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Atemlos

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"Atemlos"
Veröffentlicht am 13. Februar 2014, 138 Seiten
Kategorie Sonstiges
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http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin mit meine süßen 15 Jahren noch ziemlich jung, doch ich liebe und lebe für das Schreiben! Meine Inspiration sind Werke anderer Autoren und meine beste Freundin. Ich steh auf Horror und mystische Geschichten, Creepypastas immer erwünscht. :-)
Atemlos

Atemlos

VorworT




Ich hätte nie gedacht, dass ich in einer 

Großstadt einmal Teil eines Verbrechens werden würde. Doch als ich zu meiner Mutter nach Madrid zog, hatte ich noch keine Ahnung, dass ich hier dem größte Abenteuer meines Lebens begegnen sollte. Es war schließlich eine so große Stadt! Wieso also ich?


Widmung



Dieses Buch ist für meine beste Freundin! Du hast mich inspiriert und ich konnte dir alles erzählen! Du hast mir meine erste Bewertung für das Buch gegeben, du warst die Erste, die es je gelesen hat! Danke für alles! Ich liebe dich. <3

Nun aber zur geschichte





Ich hoffe, euch gefällt es!

1


Ich wusste schon immer, dass der erste Tag an einer neuen Schule für jeden gleich sein würde: Peinlich. Alle gafften. Deshalb schaute ich auf den Boden und verdeckte mein blasses, von schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht unter meiner Kapuze, als ich zu den verschiedenen Räumen ging. Natürlich konnte ich nicht die ganze Zeit mit Kapuze im Gesicht im Klassenraum sitzen, irgendwann musste ich mich trotzdem zeigen. Ein Glück verlangten die Lehrer nicht, dass ich mich der Klasse vorstellte. Sie setzten mich einfach immer auf die freien Plätze, meist in den hinteren

Reihen. Obwohl man sich eigentlich hätte umdrehen müssen, um mich anzustarren, schafften meine Mitschüler es irgendwie trotzdem. Deshalb war ich sehr froh, als die Schule endlich vorbei war. Doch dann dachte ich an Mom und stöhnte auf: ich war heute mit Kochen dran und hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Also beschloss ich, nichts Besonderes zu machen. Ich würde einfach Spaghetti kochen. Während die Soße warm wurde, machte ich mich an die Hausaufgaben. Ich hörte das Auto meiner Mom auf die Auffahrt fahren. Ich ging in die Küche und setzte die Spaghetti auf den Herd. "Mia?"

"Ja, Mom, hier bin ich!", rief ich zurück. Sie schnupperte bewundernd. "Riecht echt

gut, Mia."

"Danke, ist auch gleich fertig!" Mom setzte sich zu mir in die Küche und wartete. Ich deckte den Tisch. Wir setzten uns und begannen mit dem Essen. "Und, wie war dein erster Schultag?", fragte sie. Ich schluckte und zögerte mit der Antwort, suchte nach den richtigen Worten.

"Naja... hätte besser sein können", brachte ich schließlich heraus. Damit war das Gespräch auch fast schon wieder beendet. Wir waren von Natur aus nicht sehr gesprächig,


In der Nacht konnte ich nicht viel schlafen, ich machte mir zu viele Gedanken. Ich hatte Albträume. Als ich am Morgen

aufwachte, ging es mir nicht besser als am Tag zuvor. Ich freute mich nicht wirklich auf die Schule, besonders nicht auf die Blicke, die mich wieder erwarteten. Doch als ich auf den Parkplatz der Schule fuhr, wunderte ich mich: keine neugierigen Augen, keine sich reckenden Hälse, die alles daran setzten, mich zu sehen. Das konnte doch noch nicht alles gewesen sein! Aber als ich mich umschaute, sah ich, warum mich niemand mehr anstarrte: Es war der umringte Junge, der den Kopf in die Hände gestützt hatte und auf der Bank vor der Turnhalle saß. Es sah aus, als würde er weinen. Plötzlich kam ein Lehrer auf den Menschenpulk um den Jungen zu. Er sah sehr besorgt aus.

„Was ist los? Was ist passiert?“, rief er. Der Schülerkreis öffnete sich wortlos und machte dem Lehrer Platz. Der Junge war aus meinem Englischkurs, er hieß Ben, wenn ich mich richtig erinnerte. Ben saß einfach nur da und schüttelte langsam den Kopf. Dann endlich sah er auf: Er hatte die Augen weit aufgerissen und die Lippen zusammengepresst. Der Lehrer, es war unser Geschichtslehrer, kniete sich neben ihn und sah ihn an. „Sag mir, Ben, was ist los?“ „Es war... es war ein... ein Schrei“, flüsterte er. Er zitterte am ganzen Körper. „Er kam aus dem... Modegeschäft auf der anderen Straßenseite. Ich... wollte nachsehen, was los ist. Da... war ein

Mann... und ein Mädchen. Das Mädchen lag auf dem Boden und... zitterte am ganzen Körper. Der Mann ging langsam... um... das Mädchen herum, drohend. Und dann...“. Er stockte und schloss die Augen. Dann kippte er einfach vorneweg. Er war in Ohnmacht gefallen. Alles war ganz still. Der Schulsanitätsdienst kam und unser Geschichtslehrer half ihnen, ihn auf die Trage zu legen. So brachten sie ihn weg. Es war immer noch still. Zu still für meinen Geschmack. Ich stahl mich davon und ein Mädchen aus Mathe folgte mir. „Hallo“, sagte sie schüchtern. „Hi.“ Ich antwortete genauso schüchtern. „Weißt du, was er meint? Das ist ganz schön seltsam...“

„Ja, das finde ich auch... Aber Ben war schon immer dafür bekannt, sich wichtig zu machen.“ Sie lachte leise und plötzlich wusste ich: Wir würden uns bestimmt gut verstehen. Vielleicht würden wir sogar Freundinnen werden. Aber das war jetzt egal, jetzt machte ich mir erstmal Gedanken über das, was Ben gesagt hatte. War es wirklich so, dass Ben nur Show machte? Das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen. In so einer großen Stadt konnte leicht etwas passieren. Und ich hatte Angst, riesengroße Angst. Es war eine blödsinnige Angst. Sie war unbegründet, doch sie war da und ich wusste nicht, warum. Doch die Sache mit Ben ließ mich nicht mehr los.

Und meine Ängste wurden noch verstärkt dadurch, dass niemand über diese Sache Bescheid wusste. Einzig Ella, meine neue Freundin, machte sich nicht so große Sorgen. Sie hatte so eine Art, alles immer ins positive zu ziehen. Das freute mich, denn so wurde ich abgelenkt und vergaß meine Ängste schnell. Doch mein Unterbewusstsein machte sich immer noch große Sorgen. Ich wusste es, doch ich beachtete es nicht. Denn ich war wieder Anstarrziel von den knapp zweitausend Schülern der Madrid Community Highschool. Doch Ella sagte mir, ich solle es nicht so ernst nehmen, denn es ginge allen neuen Schülern so. Ich folgte ihrem Rat und ärgerte mich nicht. Ich beachtete es

in Biologie nicht und ließ mich auch nicht in Geschichte ärgern. So vergingen die Wochen. Und dann kam der Brief. Ein Brief, mit alter Schreibmaschine geschrieben. Ich musste ihn vor meiner Mutter verheimlichen, sie würde sich sonst zu viele Sorgen machen. Meine blödsinnige, unbegründete Angst loderte wieder auf, sie ärgerte mich, obwohl ich sie eigentlich verdrängt hatte. Als ich den Brief zum gefühlten zweihundertsten Mal las, spürte ich sie kommen. Die Tränen, die mir genauso blöde und unbegründet vorkamen, es aber nicht waren. Jeder hätte geheult, wenn er den Brief selbst gelesen

hätte: Liebe Mia! Ich bitte dich, niemandem von diesem Brief zu erzählen. Denn das könnte dir und deinen Lieben Ärger einhandeln. Das willst du doch nicht, oder? Grund für diesen Brief: Ich habe einen Auftrag für dich. Du wirst nicht begeistert darüber sein, aber du musst es tun, sonst... Auftrag: Gehe am Montag in das Modegeschäft gegenüber der Schule. Du weißt ja, was letzten Monat passiert ist. Deshalb musst du dahingehen. Dort wird dich eine Nachricht von mir erwarten. Es wird dieses Mal kein Brief sein, ich werde höchstpersönlich dort aufkreuzen. Nähere

Informationen erhältst du dann am Montag. Tu es einfach, keine Fragen, klar? Ich werde dich erwarten. Ja, so war es. Ich musste es tun, sonst blühte mir was. Eigentlich könnte es genauso gut ein Streich sein, wer sollte mir bitte was tun wollen? Mir fiel wirklich keiner ein. Ich beschloss, es einfach mal darauf ankommen zu lassen und am Montag zum Modegeschäft zu gehen. Was sollte schon groß passieren? Es war Montagmorgen und ich löffelte meine Cornflakes, weil ich nichts Besonderes zum Frühstück machen wollte. Als ich fertig war, lief ich zur Haltestelle

für die Straßenbahn zur Schule. Dort erwartete mich Ella schon, wie jeden Morgen. Doch heute hatte sie einen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Irgendwie... versteinert. Als ich ausstieg, kam sie mir entgegen. Sie schwieg. Doch dann sagte sie endlich was. „Hast du einen Brief bekommen?“ Ich wunderte mich über die Frage. Wusste sie etwas darüber? „Wieso fragst du?“ „Weil ich einen Verdacht habe, dass du auch einen Brief bekommen hast. Ich hab nämlich einen bekommen.“ „Von wem?“ „Von irgendwem. Ich weiß es nicht...“,antwortete sie, plötzlich leiser. Sie sah traurig aus. Dann sagte sie: „Hast du

nun einen Brief bekommen oder nicht?“ „Na gut: Ja, hab ich. Und du?“ „Ja, ich habe einen Brief bekommen... stand da bei dir auch etwas von einem Auftrag drin? Und dürftest du es auch nicht verraten?“ Ich gab keine Antwort. Ich war in Gedanken tot. Ich wollte es nicht glauben. Schließlich sagte ich zögernd: „Ja...“ „Dann müssen wir heute beide zum Modegeschäft gehen.“ Ich war immer noch verwirrt. Schließlich fragte sie: „Hast du Angst?“ „Ein wenig. Und du?“ Sie gab keine Antwort. Ich ließ ihr Zeit, zu überlegen. Als sie antwortete, waren wir bereits an der Schule angekommen und sie sagte: „Lass

uns zum Unterricht gehen. Wir reden dann in der Pause weiter.“ Das war das Letzte, was sie sagte. Wir gingen zu Mathe, was mir in dieser Situation überhaupt nicht gefiel. Ich war echt mies drauf, da musste es nicht aus noch zu meinem absoluten Hassfach gehen. Warum erzählte Ella mir denn Rätsel? Sie sagte nichts, sie schwieg. Endlich war die Stunde vorbei. Ich würde sie zur Rede stellen. Ich würde sie fragen und dabei ein bisschen meckern. Doch als ich sie sah, verschlug es mir die Sprache. Sie sah, aus als wäre sie tot, sie war leichenblass. „Ich hab riesengroße Angst“, gestand sie mir leise. Ich wusste nicht wie ich aussah. Es war mir egal. Ich verstand es nicht. Schließlich sagte ich: „Okay, dann

lass uns losgehen, oder?“ Wir gingen durch den Eingang des Kaufhauses. Er war unverschlossen, natürlich. Wir gingen langsam, zögernd, ängstlich. Wir schauten uns um. Es war nichts außer den ganzen Klamotten zu sehen. Normalerweise hatte das Modegeschäft um diese Zeit geschlossen. Wir zuckten zusammen, als wir ein Geräusch hörten, doch es war nur der Wind, der durch das offene Fenster pfiff. Doch dann waren ganz deutlich Schritte zu hören. Wir drehten uns gleichzeitig ruckartig um: da stand ein Junge. Ein dürrer, schmächtiger Junge. Er schaute uns mit seinen grünen Katzenaugen an. Dann kam

er langsam auf uns zu und stand mit wenigen Schritten vor uns. Er sagte: „Was wollt ihr hier?“ „Wir... äh... wir wollten bloß... gerade wieder... gehen?“ Er schaute uns weiterhin an, er glaubte uns nicht. Wir gingen mit winzigen Schritten langsam rückwärts. Er folgte uns. Plötzlich erkannten wir ihn. Es war Hilko aus unserem Politikkurs. Ich erkannte ihn auf einmal ganz genau, mit den schwarzen Haaren, den grünen Augen und seinem schmächtigem Körperbau. Warum war er hier? Was wollte er? Ich linste zu Ella herüber. Sie starrte, genau wie ich, Hilko an. Urplötzlich sagte Hilko etwas. Nein, er flüsterte. „Ihr seid hier, weil ihr einen Brief bekommen habt. Ihr

habe auch einen bekommen.“ Was? Was? WAS? Woher wusste ER jetzt wieder davon? Mann, weiß jetzt die ganze Schule davon? Es würde mich nicht wundern wenn gleich unsere Lehrer auftauchen würden. „Na?“, fragte Hilko. „Was ist? Das stimmt doch, oder?“ „Was willst du denn?“, fragte Ella mit fester Stimme. Hilko wurde wieder leiser. „Ich will doch nur nicht allein sein.... bei diesem... was auch immer das ist.“ Ella und ich starrten uns an. Hilko Hausers und Angst? Angst vor etwas Unbekanntem, wovon er keine Ahnung hatte? Merkwürdig, da er doch sonst so hart war. Er war uns immer mutig vorgekommen. „Na gut, wenn du meinst“, sagte Ella laut

