leisen Schlag zu. Der falsche Stein fügte sich fast nahtlos in die umgebende Wand ein. Anshale nahm sich vor, sich die Stelle zu merken. Auch wenn sie keine Möglichkeit hatten, die Tür von hier zu öffnen, im Notfall konnten sie das Holz sicher zerschlagen. Auch wenn der Lärm vermutlich jeden Inquisitor in der Garnison alarmieren würde. Aber wenn sie wirklich einen Grund hätten, fliehen zu müssen, wäre das wohl sowieso der Fall. ,, Wohin ?“ , fragte er an Gwenth gerichtet. Er glaubte es zu wissen. So wie es aussah, waren sie im unterirdischen Teil der Anlage, auch wenn er nicht sagen konnte wo genau.
Die Zellen lagen im Westen, also… ,, Nach rechts. Folgt mir.“ , erwiderte Gwenth und bestätigte damit Anshales Vermutung. Nein es war mehr als eine Vermutung…. Sehr viel mehr. Er nahm im Vorübergehen eine Fackel aus einer der Wandhalterungen. Sie beeilten sich, einen Weg durch die Gänge zu finden. Die Schritte der kleinen gruppe hallten von den Wänden wieder und sie versuchten gar nicht erst, besonders leise zu sein. Ab jetzt war Zeit alles, was wirklich zählte und solange sie niemand sah, würde das Geräusch ihrer Schritte sie nicht verraten. Lediglich an den Stellen, wo mehrere Gänge sich kreuzten, wurde Gwenth
langsamer, um zu lauschen, ob ihnen nicht jemand entgegenkam. Nur einmal musste Gwenth anhalten, weil Anshale stehenblieb. Vom Weg, dem sie folgten zweigte eine Treppe ab, die nach oben führte. Am Ende der Stufen befand sich eine Holztür. ,, Anshale, wir müssen weiter.“ , sagte Grauer leise. Er antwortete nicht. ,, Was ist los ?“ , wollte Gwenth wissen. Anshale schüttelte den Kopf. ,, Gar nichts…“ ,, Das klingt aber nicht nach gar nichts.“ , stellte Celcine fest. ,, Ich… Ich sehe mich nur kurz um.“
Mit diesen Worten stieg er schnell das halbe Dutzend Stufen bis zur Tür herauf und öffnete sie Vorsichtig. Celcine sah resigniert zu Grauer und dem Priester. ,, Ich sehe nach ihm. Sucht ihr weiter. Wir finden euch entweder wieder oder einen eigenen Weg hinaus.“ Grauer nickte. ,, Pass auf dich auf.“ Anshale trat in einen großen, offenen Raum. Die Wände, obwohl aus demselben Stein wie der Rest der Tunnel, waren mit farbigen Decken behängt, so dass der Ort weniger kalt wirkte. Mehrere Öllampen in Wandnischen taten
ihr Übriges. Durch ein einziges vergittertes Fenster am anderen Ende des Raums fiel Mondlicht. In einer Ecke befand sich ein Bücherregal mit abgegriffenen Buchrücken. Kissen und Decken lagen aufgestapelt daneben. Alles in allem sah es aus, als sei der Raum relativ schnell hergerichtet worden. Ein schwerer Tisch mit aufgeschlagenen Papieren nahm hingegen die linke Seite der kleinen Halle ein Rasch trat Anshale an den Tisch und Blätterte die Pergamente durch. Nichts Auffälliges. Kirchengeschichte, Listen mit Sold und Versorgungsausgaben und nichtssagende
Berichte. ,, Was hoffst du hier zu finden ?“ ,, Ich weiß es nicht aber.. ich kenne diesen Ort. Diesen Raum.“ Seine Augen suchten die gesamte Einrichtung ab. Die Bücher, die Decken und die bunten Wandvorhänge. Er war schon einmal hier gewesen. Nur wann ? Selbst die unterirdischen Gänge der Garnison waren ihm vertraut erschienen. Er war kein Gefangener hier gewesen… Aber die einzige Möglichkeit, die blieb machte ihm Angst. Frustriert drehte er sich zu dem Fuchs um. ,, Verdammt, warum kann ich mich nicht erinnern?“ Wenn er die Augen schloss sah er
brennende Gebäude, Schatten in den Flammen, die ihn zu verfolgen schienen… Panik vermischt mit brennender Wut, als wären die Bilder vor seinen Augen echt, machten sich breit. Und auf eine Art waren sie das. Weisfeld. Er war dort gewesen, wie unwahrscheinlich das auch schien. Und aus den Flammen… war ein anderer Mann zurückgekehrt. Was war passiert? ,,Anshale…“ Die besorgte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. ,, Das ist nicht mein Name !“ Anshales Stimme war lauter, als beabsichtigt und seine Worte hallten von den Wänden wieder.