„Wir werden zusammenarbeiten.“ „Wirklich? Danke, danke, danke, dankeschön!“ Wir grinsten uns an. Hilko klang wie ein kleines Kind, das gerade einen Lolli geschenkt bekommen hatte. Wir standen also zu dritt in diesem großen, leeren Kaufhaus und hatten alle einen Brief von einem Unbekannten bekommen, der etwas von uns wollte. Keine besonders schöne Aussicht. Plötzlich hörten wir ein Geräusch. Es klang nach einem Husten. Wir zuckten zusammen und wirbelten herum. Da kam eine weiche Stimme aus dem Schatten hinter uns. „Keiner weiß, dass ihr drei hier seit, oder?“ Wir standen stocksteif da und antworteten

nicht. Anscheinend nahm er unser Schweigen als „Ja“, denn er sagte nur: „Gut. Diesen Teil der Abmachung habt ihr also verstanden. Nun kommen wir zu dem Auftrag. Ich hatte euch in dem Brief darüber informiert...“ Ella entfuhr ein kleines Wimmern. Die Stimme lachte böse, aber melodisch. Ein Lachen, in das man sich glatt hätte verlieben können. Hilko und ich hatten offenbar den gleichen Gedanken, denn wir hoben beide den Arm, um ihn um Ella zu legen. Ella lächelte uns vorsichtig zu. Die Stimme aus dem Dunkeln räusperte sich. „Können wir jetzt mit dem Schmusen aufhören und zur Sache kommen? Ihr wollt doch nicht, dass ich böse werde.“ Wir

hörten augenblicklich auf, uns zu bewegen und wurden wieder stocksteif. Aus dem Schatten kam ein sanftes Flüstern: „Also, wie schon gesagt: Ihr wurdet herbestellt, weil ich einen Auftrag für euch habe. Wisst ihr, dass der Junge, der mich im letzten Monat hier sah, ausgefragt wurde? Ich weiß, dass ihr diesen Jungen kennt. Sagt mir seinen Namen!“ „Das werden wir niemals tun!“, schrie Hilko. Ich wusste, dass Ella und ich das gleiche dachten: Das war entweder sehr mutig oder sehr dumm von ihm. Die Stimme lachte wieder. Mir liefen kalte Schauer über den Rücken. „Tja, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Gewalt anzuwenden.“ Wir hörten

ein Geräusch wie von einer Pistole, die geladen wird. Ella wimmerte. Hilko atmete laut. Ich dagegen hielt die Luft an. „Und? Wollt ihr immer noch nichts sagen?“ „Na schön. Ich werde es sagen!“, schrie Ella plötzlich mit tränenerstickter Stimme. „Es... es... er heißt...“ „Nein Ella, tu es nicht! Sonst wird Ben in große Gefahr geraten!“ Hilko merkte zu spät, dass es ein Fehler war, das zu sagen. Er schlug die Hände vor den Mund. „So, sein Name ist also Ben? Höchst interessant.“ Die Stimme lachte wieder. Ich stieß Hilko in die Seite und warf ihm einen bösen Blick zu. Ella schluchzte. Komisch eigentlich, ich hatte sie noch nie so aus der Fassung gesehen.

„Vielen Dank, ihr drei. Ihr habt mir sehr geholfen. Nun dürft ihr gehen.“ Doch wir rührten uns nicht. Wir warteten, bis wir sich entfernende Schritte und die zugehende Tür hörten. Dann war alles ruhig. Es kam uns vor wie eine Ewigkeit, bis wir uns endlich trauten, aus dem Kaufhaus zu gehen. Wir saßen zu dritt auf einer Bank vor der Schule und sprachen nicht. Plötzlich meinte Hilko: „Ich bin so ein verdammter Volltrottel!“ Was antwortet man auf so was? Wir konnten ja schlecht „Ja“ sagen, auch wenn es vielleicht stimmte. Also blickte ich Ella an und sie

seufzte. „Ach , Hilko, in so einer Situation hätte jeder die Fassung verloren. Ich hätte es ja selber auch gesagt, ihr habt mich ja gesehen!“ Ich saß einfach nur da und schaute auf meine Schuhe. Was ihnen wohl durch den Kopf ging? Sollte ich es irgendwem erzählen? Meine Mutter? Nein, die regt sich zu schnell auf. Polizei? Das war mir zu peinlich. Nein, ich konnte es niemandem sagen. „Was denkst du, Mia?“, kam es von Ella. „Ich weiß nicht so recht, was wir jetzt tun sollen.“, antwortete ich. „Wieso sollten wir irgendetwas tun?“, fragte Hilko. Er klang aufgebracht, fast schon sauer. „Ich meine, seien wir mal ehrlich: Wir haben Ben verraten und sind

nun aus dem Schneider. Aber wenn Ben irgendetwas zustößt, wird man natürlich nach Hinweisen suchen. Und dann haben wir wirklich ein Problem.“ Wir brauchten nicht zu antworten, wir wussten alle, dass er Recht hat. „Aber was, wenn wir zur Polizei gehen? Dann könnten wir alles erzählen und...“ „Nichts und! Die buchten uns ein, wenn wir auch nur ein einziges Sterbenswörtchen sagen!“ unterbrach Hilko Ella. „Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst, Hilko?“, murmelte ich. Er sah mich mit großen Augen an, stand dann abrupt auf und stürmte davon. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich um und meinte: „Zu niemandem ein Wort, klar? Wir

werden diese ganze Sache einfach vergessen.“ Dann verschwand er. Ella sah ihm nach, zuckte mit den Schultern und bemerkte: „Ich wusste schon immer, der hat sie nicht mehr alle.“ Dann ging auch sie. Ich war allein. Plötzlich fiel mir meine Mutter ein und ich lief zur Haltestelle, um nach Hause zu fahren. „Ich brauche dringend ein eigenes Auto“, murmelte ich verbittert, als ich in die dreckige Bahn stieg und mich neben einen älteren Herrn setzte. Als ich nach Hause kam, wartete meine Mutter bereits auf mich. Natürlich, ich war schließlich zwei Stunden zu spät. Doch meine Mutter schien nicht sauer zu sein, im

Gegenteil: Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. Ich war etwas verwundert als sie auf mich zustürzte und mich in die Arme nahm. „Mom? Ist alles in Ordnung?“, fragte ich zaghaft. „Natürlich, alles ist gut, sogar mehr als gut!“, sagte sie mit einem Lächeln, das zu breit für ihr Gesicht schien. „Ich habe großartige Neuigkeiten! Der Verlag hat mein Buch gekauft und will es nun veröffentlichen!“ Meine Mutter war Autorin. Normalerweise schrieb sie Romane, doch sie hatte sich nun, mit sichtbarem Erfolg, an einem Thriller versucht. „Ehrlich? Das ist ja super!“ Ich freute mich riesig für sie. „Ja, nicht? Und zur Feier des Tages habe

ich mir gedacht, wir gehen essen, du und ich. Einverstanden?“ Natürlich war ich einverstanden. Schließlich wüsste ich nicht, was ich sonst zu Essen kochen sollte. Ich wollte gerade in ihr Auto steigen, als Mom mich zurückrief. „Nein, Mia. Heute fahren wir nicht mit meinem Auto.“ Oh Gott, bitte nicht die Straßenbahn, dachte ich verzweifelt. Ich ließ mir jedoch nichts anmerken und lief brav wie ein kleiner Hund hinterher. Sie drehte sich zu mir um und rief dann mit einer ausholenden Geste nach hinten: „Überraschung!“ Vor mir, glänzend im strahlenden Sonnenschein, stand ein nagelneuer, knallgelber Porsche. Ich wusste erst nicht so recht, was ich sagen sollte. Ich stand einfach nur da und

starrte das Auto an. Als Mom mich fragte, was ich davon hielte, fragte ich vorsichtig: „Mom? Ist der etwa für mich?“ „Ja natürlich, mein Schatz! Es ist ein Geschenk für dich! Gefällt er dir etwa nicht?“ Bei dem letzten Satz klang sie enttäuscht. Ich ging langsam auf den Wagen zu und strich mit meiner Hand über die Motorhaube. Ich flüsterte: „Wow. Der ist ja super.“ Dann schien mein Körper zu realisieren, was das bedeutete. Ich fiel meiner Mutter um den Hals, hüpfte auf und ab und kreischte und kiekste. Der erwachsene, ordentliche Teil meines Hirns erinnerte mich daran, dass ich siebzehn war und nicht sieben, doch das war mir egal. Nie wieder Straßenbahn, ein eigenes Auto,

ein Porsche! Das war besser als alles, was ich mir je erträumt hätte. Alle meine Ängste und Sorgen bezüglich des Vorfalls im Modegeschäft waren wie weggeblasen. Und als ich endlich fertig war mit herumhüpfen, meinte Mom, ich dürfte uns zu einem Restaurant meiner Wahl fahren. Ich wusste schon genau, wohin: Ins La Bola, meinem Lieblings-Restaurant. Meine Mutter zahlte das Essen, schenkte mir ein Auto, einfach so... Ich schwebte im siebten Himmel. Meine Mutter schien das zu merken, denn sie lächelte ununterbrochen selig. Verständlicherweise war es auch für sie ein großer Tag, denn sie hatte ihr Buch veröffentlicht, endlich! Wir saßen und feierten noch lange in dem Restaurant. In

dem Moment wusste ich, dass alles in Ordnung war. Als ich am Nächsten Tag zur Schule kam, war Ella nicht da. „Natürlich!“, schoss es mir durch den Kopf. „Ella hat kein Auto.“ Ich beschloss, ihr die frohe Botschaft so bald als möglich zu erzählen und dass ich sie ab sofort mitnehmen würde. Ich wusste, auch sie hasste die Straßenbahn. Doch schon bald merkte ich, dass Ella krank war. Ich war besorgt, es könnte etwas mit gestern zu tun haben, doch ich verbot mir, daran zu denken. Wieso sollte es? Der Tag verlief trostlos, denn ich vermisste meine beste Freundin. Ich war nicht allein, keineswegs. Unsere Clique war super und

ich mochte sie alle total gerne. Am Mittagstisch war die Stimmung wie gewohnt fröhlich, doch ich beteiligte mich nicht wirklich an ihren Gesprächen. Ich wusste selbst nicht, weshalb. Ben, der mittlerweile mit an unserem Tisch saß, schien das zu bemerken. „Hey, Mia, hast du `ne faule Tomate gegessen oder was machst du für`n Gesicht? Komm lach doch mal!“ Bei so einem Spruch konnte ich nicht anders als zu grinsen. „Na also, geht doch!“ Von da an beteiligte ich mich mehr an ihren Unterhaltungen und hörte so zum ersten Mal vom Weihnachtsball. Es war Damenwahl und ich musste zugeben: Auch wenn ich vielleicht nicht so aussah, ich liebte Tanzen über alles. Als ich noch in