,, Was ist nur los mit dir ?“ ,,Ich.. „ Anshale zwang sich die Bilder abzuschütteln. ,, Warum habe ich das gesagt ? Entschuldige…. In einem Moment ist alles zum Greifen nah und im anderen scheint mir alles zu entgleiten und ich habe Angst davor.“ ,,Wovor ?“ , fragte Celcine. Wieder schien es, fand das Geistwesen einfach die richtigen Fragen. Oder genau die falschen, den sie erlaubten ihm nicht zu schweigen. ,, Vielleicht mich zu erinnern. Mich zu verändern…“ Unruhig sah er sich nach allen Seiten um. Irgendetwas war hier derart nicht in
Ordnung hier, dass er diesen Ort am liebsten sofort verlassen hätte. Und nicht nur diesen Raum. Die Garnison, die Stadt Er war so nah dran sich zu erinnern… und gleichzeitig wollte er es immer weniger. ,, Du kannst nichts werden, das du nicht bist.“ Er hätte am liebsten gelacht. ,, Was bin ich denn? Ich weiß es nicht!“ ,, Was immer du mal warst, ich glaube immer noch, unter allem bist du ganz in Ordnung.“ Ganz in Ordnung Celcine ?“ Diesmal lachte er wirklich und es kümmerte nicht, ob sie jemand entdeckte. ,, Ich kenne diesen Ort… wie meine
Westentasche. Wir beide wissen was das bedeutet und ich bin nicht dumm genug es zu leugnen. Nichts ist in Ordnung.“ ,, Wir wissen gar nichts.“ ,, Nein du weißt nichts. Ich hingegen… weiß woran ich mich erinnere.“ Er schüttelte langsam den Kopf. Es gab eine Erklärung für seine Erinnerungen. Eine Möglichkeit, die er sich eingestehen musste. ,, Ich bin ein Inquisitor.“ ,, Das weißt du nicht.“ Anshale machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum einschloss.,, Dann erklär mir das hier.“ ,, Das… kann ich nicht… Ich weiß nur, dass du kein schlechter Mensch bist. Das heißt für jemanden mit ziemlich
kurzer Lebenserwartung.“ ,, Im Vergleich zu ?“ ,, So ziemlich jedem anderen Lebewesen das ich kenne, wenn du so weitermachst. Du rennst einfach los, ohne einmal Nachzudenken, bist direkt der erste, der einfach in einen Konflikt dazwischen geht und sich mit einem Trupp Inquisitoren anlegt und bei all dem bist du nicht mal langsamer geworden. Du machst einfach was du willst Anshale und in der Hinsicht bist du sogar noch schlimmer als Grauer. Und jetzt plötzlich fängst du an dir Sorgen zu machen? “ ,, Ich schätze das stimmt.“ , gab er zu. ,, Aber seine Vergangenheit verlieren… wie würdest du dich den fühlen
?“ ,, Ich hätte sehr viel, das erst einmal Verloren gehen müsste. Also, wir müssen weiter, wenn du nicht herausfinden möchtest, ob dich jemand von der Inquisition wiedererkennt.“ ,, Wenn das so einfach wäre.“ , sagte er. Trotzdem, Celcine hatte recht. Er hatte Puzzleteile. Und die gefielen ihm überhaupt nicht. Aber es war eben immer noch nur das. Einige Scherbe eines Mosaiks, dem immer noch eine Kontur fehlte. ,, Anshale, ob du dich erinnerst oder nicht ist für den Moment nicht wichtig. Es sei denn natürlich das würde dich dazu bringen die Garnison zu alarmieren.
Dann lass das mit dem Erinnern bitte, bis Grauer und ich weit weg sind. Was wichtig ist, ist für was du dich jetzt entscheidest. Und du hast dich entschieden uns zu helfen.“ ,, Was immer auch geschehen ist, ich habe gesehen, was die Inquisition anrichtet. Meine Entscheidung steht seit Barsai. Also schön. Gehen wir.“ Anshale wendete sich von dem Tisch und den Papieren ab. Auf eine Art war es wirklich unwichtig, wer er vorher gewesen war. Er wusste, was er tun wollte. Niemand verdiente es für seinen Glauben eingesperrt oder verfolgt zu werden, egal auf welcher Seite er letztendlich einmal
stand.
Als er und Celcine den Raum bereits wieder halb durchquert hatten, hielt er jedoch inne. Das Mondlicht, das durch das kleine Fenster fiel tauchte die Umgebung in silbernes Licht.
Etwas war nicht in Ordnung…
Anshale ließ den Blick erneut über die Einrichtung wandern.
Celcine musterte ihn unsicher. ,, Was ist los ?“
,, Wir sind nicht allein.“ , erwiderte Anshale leise. Jemand war mit ihnen im Raum.
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