Deutschland gelebt hab, hatte ich, neben meinen unzähligen Spanisch-Kursen, Tanzstunden genommen. Ich liebte den Tanz. Ich konnte fast alles: Hip Hop, Klassisches und sogar ein wenig Break Dance. Am liebsten jedoch war mir der Rock`n`Roll. Das klingt vielleicht altmodisch, doch so bin ich eben. Auf jeden Fall würde ich hingehen. Dann fiel uns wieder ein, dass irgendwann natürlich die Mittagspause zu Ende war. Ich besah mir meinen Stundenplan, der sich vor kurzem Mal wieder geändert hatte: als nächstes hatte ich Sport. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ella war nicht da und außerdem würde ich vollkommen verschwitzt nach Hause kommen, wo ein riesiger Berg an

Hausaufgaben auf mich wartete. Außerdem musste ja auch irgendwer Ella sagen, was wir durchgenommen hatten. Ich würde sie am Abend anrufen. Als ich die Umkleide betrat, fiel mir ein Mädchen auf. Ich hatte sie vorher noch nie gesehen, vielleicht war sie neu hier? Sie trug einen langen, schwarzen Trenchcoat und darunter eine enge, schwarze Hose, bestimmt eine Leggins. Als sie mich bemerkte, schaute ich schnell weg. Ich würde sie bestimmt nicht anstarren so wie vor ein paar Monaten meine Mitschüler mich. Sie sah mich lange an und ich guckte betont nicht zu ihr. Doch als sie mich sogar beim Umziehen anschaute, wurde mir das

zu blöd. Ich guckte zu ihr herüber und wir blickten uns direkt in die Augen. Sie hatte leuchtend grüne Augen! Sofort war ich neidisch. Ich träumte schon lange von solchen Augen. Sie waren wunderschön und umrahmt von langen, schwarzen Wimpern. Auch hatte sie einen dicken Lidstrich gezogen, was ihre Augen sehr betonte. Wie konnte man nur so lange jemandem in die Augen sehen ohne sich zu schämen? Aber ich wollte nicht als Erste wieder weg sehen, schließlich war sie angefangen. Auch ihre Haare waren schwarz, wie meine, doch im Gegensatz zu meinen waren ihre wie ein Meer schwarzer Locken. Sie grinste. Es sah irgendwie gemein aus. Doch ich glaubte nicht, dass ein so hübsches Mädchen böse

war. Ich hatte mich bereits umgezogen, doch sie war noch nicht mal angefangen. Sie ging lässig und kein bisschen für Sport angemessen gekleidet hinter mir in die Halle. Nach der Stunde ging ich mich umziehen. Sie stand vor der Tür zur Umkleide, als hätte sie auf mich gewartet. Sie kannte mich doch überhaupt nicht! Sie sah mich und sagte mit feiner, leiser Stimme: „Hallo, Mia.“ Dabei schaute sie mich ein wenig von unten an, als wäre sie furchtbar schüchtern. Woher um alles in der Welt wusste dieses Mädchen meinen Namen? „Ja?“ „Komm mit mir, Mia. Ich muss dir etwas zeigen...“ Dann nahm sie meine Hand und

führte mich weg. Und ich Vollidiot ging im Gänsemarsch hinter ihr her. Wir liefen in einen Wald hinein. Es war plötzlich alles so grün! Wie in einer anderen Welt, dachte ich. Ich war sehr fasziniert von dem Farbenspiel, wie die Sonne mit den Blättern spielte. Doch auf einmal verlor ich den Boden unter den Füßen. Ich fiel in eine Grube und landete mit dem Gesicht nach unten im Matsch. Ich hörte eine vertraute Stimme: „Oh nein! Mia!“ Es war tatsächlich Ella! Sie saß auf dem Boden in einer Ecke der Grube und sah mich an, doch sie rührte sich nicht. Ich sah auch beinahe sofort, warum: Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken zusammengebunden und an einer Wurzel befestigt, so dass sie

weder vor noch zurück konnte. Ich stürzte auf sie zu und versuchte, die Fesseln zu lösen. Ohne Erfolg. Da hörten wir ein hämisches, doch gleichzeitig harmonisches Lachen und wir beide zuckten zusammen. Dieses Lachen kannten wir! Wir sahen zum Rand der Grube hinauf, doch das Licht machte es uns schwer, etwas zu erkennen. Alles was wir sahen, war ein Schatten in Form eines Mannes. Es war der Mann aus dem Modeladen, wie wir erkannten. Er ließ eine Strickleiter hinabfallen und ich wich davor zurück als würde sie jeden Moment explodieren. Er lachte wieder und bemerkte trocken: „Na gut, wenn ihr da unten verhungern wollt...“ Er begann die Leiter wieder hinaufzuziehen, doch ich stürzte

darauf zu und krallte mich daran fest. Er lachte erneut. Dann kam er selbst die Leiter hinab und löste Ellas Fesseln. Sie schrie und lehnte sich von ihm weg, doch er gab ihr eine Ohrfeige und brüllte: „Wirst du wohl stillhalten, du dummes Ding?! Ich kann dich gerne hier unten sterben lassen!“ Sie wimmerte und ließ ihn die Fesseln lösen. Sie rieb sich die Handgelenke und versuchte aufzustehen, doch sie brach zusammen. Anscheinend wurde auch sie in die Grube gestoßen und hatte sich nun den Knöchel verstaucht. Der Mann seufzte und trug sie die Leiter hoch. Ich folgte ihm in Sicherheitsabstand. Oben angekommen, zog er mich vollends hinauf und sagte nur: „Komm.“ Ich wagte nicht, zu

widersprechen und folgte ihm tiefer in den Wald. Er trug Ella immer noch. Wir gelangten nach einer halben Stunde zu einer kleinen Blockhütte, die innen viel größer war als sie von außen wirkte. Es gab sogar mehrere Zimmer. Er legte Ella auf ein kahles Bett in einem Raum, bedeutete mir, dazubleiben und holte eine Wolldecke für sie. Sie wimmerte selbst im Schlaf, in den sie nach kurzer Zeit gesunken war. Der Mann räusperte sich leise, zeigte auf mich und dann mit dem Daumen über seine Schulter. Ich verstand: Ich sollte mit ihm gehen. Auf Zehenspitzen verließ ich das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Im Nebenzimmer hob er seine Stimme. „Du bist garantiert neugierig, so wie ich euch

lästige Teenager kenne.“ Ich nickte nur. „Okay, ich will ehrlich sein: Ich bin nicht “der Gute“. Ich habe einen konkreten Plan, den ich dir jetzt garantiert nicht erzählen werde. Aber eines kann ich dir versprechen: Du wirst es kaum erwarten können!“ Das was ich dann sagte kam mutiger `rüber als ich mich tatsächlich fühlte. „Warum sollte ich ihnen bei ihrem Plan helfen?“ „Weil du es willst. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du es umso mehr wollen!“ Mir lief ein Schauer über den Rücken. Konnte es tatsächlich passieren? Konnte ich “böse“ werden? Mir fiel auf, dass er immer noch im Schatten stand. Als er näher trat, konnte ich endlich sein Gesicht erkennen. Er hatte das wundervollste Gesicht, dass ich je

gesehen hatte! Leuchtend blaue Augen, in die ich stundenlang hätte blicken können, eine schön geschwungene Nase. Und erst die Farbe seiner Haare! Goldbraun, beinahe schimmernd. Mir fiel auf, dass ich ihn regelrecht anschmachtete, also riss ich mich am Riemen. Es war sehr leicht, ihm zu vertrauen. Gefährlich leicht. Ich musste stark bleiben! Ich durfte mich nicht einlullen lassen, auf keinen Fall! Ich musste fliehen, wenn ich überleben wollte! Er riss mich aus meinen Gedanken. Seine Stimme war samtweich. Sofort musste ich mich wieder hart konzentrieren, um ihm zuzuhören. „Weißt du, weshalb ich mich vorher nie gezeigt habe? Ich wusste, dass absolut kein Mädchen mir wiederstehen

kann. Garantiert klingt das sehr eingebildet aber das ist eine Tatsache. Wirklich niemand kann diesem Gesicht wiederstehen! Ich kann genau in diesem Moment an deinen Augen ablesen, wie sehr es dich anstrengt, mich nicht anzuschmachten!“ Er lachte erneut. Wie viel er lachte! Ich musste irgendetwas sagen, um mich abzulenken. „Warum ist Hilko diesmal nicht hier?“, sprudelte es aus mir heraus. „Der Junge? Nein, er hat mir schließlich schon geholfen. Nur du und deine kleine Freundin sind mir doch was schuldig, Süße.“ Die Tatsache, dass er mich “Süße“ nannte, machte mich ganz schwindelig. Ich griff mir an den Kopf um das

Schwindelgefühl loszuwerden. Er bemerkte es und schaute mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn an. Ich hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf: Weg hier! „Weißt du, ich denke, ihr beiden bleibt heute Nacht hier. Ich kann euch bestimmt noch mal gut gebrauchen, außerdem kann deine Freundin nicht laufen. Du bleibst hier, ich gehe in mein Zimmer und alle sind zufrieden, ja? Ruf deine Mutter an oder sonst irgendwen, mir egal, und erfinde irgendwas damit sie sich keine Sorgen macht. Ich warne dich“ - er kam mir ganz nah, sogar sein Duft war berauschend - „keine Tricks! Du willst mich nicht zum Feind haben!“ Mit diesen Worten drückte er mir ein Telefon in die Hand. Ich wählte

langsam die Nummer von daheim und erzählte, unter den wachsamen Augen des Mannes, meiner Mom, ich würde bei Ella übernachten. Dann rief ich Ellas Mutter an und erzählte ihr, wir zwei würden zu einer Party gehen und danach bei einem Freund bleiben. Als ich auflegte, nickte der Mann und sagte nur: „Gut.“ Ich wollte eigentlich schon wissen, wer er eigentlich war, doch ich wagte nicht zu fragen. Er schien von selbst drauf zu kommen, aber vielleicht konnte er auch Gedankenlesen, - diese Vorstellung bereitete mir Gänsehaut - denn er sagte: „Oh, verzeih mir die Unhöflichkeit. Ich habe mich überhaupt nicht vorgestellt! Gestatten: Mr. Marceliano Brown, professioneller Spion und

nebenberuflich Ganove. Wir werden bestimmt noch viel Spaß gemeinsam haben!“ Mit diesen Worten verließ er den Raum. Ich war allein. Lange lag ich zusammengerollt auf dem kahlen Bett und dachte nach. Als ich spät in der Nacht endlich ein lautes Schnarchen aus dem Zimmer nebenan hörte, wagte ich es, zu Ella zu schleichen und sie zu wecken. Sie war vollkommen aufgelöst und ununterbrochen liefen ihr stumme Tränen über die Wangen. Vielleicht kam das auch wegen dem Schmerz. Ich sagte ihr, ich würde das Haus erkunden und später wiederkommen. Ich lief durch das Haus, nur nicht in das Zimmer von Mr. Brown. Ich hasste mich dafür, ihn beinahe

Marceliano genannt zu haben. Schließlich fand ich ein offenes Fenster im Erdgeschoss, aus dem Ella und ich fliehen konnten. ich lief zurück zu ihrem Zimmer, hob sie hoch und stützte sie. Langsam wankten wir zu dem Fenster, ich öffnete es und half Ella hinaus. Dann kletterte ich hinterher. Doch was nun? Wir waren mitten im Wald, wir konnten uns verirren oder Schlimmeres! Ich beschloss, erstmal geradeaus zu laufen, schließlich waren wir auch aus dieser Richtung gekommen. Na gut, “laufen“ war übertrieben. Halb stützte ich, halb trug ich Ella durch den Wald. Nach einer Ewigkeit, so kam es mir vor, sah ich weiter vorne ein Licht! Es fuhr vorbei wie ein Auto und es wurde mir

leicht ums Herz: Eine Schnellstraße! So schnell es eben ging liefen Ella und ich darauf zu. Wir hatten es geschafft! Wir standen am Rande der Schnellstraße und hofften, irgendjemand würde uns finden und mitnehmen. Etwa zehn Minuten später tauchte tatsächlich ein Transporter auf. Der nette, etwas in die Jahre gekommene Mann half Ella in das Führerhaus und ich stieg ebenfalls ein. Los ging es. Er brachte uns nach Hause und Ella wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Meine Mutter fiel mir um den Hals als sie mich erblickte, so zerschunden und aufgewühlt wie ich aussah. Sie ließ nicht zu, dass ich für den Rest der Woche zur Schule ging. Ich erzählte ihr nicht, dass wir in den Wald

verschleppt wurden und auch nicht, dass der Mann nichts Gutes im Schilde führte. Letzteres wäre wahrscheinlich besser gewesen zu erwähnen, aber ich tat es nicht. Ich wusste selber nicht wieso. Ich musste immerzu an Marceliano denken und hasste mich selbst dafür. Ich fühlte jedes Mal ein Kribbeln im Bauch, wenn ich an ihn dachte. Das durfte nicht sein! Ich musste ihn vergessen! Doch ich schaffte es einfach nicht. Ich lenkte mich ab, spielte Brettspiele, Kartenspiele, ging auf Partys und machte jeden Unfug in der Schule mit, nur um nicht an ihn zu denken. Einigermaßen besser ging es mir jedenfalls. So vergingen die Tage. Langsam aber sicher schien ich wahnsinnig zu werden. Ich hatte

einen solchen Selbsthass auf mich, nur wegen ihm! Ich begann mich zu ritzen. Sosehr ich es auch zu verheimlichen suchte, lange würde das nicht mehr gut gehen. Also beschloss ich, etwas sehr, sehr Dummes zu tun. Ich würde es meiner Mutter sagen. Ich kam also nachmittags nach Hause. Ich hatte einen Masterplan entwickelt, der mich vielleicht etwas retten würde. Ich kochte Chinesisch, extra für Mom. Ich hasste chinesisches Essen, doch wenn es mir den Hals retten würde, konnte ich es durchaus ertragen. Mom kam also nach Hause und ich bereitete mich darauf vor es ihr zu sagen. Beim Essen wagte ich einen Versuch.

„Mom?“ „Mh-hm?“ „Ähm... es gibt etwas, das ich dir sagen muss...“ „Oh mein Gott! Du bist schwanger?!“ „Was? Nein! Ich muss es dir zeigen.“ Mit diesen Worten schob ich den Ärmel meines Pullis hoch, entblößte die Narben. Meine Mutter schrie auf. Sie riss meinen Arm näher zu sich heran, um ihn genauer zu betrachten. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie mich an - und für einen kurzen Moment sah es aus aus als wolle sie mich schlagen. Doch dann zog sie mich in ihre Arme. Da konnte ich nicht anders: Ich begann zu heulen wie ein Schlosshund. Es war wieder wie in meiner Kindheit. Ich war

ein kleines Kind, das in den Armen der Mutter Trost sucht. Ich weiß nicht, wie lange wir so da saßen, oder wie lange ich geweint habe, doch es war mir auch egal. Ich genoss es so richtig, alles zu erzählen. Irgendwie fühlte ich mich... befreit. Meine Mutter hörte genau zu, sie unterbrach mich kein einziges Mal. Als ich geendet hatte, nahm sie mich noch einmal in den Arm und wählte dann die Nummer der Polizei. Sie schilderte den Polizisten das Nötigste, dann kamen sie persönlich her und ich musste alles noch mal durchleben und erklären. Schon fühlte ich mich nicht mehr befreit, im Gegenteil. Ich hätte so wieder losheulen können. Stumme Tränen rollten mir ununterbrochen übers Gesicht, während ich

auf der Couch saß und die Polizisten den Brief lasen oder meiner Mutter fragen stellten. Auch als die Polizisten längst wieder fort waren, rührte ich mich nicht, bis meine Mutter mich ins Bett steckte. Sie erzählte mir sogar noch eine Gute-Nacht-Geschichte, wie damals, als ich noch klein war. Und dann saß sie noch auf meinem Bettrand bis ich eingeschlafen war. Ich durchlebte eine traumlose, unruhige Nacht. Am Morgen wachte ich auf, sah auf die Uhr - und fiel fast aus dem Bett! Es war bereits Zehn Uhr am Morgen! An einem Schultag! Ich stürzte die Treppe hinab und lief direkt in meine Mutter hinein. Sie fing mich auf und fragte nur lächelnd: „Wohin denn so eilig?“

„Mom, ich muss zur Schule! Es ist schon Zehn!“ „Nein, nein, mein Schatz. Du bleibst schön hier. Ich habe in deiner Schule angerufen und dich abgemeldet. Glaubst du etwa, ich lasse dich nach der Geschichte einfach so in die Schule? Was wäre ich denn für eine Mutter?“ Ich war sprachlos. Dass sie so besorgt war, rührte mich zutiefst und sofort begann ich wieder zu weinen. Meine Mutter machte mir ein Frühstück. Stumm aß ich es auf, stumm stand ich auf und räumte den Tisch ab, da meine Mutter schon wieder los zur Arbeit musste. Sie wäre am liebsten daheim geblieben, das wusste ich. Ebenfalls

wortlos ging ich in mein Zimmer und macht meine Hausaufgaben. Normalerweise murmelte ich selbst dabei immer vor mich hin, doch heute war ich stumm. Meine Mutter meinte immer, ich würde pausenlos reden. Tja, das hatte sich nun erledigt. Plötzlich klingelte mein Handy. Und gleichzeitig das Festnetz-Telefon. Ich ließ es klingeln, ich hatte keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen. Doch ich schaute nach, wer es war. Auf dem Festnetz wurde die Nummer meiner Tante angezeigt, doch auf dem Handy stand „unbekannter Anrufer“. Seltsam. Ich beschloss, nicht darauf zu achten und machte mich wieder an meine Hausaufgaben. Doch mittlerweile war ich so aufgewühlt, dass ich mich nicht

konzentrieren konnte. Wütend schmiss ich mein Mathebuch an die Wand. Ich erschrak mich vor mir selbst! Normalerweise war ich nicht brutal oder jähzornig, doch heute hatte ich große Lust, etwas kaputt zu machen. So landete auch mein Matheheft, mein Mäppchen, meine Computermaus und mein Teddybär, den ich von meiner Uroma geschenkt bekommen hatte, an der Wand. All diese Sachen klatschten jedoch nur dagegen, rutschten an ihr herunter und blieben dann auf dem Boden liegen. Das machte mich nur noch wütender, also begann ich, meine Hausaufgaben und mein Tagebuch zu zerreißen. Als abermals mein Handy klingelte, nahm ich ab und brüllte in den Hörer. „WAS?“ Am anderen Ende der

Leitung knackte es, wie immer bei meinem Handy. Dann erklang eine schöne, melodische Stimme. Seine Stimme. „Süße? Was ist denn mit dir los?“ Vor Schreck ließ ich beinahe mein Handy fallen. „Hast du einen Grund, mich so anzubrüllen? Was habe ich dir denn getan?“ Ich kochte vor all der so lange unterdrückten, aufgestauten Wut. Dann entlud sich eben diese Wut auf mein Handy. Ich hielt es mir vor mein Gesicht und brüllte los: „WAS DU MIR GETAN HAST??? DU HAST MEIN LEBEN ZERSTÖRT MIT DEINEM ACH SO GENIALEN PLAN! WEGEN DIR ALLEIN HABE ICH MIT DEM RITZEN ANGEFANGEN, WEGEN DIR BIN ICH...ich ...“ Plötzlich konnte ich nicht

mehr. Ich holte tief Luft. „NUR WEGEN DIR HAT MEINE MUTTER BEINAHE EINEN HERZINFARKT BEKOMMEN! RUF MICH NIE WIEDER AN, HÖRST DU? ICH WILL NICHTS MEHR VON DIR WISSEN, KLAR? GUTEN TAG!“ Mit den letzten Worten drückte ich auf den roten Knopf und schmiss dann auch noch mein Handy gegen die Wand. Es zersplitterte und fiel in tausenden Teilen zu Boden. Wenigstens konnte er mich so nicht mehr erreichen, dachte ich bitter. Ich wollte Ella anrufen, ihr alles sagen, doch sie war nicht zuhause. Natürlich nicht! Es war schließlich Schule. Gedankenverloren setzte ich mich auf das Fensterbrett und schaut e hinaus in den Regen. Durch die

beschlagene Scheibe erkannte ich meinen leuchtenden, gelben Porsche. Er schien hier in dem grauen Neben und dem Regen irgendwie fehl am Platz. Ich weiß nicht wie lange ich so da saß und ich sah auch Moms Wagen nicht kommen, doch plötzlich schlug die Haustür zu. „Mia?“, kam es von unten. Mom war zuhause. Ich sah mich in meinem Zimmer um. Überall lagen meine Sachen herum. Es störte mich nicht. Weil ich nicht geantwortet hatte, kam meine Mutter zu mir hoch in mein Zimmer. Sie sah sich erschrocken um. „Oh Gott, Mia-Maus, was ist passiert?“ Ich erzählte ihr alles. Sie sah sich kopfschüttelnd erneut um, entdeckte dann mein in Fetzen gerissenes Handy. Sie hob die gröbsten

Teile auf und meinte: „Na, zumindest kann er dich so nicht mehr erreichen!“ „Das hab ich auch schon gedacht.“ Sie seufzte. „Ach, meine Kleine.“ Sie nahm mich in den Arm. Wir sanken ineinander verschlungen auf mein Bett. Ich hatte nicht bemerkt, dass es schon so spät war, doch auf einmal sah meine Mutter auf ihre Armbanduhr und seufzte erneut. „Schon halb zwei.“ Ich sah sie an. „Gibt es ein Problem?“, fragte ich sie. „Nun ja, weißt du, ich habe seit fünf Stunden nichts gegessen...“ Und wie zur Bestätigung knurrte ihr Magen. Sie lachte und ich stimmte mit ein. Es war schön, mal wieder zu lachen. Es kam mir vor, als seien meine letzten Tage in grauem Nebel

untergegangen. Mom knuffte mich in die Seite, genau dorthin, wo ich kitzelig war. Natürlich wusste sie das, sie war schließlich meine Mutter. Und weil sie meine Mutter war, war auch sie an dieser Stelle kitzelig. Ich nutzte mein Wissen aus, genau wie sie vorhin. Als sie lachend, händeringend um Gnade bettelte, hörte ich auf. Immer noch kichernd setzte sie sich auf. „Na gut, Mia. Wie wär`s, wenn wir uns jetzt eine Pizza bestellen und uns dann gemeinsam einen gemütlichen Abend machen, hm?“ Begeistert nickte ich. Sie stand auf und ging aus meinem Zimmer. Ich streckte mich auf meinem Bett aus. Lächelnd sah ich an die Decke. Ich hörte Mama unten telefonieren. Glücklich

seufzend stand ich auf und ging leise die Treppe hinunter. Mom regte sich gerade auf, ich hörte es an ihrem Ton. Ich achtete nicht weiter darauf, sondern setzte mich an den Tisch und wartete. Seufzend kam Mom in die Küche. „Tja, das wird wohl nichts mehr mit der Pizza.“ „Wieso, was ist passiert?“ „Ach, der Typ am Telefon war nicht gerade freundlich. Und dann hat er mich vollkommen falsch verstanden. Als ich dann sagte, er solle es vergessen, hat der erstmal losgeschimpft wie zwanzig wütende Hippos! Es war fürchterlich.“ Sie raufte sich die Haare. „Sag mal, ist dein Auto vollgetankt?“ Ich musste grinsen. Was das Tanken anging, war sie sehr vergesslich.

Ich nickte. Also fuhren wir zusammen in ein Restaurant, besorgten danach Popcorn und schauten uns noch einen Film an. Es war wunderschön. Und weil meine Mutter meinte, dass ich mich nicht morgen von einer Klippe stürze, durfte ich auch wieder zur Schule. Ich holte Ella wie gewohnt ab. Doch sie zerrte mich aus dem Wagen und umschlang mich mit beiden Armen ganz fest. Ich umarmte sie ebenfalls. „Oh, Mia! Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte schon, es wäre etwas passiert!“ Sie ließ mich los, hielt mich etwa auf Armeslänge von sich und guckte mich genau an. Ganz besonders achtete sie auf meine Arme,

meine Narben. Sie hatte es zwar gewusst, doch sie war jedes Mal wieder geschockt. Selbst ich erschrak gelegentlich vor meinen vernarbten Unterarmen. „Oh Gott, Mia“, murmelte sie jedes Mal wieder. Wir fuhren los zur Schule, schweigend. Als wir angekommen waren, stieg Ella als Erste aus. Wir liefen gemeinsam zum Schulgebäude. Ich machte ein paar Anläufe, etwas zu sagen, doch ich wusste nicht, was. So ging es beinahe den ganzen Tag, nur gelegentlich murmelte Ella irgendwas. Schließlich trennten wir uns, sie ging zur Cafèteria, ich musste noch schnell zur Toilette. Ich wusch mir die Arme und das Gesicht im Waschbecken. Dann schaute ich in den Spiegel. Ganz deutlich war der

Stress der letzten Tage zu sehen und plötzlich verstand ich, weshalb mich Ella, meine Mom und sogar die Lehrer die ganze Zeit über so besorgt angesehen hatten. Die nächsten Tage verliefen relativ normal. Ich war betont fröhlich und ließ mir meine Angst nicht anmerken. Ja, sie war wieder da. Die Angst, er könnte mich finden. Doch nichts passierte und ich war unglaublich froh darüber. Andererseits fühlte ich immer einen Stich in meiner Brust, wenn ich an ihn dachte, wofür ich mich abgrundtief verachtete. An einem Tag im Mai jedoch, ich saß mit meinen Freunden im Schulpark auf dem Rasen, schweifte mein Blick herum. Er fiel auf den nahen Wald - ich

erstarrte. Dort, am Rand des Waldes, stand er. Ich sah genauer hin, doch plötzlich war er verschwunden. Ella, die meinem Blick gefolgt war, berührte meinen Arm und fragte: „Mia? Alles in Ordnung mit dir?“ Ich merkte, dass ich zitterte. Langsam drehte ich den Kopf zu Ella, öffnete den Mund. Ich wollte es ihr sagen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Stattdessen sagte ich: „Nein, alles okay, ich hab nur vor mich hin geträumt.“ ich lächelte sie an, doch sie glaubte mir nicht. Sie stand auf, zog mich hoch und ging mit den Worten „Wir gehen mal schnell auf die Toilette“ mit mir davon. Wir liefen tatsächlich in die Nähe der Toiletten und verschwanden in einer Nische. „So, und

nun sagst du mir, was mit dir los ist.“ Ich hatte schon immer gewusst, dass man sie nicht täuschen konnte. Sie kannte mich einfach viel zu gut. Ich druckste nicht lange herum, sondern flüsterte: „Ich habe ihn gesehen. Am Waldrand.“ Sie starrte mich an. „Doch als ich genauer hinsah, war er verschwunden.“ So langsam zweifelte ich selbst an meinem geistigen Zustand. Ella dachte dasselbe, denn sie sagte: „Bist du dir sicher? Das ist doch nicht möglich!“ Zweifelnd schüttelte sie den Kopf. Lange standen wir nur so da, bis es zur Stunde läutete. Gemeinsam liefen wir zum Klassenraum, doch ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mein Blick wanderte im Raum herum und schließlich

aus dem Fenster. So verging die Stunde, ohne dass ich mitbekam, worum es eigentlich ging. Ich bekam nicht mal mit, dass die Stunde vorbei war, bis Ella mich anstupste. „Hey Mia, von wem träumst du denn?“ Sie grinste. Ich grinste zurück. Sie hatte Recht: Es konnte einfach nicht sein. Es war einfach nicht möglich. Somit war mein Entschluss gefasst: Ich würde mein Leben einfach weiterleben, als wäre nichts passiert. Und das tat ich auch. Ich verschwendete keinen einzigen bewussten Gedanken an Marceliano. Nur meine Träume konnte ich nicht abstellen. Es verging keine Nacht, in der ich nicht an diese wundervollen, blauen Augen dachte und es durchströmte meine Träume mit

einer kaum auszuhaltenden Sehnsucht, die dann immer wieder morgens von einer niederschmetternden Traurigkeit gefolgt wurde. Es war zermürbend. Eines Tages dann klingelte das Telefon. Da ich allein zuhause war, blieb mir natürlich nichts anderes übrig als ranzugehen. „Hallo?“, fragte ich gelangweilt. „Wer ist da? Hier ist Mia.“ „Ja, hallo Mia! Kennst du mich noch? Ich bin es, den du so wunderbar angeschrien hast.“ Ein Lachen, weich und melodisch. Mein Herz pochte zum Zerspringen. Unwillkürlich musste ich lächeln. „Marceliano?“ „Ja, Süße! Schön, dass du dich erinnerst.“

In seiner Stimme klang sein Lächeln mit. „Hast du Lust etwas zu unternehmen?“ Ich war naiv. Und dumm. Denn das, was ich da sagte, konnte man nicht anders nennen. Ich hauchte: „Ja...“ „Gut, dann hole ich dich gleich ab.“ Ich hätte besorgt sein sollen, dass er offensichtlich wusste, wo ich wohnte. Aber alles, was ich fühlte war eine Art Vorfreude. Wenige Minuten später klingelte es an der Haustür. Ich öffnete. Mich traf fast der Schlag: da stand er! Seine blauen Augen leuchteten mir eingegen. Er lächelte, nahm meine Hand und führte mich zu seinem Wagen. Da schien er meinen Porsche zu bemerken. „Oh? Was haben wir denn da?“ Lächelnd strich er mit der Hand

über die Haube. „Ist das etwa deiner?“ Ich nickte lächelnd. „Sollen wir mit meinem Wagen fahren? Oder ist dir deiner lieber, damit du deiner lieben Mutti nichts erklären musst?“ Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Oh, ja. Stimmt.“ Wir stiegen in meinen Wagen und ich fuhr los. „Wohin?“ „Ach, ich dachte mir, wir fahren an den See. Da können wir uns einen entspannten Tag machen.“ Begeistert lächelnd fuhr ich los. Es wurde wirklich wunderschön. Wir saßen ewig an dem See und sprachen über alles Mögliche. In dem Moment wusste ich: Er konnte unmöglich fies sein. Doch ein kleiner Teil meines Gehirns sprach mit leiser Stimme

und warnte mich: „Das machte er mit Absicht. Du kannst ihm nicht trauen!“ Ich blendete sie aus. Ich vertraute ihm vollkommen. Es gab keinen Zweifel, dass er nichts Böses wollte. Dachte ich. Doch auf einmal meinte er seufzend: „Wenn ich nur nicht pleite wäre...“ Ich sah ihn an. Davon hörte ich zum ersten Mal. „Du bist pleite?“ „Ja, leider.“ Er seufzte erneut. „Und egal was ich mache, ich komme einfach nicht zu Geld.“ „Was wirst du jetzt tun?“ „Weißt du, du darfst jetzt auf keinen Fall sauer werden.“ „Wieso sollte ich?“ „Nun ja...“ Er druckste herum. „Ich plane

einen Banküberfall.“ Ich starrte ihn an. Ich glaubte ihm nicht, aber andererseits... „Wirklich?“ „Ja, wirklich. Und ich möchte, dass du mir hilfst!“ Dabei schaute er mir tief in die Augen. Ich verlor vollkommen die Fassung, wie jedes Mal, wenn ich in diese wundervollen Augen schaute. Ich musste mehrmals blinzeln, um mich wieder zu fassen. Dann sagte ich: „Ist das dein Ernst?“ „Bitte, du musst mir helfen!“ Flehentlich schaute er mich an. Ich konnte nicht anders. Ich sagte zu. Marceliano strahlte. Dann küsste er mich, einfach so. Mein Herz

raste. Später machten wir uns an die Ausarbeitung eines Plans. Ich war überrascht, wie viel Spaß mir das Ganze machte. Unser Plan sah mich als eine Art Ablenkung an und er würde derweil den Safe ausräumen. Allein der Gedanke daran verursachte bei mir eine Gänsehaut. Wir waren so vertieft, dass ich vollkommen vergaß, wie spät es war. Ich sprang auf. „Oh du meine Güte! Schau mal wie spät es schon ist! Ich muss dringend nach Hause!“ „Oh natürlich, das verstehe ich. Sag mir nur vorher: Sehen wir uns wieder?“ „Aber klar doch! Wieso denn nicht?“ Wir vereinbarten ein Treffen für die nächste

Woche, dann ging ich zu meinem Wagen. Ich wunderte mich ein bisschen, dass er nicht mit mir zurück fahren wollte. Doch als ich nach Hause kam und meine Mutter mich fragte, wo ich gewesen sei, antwortete ich nicht gleich. Sie wusste seinen Namen und dass er verantwortlich für meine Depression gewesen war. Also wusste ich nicht, ob ich es ihr verraten konnte. „Ich war mit... einem Freund am See“, brachte ich schließlich heraus. Sie grinste verschwörerisch und sagte: „Jemand, den ich kenne?“ Dabei stieß sie mich freundschaftlich in die Seite. Wenn die wüsste! Und laut sagte ich: „Ich denke nicht, dass du ihn kennst.“ Ich musste grinsen. „Seht ihr euch wieder?“, hakte sie

nach. „Ja, nächste Woche.“ Damit war das Gespräch fast schon wieder beendet. Ich ging nach oben in mein Zimmer und begann, mir ein Outfit für morgen rauszusuchen. Normalerweise griff ich einfach in den Schrank und zog das an, was ich als Erstes zu fassen bekam. Doch ich hatte einen Plan: Ich erinnerte mich noch lebhaft an das Outfit des Mädchens, was mich in den Wald gebracht hatte. Eigentlich war es ganz cool gewesen und ich wollte es auch mal ausprobieren. Schon immer hatte ich dunklere Klamotten bevorzugt, also hatte ich kein Problem, etwas passendes zu finden. Ich saß noch stundenlang wach in meinem Zimmer und probierte

verschiedenste Teile an, bis ich endlich zufrieden war. Erschöpft, aber glücklich ging ich zu Bett. Am nächsten Morgen tat ich etwas, was ich zuvor noch nie getan hatte: ich schminkte mich. Erstaunlich, was ein schön geschwungener Lidstrich für eine Wirkung bei meinen dunkelbraunen Augen hervorrief. Auch klaute ich mir einen roten Lippenstift von Mom. Als ich so zurechtgemacht die Treppe herunterkam, war meine Mom erst ein bisschen verwirrt, lächelte dann und meinte: „Hübsch, Mia. Du solltest dich öfter schminken. Ist das etwa mein Lippenstift?“ Sie lachte und ich lachte mit ihr. Später stieg ich in meinen

Porsche - wie ich es genoss, dass der Wagen immer alle Blicke auf sich zog - und fuhr los, um Ella abzuholen. Ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Für wen hast du dich denn so aufgebrezelt?“, fragte sie grinsend. Als wir in der Schule ankamen, kamen aus allen Richtungen ungläubige und bewundernde Blicke. Irgendwer pfiff mir sogar hinterher. Ich fühlte mich wie der letzte Filmstar. Ella genoss es ebenfalls, da sie schließlich auch bewundernde Blicke abbekam. Somit ging ich nach der Schule mit Ella einkaufen, um mein Rèpertoire an Schminke aufzustocken. Am Abend gingen wir noch gemeinsam italienisch Essen. Es wurde noch ein toller Abend. Als wir auf dem Rückweg in meinem Auto saßen,

unterhielten wir uns noch ein Weilchen über Jungs und Schminke und so, was wir vorher noch nie getan hatten. Zum Abschied meinte Ella kichernd: „Ich wusste doch, dass da irgendwo in dir drin ein kleines, rebellisches Girly steckt! Wir sehen uns morgen!“ „Ciao, Ella!“ Ich fuhr heim. Als ich die Haustür aufschloss, rief meine Mutter: „Mia?“ „Ja, Mom, ich bin`s!“ „Wie war`s in der Stadt? Hattet ihr Spaß? „Oh ja, es war super! Aber nun bin ich auch ziemlich müde. Gute Nacht, Mom!“ „Schlaf schön, Liebes!“ Oben angekommen, klingelte mein Handy. Ich hatte mir endlich ein neues angeschafft.

Ich erkannte die Nummer. „Hi, Marceliano!“ „Hallo, Süße! Wie geht`s?“ „Mir geht`s super, ich bin nur ziemlich müde. Und bei dir?“ „Alles bestens. Du? Hör mal, ich dachte mir, dass ich dich vielleicht morgen zur Schule fahre. Was dagegen?“ Als ob. „Nein, natürlich nicht. Bis morgen, dann!“ „Bis morgen. Ich liebe dich.“ Diese drei kleinen Worte lösten bei mir eine riesengroße Reaktion aus. Ich legte auf, schrie, kreischte, quietschte und hüpfte auf und ab, genau wie damals, als ich das Auto bekommen hatte. Meine Mutter schien das zu hören. Sie kam die Treppe hinauf,

klopfte und trat ein. „Hey, Mia. Was ist denn mit dir los?“ „Marceliano hat mir gesagt, er liebt mich!“, antwortete ich freudestrahlend. Zu spät bemerkte ich, dass dies zu sagen ein unglaublicher Fehler war. Meine Mutter stand da wie vom Blitz getroffen. Minutenlang starrte sie mich an. „Doch nicht etwa der Typ, der dir das Leben so schwer gemacht hat!“, schrie sie dann. Ich zuckte zurück. „Doch, Mom. Genau der!“, erwiderte ich trotzig. Mom stand einfach nur da. Dann stürzte sie auf mich zu, umfasste meine Arme und drückte sie leicht. „Mia, ich verbiete dir, ihn weiterhin zu treffen. hast du mich verstanden, Fräulein?“ Ich wusste, dass sie mich nur

“Fräulein“ nannte, wenn sie sauer war. Doch sauer war untertrieben. Sie war fuchsteufelswild. „WIESO?“, schrie ich mit tränenerstickter Stimme. Sie konnte mir das doch nicht antun! „Er würde mich niemals verletzen!“ „Keine Widerrede!“, donnerte meine Mutter. Ich erkannte sie nicht wieder. Normalerweise war sie immer ruhig und gefasst. Sie hatte mich noch nie so angebrüllt wie jetzt, weshalb ich auch nicht wusste, wie ich reagieren sollte. „Du wirst diesen Kerl NIEMALS wiedersehen. Das ist mein letztes Wort.“ Damit rannte sie hinaus und die Treppe herunter. Unten hörte ich sie leise schluchzen, doch das war mir egal. Ich war sauer auf sie. Nein, ich hasste sie

dafür. Ich fasste einen Entschluss: ich würde von zuhause abhauen! Darauf wartend, dass sie endlich zu Bett ging, packte ich mir alles Nötige an Klamotten in meinen Schul-Rucksack und setzte mich dann auf mein Bett. ich wartete. Es war bereits zwei Uhr morgens, als ich endlich ihre Zimmertür zugehen hörte. Jetzt musste ich nur noch eine halbe Stunde warten, damit ich sicher sein konnte, dass sie wirklich schlief. Leise schlich ich mich die Treppe hinunter und ging in die Küche und leise suchte ich mir ein wenig Proviant und stopfte es mit in den Rucksack. Dann hielt ich inne. Wo wollte ich eigentlich hin? Am liebsten zu Marceliano, doch ich wusste nicht, wo er wohnte. Die Hütte im Wald

würde ich im Dunkeln unmöglich finden. Der See!, fiel es mir plötzlich ein. So leise es irgendwie möglich war, griff ich mir meinen Schlüsselbund und mein Portemonnaie, schloss die Tür hinter mir und stieg in meinen Wagen. Ich war dankbar, dass der Motor mit weniger als einem leisen Schnurren ansprang. So konnte ich sicher sein, dass Mom mich nicht hörte. Ich fuhr schnell los, vielleicht etwas zu schnell. Ich erreichte den See, legte mich auf die etwas versteckte Bank, auf der Marceliano und ich auch schon gesessen hatten, nahm meine Jacke als Decke und schlief rasch ein. Geweckt wurde ich von einer sanften Stimme. Von der schönsten Stimme, die ich momentan

hören konnte. „Mia? Bist du das? Was machst du denn hier?“ Es war Marceliano. Ich setzte mich schlaftrunken auf. Die Sonne begann gerade, aufzugehen. Ich blickte ihn an und begann urplötzlich an zu weinen. Ich lehnte mich an ihn und erzählte ihm alles. Es tat gut, jemanden zu haben, dem man sich anvertrauen konnte. Tatsächlich ging es mir besser, wie ich da auf einer einfachen Bank saß und stumm weinte. Nach einiger Zeit fragte er: „Was hast du jetzt vor?“ „Ich werde weggehen. Irgendwo ein neues Leben anfangen. Allein.“ „Was ist mit deiner Mutter? Ella? Deinen ganzen Freunden?“ Damit hatte er Recht. Zumindest, was meine Freunde anging. „Ich

werde sie anrufen und mich verabschieden.“ „Ich würde eher sagen, du fährst mal zu Ella hin und tust es persönlich.“ Diese Idee behagte mir nicht, allerdings hatte er Recht. Es wäre zu verletzend, einfach zu gehen. Also fuhren wir am Nachmittag zu Ellas Haus, was, für meinen Geschmack, viel zu nah an meinem eigenen Haus lag. Ella riss die Tür auf, stürmte in meine Arme - und wich dann zurück. Sie hatte Marceliano erkannt. „Mia! Was hast du getan?!“ „Mich verliebt, Ella.“ Mehr sagte ich nicht. Sie starrte mich nur entgeistert an. Dann fragte sie: „Aber, warum warst du heute nicht in der Schule? Ich wollte gerade los und dir die Hausaufgaben

vorbeibringen.“ Ach, wie sehr ich sie liebte! „Das ist wirklich sehr nett von dir, Ella, aber ich werde weggehen.“ „Wie jetzt? Wohin? Du kannst mich doch nicht einfach verlassen!“ Das stimmte. „Oh Ella, du wirst mir sehr fehlen.“ Mit diesen Worten dreht ich mich um und ging davon. Doch Ella ließ mich nicht so einfach gehen. Sie rannte mir hinterher, nahm meine Hand und sagte: „Du kannst doch bei mir bleiben.“ Unwillkürlich musste ich lächeln. „Das ist echt lieb von dir, aber unsere Mütter sind zu gut befreundet.“ „Dann... dann... dann komme ich mit dir!“, sagte sie bestimmt. Ich seufzte. „Oh, nein.

Was wird aus deiner Ausbildung? Du wolltest doch nach Stanford!“ „Du wolltest auch nach Stanford! Wir wollten da gemeinsam hin! Schon vergessen?“ Entrüstet starrte sie mich an. Ich lächelte. Da wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. Sie schaute mich nur an, nahm mich dann bei der Hand und zog mich mit zu meinem Wagen. Sie stieg auf dem Beifahrersitz ein und ich setzte mich wortlos ans Steuer. Dann kurbelte ich die Scheibe hinunter. „Was ist, Marceliano? Kommst du, oder was?“ Er stieg hinten ein, was ihm sichtlich nicht gefiel. Aber Ella und ich hatten eine Abmachung getroffen: Freundschaft vor Jungs! Und nur, weil ich jetzt ein Leben auf der Flucht führen

würde, würde ich die Abmachung ganz sicher nicht vergessen. Wir brausten davon. Auf dem Highway in Richtung der französischen Grenze sprachen wir nicht viel. Wir hielten an einigen wenigen Raststätten, um etwas zu essen oder auf die Toilette zu gehen. Einmal ging Marceliano zusammen mit mir Proviant kaufen und da endlich traute ich mich, ihn etwas Entscheidendes zu fragen. „Sag mal, warum hast du so eine... ich nenne es Mal “hypnotische“ Wirkung auf andere Leute?“ „Nun ja, ich kann dich schließlich nicht belügen... Ich habe magische Fähigkeiten! Meine Augen hypnotisieren jeden, der zu lange in sie blickt.“ Ich konnte nicht anders: Ich fing schallend an zu lachen!

„Das“, rief ich prustend, „ist nicht dein Ernst!“ „Doch, Mia, ist es! Glaubst du mir etwa nicht?“ „Hm, du musst zugeben, dass es ziemlich unrealistisch klingt!“, sagte ich, als ich mich einigermaßen beruhigt hatte. „Du weißt schon, dass wir im einundzwanzigsten Jahrhundert leben, oder?“ Er sah verletzt aus. Sofort tat es mir leid. „Ich denke“, sagte er, „es wäre besser, wenn wir nicht länger zusammen bleiben!“ „Was? Du willst mich verlassen? Warum?“ „Es liegt nicht an dir. Ich bin es leid, auf der Flucht zu sein! Wir werden gemeinsam diese Bank ausrauben und das war`s dann!“

Ich stand den Tränen nahe. Dann brüllte ich los. „Glaubst du im ERNST, dass ich immer noch mitmache? Wenn du verdammter SCHEISSKERL mich verlässt, kannst du auch nicht mehr mit meiner Hilfe rechnen! Und ich werde dich auch garantiert nicht nach Hause fahren!“ Ich bemerkte zu spät, dass er bewaffnet war. Mit ernster Miene zielte er auf mich und meinte trocken: „Wenn du mir nicht hilfst, jage ich dir `ne Kugel in den Kopf, da kannst du drauf wetten!“ Er zuckte mit den Schultern, als hätte er mich nur nach einer Hausaufgabe gefragt. Leichenblass stand ich vor ihm und starrte die Pistole an. Ein echtes Schmuckstück, musste ich zugeben. Um meine Erschrockenheit nicht noch mehr zu

zeigen, sagte ich: „Gut, schön, wenn du unbedingt willst, dass ich dir helfe, werde ich das tun!“ „Schön, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast. Es hätte mir auch Leid getan, dich umzubringen.“ Er steckte den Revolver weg und ging zurück zum Auto. Wir waren in einem etwas ärmeren Teil Spaniens und mein Porsche zog natürlich alle Blicke auf sich. Ich ignorierte sie und stieg wieder ein. Ella fragte: „Wo wart ihr so lange?“ Ich gab keine Antwort. Da meldete sich Marceliano zu Wort: „Wir hatten ein paar Komplikationen. Die süße Mia hier wollte sich nicht mit meinem Masterplan anfreunden. Wir drei werden gemeinsam die größte Bank in Andorra

ausrauben!“ Ella starrte ihn an, dann mich. „Hast du davon gewusst?“ Stumm nickte ich. Ich war schon wieder den Tränen nahe. Ella antwortete laut. „Wieso sollten wir ihnen helfen?! Sie, Sie... Sie dreckiger Mistkerl, Sie!“ Das war ziemlich mutig von ihr, und ich bewunderte sie dafür stillschweigend. Doch gleichzeitig wusste ich, was nun passieren würde. Und da hörte ich bereits, wie er seine Waffe lud. Ella und ich zuckten zusammen. „Niemand, ich wiederhole, niemand wird versuchen zu fliehen, klar? Ihr beide werdet mir helfen und dann zieht jeder von uns fröhlich seiner Wege, capito?“ Wir nickten nur, zu eingeschüchtert, um irgendetwas zu sagen. Schweigend fuhren wir nach Andorra. Er

grinste die ganze Zeit über süffisant. Er wusste, dass er gewonnen hatte. Oder besser gesagt: er glaubte es. Denn ich erarbeitete gerade heimlich meinen eigenen Masterplan. Wir kamen in Andorra an und Ella und ich begaben uns ins Info-Zentrum der Bank. Fieberhaft überlegte ich, wie ich die Leute irgendwie warnen konnte, doch ich überlegte vergeblich. Ella war schon immer eine gute Schauspielerin gewesen, doch dieses Mal war ich erstmalig davon überzeugt, dass es keine vorteilhafte Eigenschaft war. Mitten in der Bank ließ sich Ella auf den Boden fallen, sie täuschte einen Ohnmachtsanfall vor. Es hatte den

gewünschten Effekt. Alle möglichen Leute kamen auf uns zugestürzt und wollten helfen. Ich stand einfach nur da und überlegte, wie ich am besten reagieren konnte. Kreischen? Hilfe rufen? Aber ich hatte eine bessere Idee. Ich ließ mich in einiger Entfernung zu Ella selbst auf den Boden fallen und täuschte meinerseits einen Anfall vor. Natürlich kamen noch mehr Leute angerannt. Ella tat derweil so, als käme sie gerade wieder zu sich. Ich wusste, dass genau in diesem Moment Marceliano den Hintereingang aufbrach und den Tresor leerte. Man musste zugeben, er verstand was davon, eine Bank auszurauben. Leider. Ich hörte plötzlich Sirenen. Ein Krankenwagen, au weia. Erschrocken

sprang ich auf und erschreckte somit die um mich herumstehenden Leute. Ich Blödmann, dachte ich nur und schrie dann: „Ella!“ Ella drehte sich verdutzt um, begriff dann und rannte los, ich hinterher. Die Leute folgten uns. Wir sprangen in meinen Wagen und brausten davon. Vergeblich versuchten die Bankangestellten, uns einzuholen, doch sie hatten keine Chance. Ella neben mir atmete heftig, griff dann nach meiner Hand und drückte sie ganz fest. Ich drückte ebenfalls. Wir fuhren die meiste Zeit schweigend, nur Ella murmelte unablässig vor sich hin. Es kam uns vor wie eine halbe Ewigkeit, bis wir endlich zuhause ankamen. Ich bog in unsere Auffahrt ein und kaum dass ich aus

dem Wagen war, drückte Mom Ella und mich ganz fest an sich. Sie weinte. „Oh Mia, wo bist du gewesen? Keine Zettel, keine SMS, kein GAR NICHTS! Ich war krank vor Sorge! Oh Ella! Deine Mutter hat praktisch bei uns gewohnt, sie hat nichts gegessen, weil sei so besorgt war! Sagt mal, wie KONNTET ihr uns das ANTUN?“ So ging es noch eine ganze Weile weiter. Als sie uns endlich mal selbst zu Wort kommen ließ, erzählten wir ihr alles. Ellas Mutter saß tatsächlich in unserer Stube auf der Couch und ließ Ella die ganze Zeit über nicht los. Sie hörten aufmerksam zu und benachrichtigten, kaum dass wir geendet hatten, die Polizei. Also schilderten wir ganz genau Marcelianos Plan, sein

Aussehen, seine Handynummer, alles. Sie versuchten, ihn anzurufen und so sein Handy zu orten, doch er war nicht zu erreichen. Anscheinend hatte er seine Nummer geändert, sein Handy zerstört oder es einfach weggeschmissen. Das hätte ich zumindest getan. Unsere Mütter wollten uns partout nicht zur Schule lassen, weshalb wir noch eine ganze Woche lang zuhause blieben. Es war wahrscheinlich auch besser so. Ich hatte meine Mutter ganz schrecklich vermisst, auch wenn ich so sauer auf sie gewesen war. Ich hatte ihr auch erzählt, dass Marceliano wusste, wo wir wohnten, weshalb sie sich nach einem neuen Haus umsah. Wir fanden auch recht schnell eines, in der Nachbarschaft von

Ella. Das freute mich riesig. Natürlich mussten wir unser altes Haus behalten, sonst würde Marceliano bestimmt irgendeiner unschuldigen Familie auflauern. Und das wollten wir nicht. Die Tage vergingen und alles lief recht normal ab. Doch eines Tages kam von unten ein Schrei. Meine Mutter! Ich fiel fast die Treppe hinunter, weil ich schnell zu ihr rannte. Da stand Marceliano Brown, mit seinem Revolver auf meine Mutter zielend. Er hatte mich gefunden. Lässig meinte er: „Weißt du, ich hatte erst vor, dich umzubringen, aber auch lange Sicht hin wäre das hier schlimmer.“ Er drückte ab. Ich stürzte mich auf meine Mutter, fing sie im Fallen auf und legte sie sanft auf den

Boden. Sie war tot, noch bevor ich bei ihr war. Zornig sprang ich auf. Ich wollte Blut sehen, dafür, was er mir angetan hatte. Ich sprang ihn an, klammerte mich an ihm fest und kratzte und biss. Er schrie, als ich in sein Ohr biss und keuchte unter meinem Gewicht. Dann sprang ich von ihm ab und warf ihm mit einem kräftigen Stoß um. Er stürzte und schon saß ich auf ihm. Ich bearbeitete sein Gesicht mit Faustschlägen und er versuchte, es mit seinen Armen abzudecken, weshalb die meisten der Schläge danebengingen. Irgendwann hörte ich Polizeisirenen und bemerkte, wie laut wir eigentlich gewesen waren. Mein kurzes Stocken nutze er schamlos aus. Er warf mich von sich und verpasste mir einen

Kinnhaken, der mich rückwärts über den Tisch warf. Dann trat er mir in den Bauch, so dass ich mich nach Luft ringend krümmte. Ich versuchte, aufzustehen, doch es klappte nicht. Mein Gewissen sagte mir, das ich keine Chance hatte, doch ich wollte nicht aufgeben. Erschöpft probierte ich einen Sidekick, doch er war erbärmlich. Meine Kraft ließ bereits nach und ich sank auf unsere Couch. Er grinste und kam langsam näher. "Weißt du was, Süße? Ich werde jetzt einfach gehen! Ich werde dir nichts mehr tun! Du musst jetzt damit leben, dass ich deine Mutter umgebracht habe und ich werde nicht eher ruhen bis ich jedem deiner lieben Schaden zugefügt habe! Einen schönen Tag wünsche ich dir

noch!" Damit verließ er mein Haus. Ich holte tief Luft und sah dann auf meine Mutter, die reglos am Boden lag. Langsam sank ich neben ihr auf meine Knie. Er hatte recht: mein Leben War nun zerstört. Ich sah keinen Sinn, weshalb ich jetzt noch weiterleben sollte. Verstoßen vom Vater, die Mutter tot. Was suchte ich also noch hier? Das Telefon klingelte. Mit letzter Kraft ging ich ran und hauchte heiser: „Hallo?“ Am anderen Ende der Leitung hörte ich die vertraute Stimme von Ella. Sie war total aufgelöst: „Mia? Alles in Ordnung? Ich sah gerade Marceliano aus eurem Haus kommen...“ Ich stieß noch ein klägliches „Hilfe...“ hervor und brach dann

zusammen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem ungemütlichen Bett. Ganz eindeutig ein Hospitalbett. Ich sah mich in dem Zimmer um und wollte mich aufsetzen. Doch irgendetwas hielt mich zurück. Ich schaute an mir herunter und bemerkte, dass ich an das Bett gefesselt war. Augenblicklich überrollte mich Panik. Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Ella herein, gefolgt von einer Krankenschwester. „Hey, Mia. Wie geht's dir?“, fragte sie vorsichtig. Ich konnte nicht direkt antworten, deshalb holte ich erst einmal tief Luft. Da fiel es mir siedend heiß wieder ein: ich war überfallen worden und meine Mutter...

meine Mutter... war tot!!! Ich blickte Ella mit schreckgeweiteten Augen an und schrie dann aus vollen Hals los. Ich schrie und brüllte und kreischte meine ganzen Gefühle einfach hinaus. Schließlich lachte ich hysterisch und warf mich im Bett hin und her. Ich war übergeschnappt, verrückt geworden! Total gaga! An mehr erinnerte ich mich nicht, nur noch, dass sich eine Schwester über mich beugte und mir ein Spritze verpasste. Als ich erneut zu mir kam, bewegte sich meine Umgebung eindeutig. Das behagte mir nicht. Ich hielt meine Augen geschlossen und erweckte so den Eindruck, ich schliefe. Doch ganz offensichtlich ließ

Ella sich nicht täuschen. Sie kannte mich einfach zu gut. „Na komm, ich weiß, dass du schon wach bist.“ In ihrer Stimme klang ein Lächeln mit. Unwillkürlich lächelte ich auch, obwohl ich genau wusste, dass es für mich keinen Grund zum Lächeln gab. Schließlich war Mom... Doch ich dachte es nicht zu Ende, ich wollte nicht schon wieder außer Gefecht gesetzt werden. Ella schien verwirrt, was sie von meiner Reaktion in der Klinik halten sollte. „Was ist passiert? Erzähl mir alles!“ Ich begann also, ihr alles zu erzählen. Es dauerte die ganze Fahrt über, doch Ella war von Natur aus ein sehr geduldiger Mensch. Schon immer. An den richtigen Stellen weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen und als ich

zu der Stelle kam, an der Marceliano meine Mutter umbrachte, schrie sie laut auf. Etwas zu laut, denn eine Schwester erschien und fragte, was denn passiert sei. Irgendwann kam der Wagen ruckelnd zum Stillstand. Ich hatte mich nicht aufsetzen dürfen, mir war schlecht von der Fahrt. Sie schoben mich aus dem Auto und in ein streng riechendes Gebäude hinein. Ella durfte nicht mitkommen, das machte mich traurig. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als einen lieben Menschen an meiner Seite zu wissen. Doch die Schwester bleib hart. Ich wurde in einen kleinen Raum gebracht, wo man mich anwies zu warten. Ich fühlte mich albern, wie ich da lag und an die Decke starrte, obwohl es mir blendend

ging. Plötzlich ging mir ein Licht auf: das hier war kein gewöhnliches Krankenhaus. Es war eine Irrenanstalt. Eine Klapse! Man hatte mich für verrückt erklärt! Natürlich war es verständlich, schließlich hatte ich erst vor einigen Stunden meine Mutter und im Krankenhaus den Verstand verloren... Aber war ich deshalb psychisch gestört? Das kam mir alles sehr unwirklich vor. Ein freundlicher Mann erschien in meinem Blickfeld, er reichte mir die Hand und fragte mich nach meinem befinden. Danach folgten einige gesundheitliche und gefühlsmäßige Fragen. „Und wie hast du dich gefühlt, als du deine Mutter zu Boden gehen sahst?“ Was für eine Frage! „Ich fühlte mich

entsetzlich. Eine Welt brach für mich zusammen, schließlich war sie meine Mutter. Sie war mir der liebste Mensch auf diesem Planeten! Wie hätten sie sich denn gefühlt?!“ Ich den letzten Worten schwang ein wenig Wut mit. Es war mir egal, ob ich unhöflich wirkte. Der Arzt, dessen Namensschild ihn als Mr. Bones auswies, nickte nur und kritzelte etwas auf seinen Notizblock. Er murmelte leise vor sich hin und schaute mir dann direkt in die Augen. „Hör zu, Mia. Ich darf dich doch Mia nennen, oder?“ Ich nickte stumm. „Gut, schön. Ich habe genug gehört und werde nun mit meinem Kollegen ein Urteil fällen, was mit dir passieren wird. Eine gute Nachricht: deine Freundin darf gemeinsam

mit dir im Wartebereich auf das Ergebnis warten.“ Er entließ mich aus dem kleinen, behaglichen Raum. Draußen vor der Tür tigerte Ella nervös auf und ab. Als sie mich erblickte, kam sie rasch auf mich zu und fiel mir um den Hals. Ich drückte sie an mich. Stumm rollten mir die Tränen über´s Gesicht, stumm standen wir ineinander verschlungen da. Irgendwann setzten wir uns auf eine einladend wirkende rote Couch. „Und? Was hat der Doc gesagt?“ „Wir sollen hier gemeinsam auf das Ergebnis warten.“, zitierte ich Doktor Bones. Wenn ich so darüber nachdenke, ist 'Bones' vielleicht nicht der am freundlichsten wirkende Name für einen Arzt. Doch momentan hatte ich andere

Sorgen, denn in diesem Augenblick kam eine Schwester direkt auf uns zu. Sie teilte uns mit, das Urteil würde feststehen. Wir folgten ihr durch enge, gewundene Flure bis vor eine graue Tür. Mit einer gelangweilten, ausladenden Geste wies sie uns in das Zimmer. Doktor Bones saß hinter seinem Schreibtisch, die Hände auf dem Tisch gefaltet, konzentrierter Blick. Wir ließen uns auf den unbequemen Stühlen vor seinem Tisch nieder. „Mia, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für sie. Welche wollen sie zuerst hören?“ Meine Stimme war weniger als ein Murmeln. „Ehrlich gesagt lieber die schlechte.“

„Nun gut, die schlechte Nachricht ist, dass sie wohl ein paar Tage hier bleiben müssen.“ Ich stöhnte auf. „Doch die gute Nachricht lautet, dass ihr geistiger Zustand komplett in Ordnung ist. Sie sind weder psychisch krank, noch depressionsgefährdet.“ Diese Nachricht schien Ella zu beruhigen, denn sie entspannte sich merklich auf ihrem Stuhl. Auch ich war darüber sehr erleichtert. Die Tage in der Klinik verliefen ereignislos und langweilig, wie zu erwarten. Am Ende jedoch durfte ich nach Hause zurückkehren. Sagte zumindest der Arzt. Ellas Mutter jedoch bestand darauf, dass ich bei ihnen

einzog. Ich war nicht gerne allein, deshalb sagte ich zu. Ella leistete beste Arbeit, um mich abzulenken. Ich ging nicht in die Schule, doch ich wusste, irgendwann musste ich meine Bildung fortsetzen. Sicher jedoch war ich mir damit, dass Ella und ich nicht gemeinsam nach Stanford gehen würden. Zumindest nicht gleichzeitig. Es erfüllte mich mit tiefer Traurigkeit, über meine Mutter, Stanford und meine Freunde nachzudenken. In der Klinik hatten sie mir zwar beigebracht, diese Gedanken abzuwürgen, wenn ich nicht depressiv werden wollte. Allerdings war das gar nicht so leicht. Eines Tages saß ich auf meinem Bett und besah mir meinem Arm. Die Narben würde ich ewig behalten.

Ich fragte mich, weshalb ich eigentlich damit aufgehört hatte. Ich griff zu meinem Rasierer und schlitzte mir meine Arme wund. Blut tropfte auf die Bettdecke und meine Hose, wie ich da im Schneidersitz auf dem Bett saß und mich selbst verletzte. Auf eine einzigartige Weise tat es mir gut, wie das warme, klebrige Blut meinen Arm hinunterlief. Ich seufzte wohlig. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch irgendwann hörte ich Ella die Treppe hochkommen. „Mia, rate mal was ich...“ Sie stockte. Natürlich, alles um mich herum war voller Blut. Sie war mit einem Satz bei mir, packte mich und schüttelte mich ein wenig. „Hast du den Verstand verloren?!“ brüllte sie. Dann besann sie sich darauf,

was man ihr für den Umgang mit depressiven Menschen beigebracht hatte. Sie ließ mich los und fragte nur: „Warum?“ Dieses eine kleine Wort jagte mir einen solchen Schrecken ein, der mich durchzuckte wie ein Stromschlag. Ja, warum eigentlich? Wusste ich überhaupt, weshalb ich das hier tat? Keinen Schimmer. Alles, was ich wusste, war, dass es mir nicht leid tat. Ich sah auf, in ihre warmen, dunkelblauen Augen und Tränen rollten mir über die Wange. „Was ist denn los? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie ich mich fühle?!“ Sie sah mich an - und ging wortlos hinaus. Sie kam mit einer Packung Tücher und dem Verbandskasten aus meinem Auto zurück. Sie reichte mir eines der Tücher

und begann dann, meine Arme zu säubern. Ich ließ sie machen, es tat mir gut. Die Tücher waren angenehm weich. Ich wischte in meinen Gesicht herum, doch der Tränenstrom nahm kein Ende. Ich gab es auf. Ella war derweil damit angefangen, meine Arme zu verbinden. Ich sah sie nicht an. Es tat mir leid, dass ich sie so angeschnauzt hatte. Sie war schließlich meine Schwester. Tatsächlich liebte ich sie wie eine Schwester. Sie schaute mir lange in meine Augen und sagte dann: „Ich werde dich jetzt allein lassen.“ Sie verschwand. Ich war allein. Schluchzend rollte ich mich auf meinem Bett zusammen und gab mich meiner Verzweiflung hin. Keine Ahnung, wie spät es war, schlief ich ein. Am

nächsten Morgen wachte ich zeitig auf. Ich war hungrig, doch ich beachtete es nicht. Sollte ich mich doch zu Tode hungern, mir egal. Die nächsten paar Stunden verbrachte ich schweigend in meinem Zimmer. Ebenfalls schweigend ging ich ins Bad, stellte mich unter die viel zu heiße Dusche und blieb gefühlte drei Stunden reglos unter dem Wasserstrahl stehen. Dann ging ich wieder ins Bett. Alle meine Tage folgten dem gleichen Schema. Aufstehen, im Bett liegen bleiben, einschlafen. Ich aß nichts und sprach nicht. Ellas Mutter besorgte einen Arzt. Er verordnete mir nur eines: geregelte Tagesabläufe. Ich sollte wieder in die Schule und endlich etwas essen. Also tat ich es. Was ich nicht tat,

war Sprechen. Die Polizei hatte mir versichtert, dass sie alles daran setzten, Marceliano zu fassen. Ich hoffte es und betete inständig, sie mögen ihn bald erwischen. Doch es verging kein Tag, an dem ich mir nicht schwor, dass ich mich rächen würde. Natürlich war das gar nicht so einfach, doch irgendwann würde ich meine Rache bekommen. Ich lief seit einigen Wochen mit einer Tafel unterm Arm herum, weil ich mich weiterhin weigerte, zu sprechen. Ich ritzte mich auch weiterhin und ich kam in mehrere Kliniken gegen Depressionen. Es half alles nichts. Ich blieb wie ich war, mit meinem Selbsthass und meiner Verzweiflung. Es war schließlich Ella, die mich ins Leben zurück holte.

„Mia, jetzt hör mir mal genau zu! Du bist meine Schwester und ich hätte eigentlich lieber eine, die mit mir spricht! Verstehst du mich? Ich will dich nicht verlieren! Komm bitte wieder zu mir! Antworte bitte!“ Ich krächzte: „Ella...“ Sie schien außer sich vor Freude, mich sprechen zu hören. Auch wenn es nur ein einziges Wort gewesen war. Seit dem Tag verlief mein Leben wieder einigermaßen normal. Die Leute um mich herum behandelten mich alle ausgesprochen vorsichtig, was mich nicht weiter störte. Ich lebte mein Leben, auch wenn ich weiterhin süchtig nach dem Ritzen war. Auch hatte ich mit dem Rauchen angefangen, doch Ella zerstörte meine

Zigaretten, noch bevor ich überhaupt richtig bemerkte, was sie tat. Die Tage, Wochen vergingen und mein Zustand blieb gleichmäßig schlecht, wie mir die Ärzte mitteilten. Die Sommerferien standen vor der Tür und wie zu erwarten konnte sich niemand mehr auf den Unterricht konzentrieren. Unser Jahrgang schon gar nicht. Es war schließlich unser letztes Jahr auf der High School und dementsprechend waren wir alle ziemlich nervös. Es kam dann der Tag unseres Abschlusses. Ben hielt irgendeine Rede über einen Neuanfang und so, doch niemand schien ihm richtig zuzuhören. Auch er war sichtlich nervös und er

fummelte die ganze Zeit an seinem Anzug herum. Am Ende fielen ihm auch noch seine Notizen aus der Hand und hastig klaubte er sie wieder auf. Er stolperte von der Bühne und wir brachen nur aus Höflichkeit in Applaus aus. Mit hochrotem Kopf stellte er sich neben mich hin. „Wie war ich?“, flüsterte er. Ich zeigte mit dem Daumen nach oben und Ben grinste. Ich hatte mein Lächeln verloren, das wusste ich. Als unser gelangweilter Rektor endlich mit dem Verteilen der Urkunden fertig war, strömten von allen Seiten Eltern und Verwandte, Freunde und noch andere auf uns zu. Wir wurden regelrecht erdrückt von Umarmungen, Glückwünschen und Auf-die-Schulter-klopfen. Ella und ich bahnten uns

gemeinsam und mit viel Ellbogeneinsatz eine Weg durch die Menge. Ellas Mutter fiel uns lachend und weinend gleichzeitig um den Hals. Wir gingen gemeinsam hinaus und fuhren dann ins La Bola, nur mir zuliebe. Es wurde noch ein schöner Abend. Erschöpft, aber glücklich fielen Ella und ich ins Bett. Heute Nacht schliefen wir gemeinsam in einem Zimmer. Es dauerte nicht lange, da war Ella eingeschlafen. Doch ich wälzte mich hin und her. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich stand auf und schlich leise die Treppe hinunter. Ich besah mir den Kalender, der unten in der Küche an der Wand hing. Ella musste morgen zum Zahnarzt. Ihre Mutter hatte ganztägig Schicht. Da bemerkte ich

etwas: übermorgen stand ein Treffen an, mit unseren Freunden. Ein Picknick an den Klippen. Wir würden zusammen unseren Schulabschluss feiern. Dieser Gedanke machte mich glücklich und ich ging wieder ins Bett. Selig schlief ich ein. Am nächsten Morgen weckte Ella mich. Wir mussten einkaufen gehen, denn wir waren zuständig für die Getränke für das Picknick. Wir gaben einiges an Geld aus, also musste ich mich beeilen, einen Job zu finden, wenn ich nicht pleite gehen wollte. Am Abend fuhren wir los zum Strand. Alle unsere Freunde waren schon da und warteten auf uns. Ben lief strahlend auf uns zu. „Hey, Leute! Wo wart ihr so lange? Ich

komm gleich um vor Hunger!“ Ella lachte. „Ihr hättet doch auch ohne uns anfangen können!“ „Wollte ich ja, aber Celina hat mich abgehalten.“ Er lachte wieder. Wir grinsten uns an. Ich dachte, ich hätte mein Lächeln für immer verloren, doch es war wieder da. Ich war unheimlich glücklich. Wir lachten den ganzen Abend eine Menge und hatten sehr viel Spaß zusammen. Auf einmal knackte es im Gebüsch, ein Schuss fiel und neben mir brach Ella in sich zusammen und sank zu Boden. „Ella!“, kreischte ich. Ich fing sie auf und hielt ihren Kopf in meinem Schoß, als ich neben ihr auf meine Knie sank. Noch ein Schuss und Ben griff sich an die Brust. Augenblicklich herrschte

Panik. Celina und noch andere Mädchen schrien und kreischten und alle rannten wild durcheinander. Niemand schien zu bemerken, dass ein Mann mit leuchtend blauen Augen aus dem Busch kam. Grinsend sah er mir direkt ins Gesicht. Lässig hatte er die Hände in die Taschen gesteckt und kam näher. Die anderen hatten ihn jetzt auch bemerkt, denn sie erstarrten und sahen ihn an. Er ignorierte sie. Er bahnte sich einen Weg durch zu mir und die anderen gingen wortlos aus dem Weg, obwohl eigentlich klar war, was er vorhatte. Direkt vor mir blieb er stehen. Ich wich zurück. Ein paar meiner Freunde stellten sich schützend neben mich, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Meine Augen ruhten auf

Marcelianos Gesicht. Ein absolutes Pokerface. „Guten Tag, Mia“, sagte er ruhig. Ich presste meine Lippen aufeinander und starrte ihn nur an. Ich hatte Angst. Meine Clique blickte mich staunend an. Ich seufzte. „Was willst du hier?“, fragte ich ihn mit fester Stimme. „Was ich hier will? Süße, ist das nicht offensichtlich? Ich bin hier, um mich an dir zu rächen.“ „Rächen wo für? Ich hab allen Grund, mich zu rächen. Was habe ich bitte dir getan? DU HAST MEINE SCHWESTER ERMORDET! DU HAST MEINE MUTTER ERMORDET!“ All die Wut kam in mir hoch. Doch er lachte nur. „Ach Süße, ich habe wegen dir ein Leben

auf der Flucht geführt. Nur wegen dir ist die Polizei hinter mir her. Und du? Du hast doch nur deine Mutter und deine Schwester verloren. Wieso eigentlich deine Schwester?“ „ICH HABE NUR MEINE MUTTER VERLOREN?!“, schrie ich, ohne auf seine Frage einzugehen. „WEISST DU EIGENTLICH WAS DU DA SAGST?!“ Unsere Zuschauerschar war baff. Sie schnappten nach Luft, rissen Augen und Münder auf oder schauten von ihm zu mir. Schließlich meinte Celina: „Verschwinden sie. Sofort. Oder wir rufen die Polizei.“ „Die Polizei?“ Er kicherte. „Du bist nur ein dummes kleines Mädchen und hast keine Ahnung, wie es da draußen abläuft. Da

draußen, in der großen weiten Welt.“ Celina wurde rot. Wütend starrte sie ihn an. Da ergriff Nikolas das Wort: „Hören Sie, ich bin mir sicher, dass sie nicht noch mehr Ärger wollen. Also verschwinden sie endlich.“ „Und ich bin mir sicher, dass diese Sache nur mich und Mia etwas angeht. Wenn ihr anderen also verschwinden wollt...“ Er deutete mit seiner Hand an, dass sie gehen sollten. Sie rührten sich nicht. Marceliano seufzte entnervt. „Ich hatte eigentlich vor, nur schnell meine Angelegenheiten zu regeln und euch andere zu verschonen.“ „Und warum haben sie dann Ben und Ella umgebracht?“, entfuhr es mir. Aller Blicke wandten sich mir zu. Marceliano zückte

seine Waffe, hob eine Schulter und ließ sie wieder fallen. Dann stürmte er los. Er warf sich auf mich, Celina und die anderen fielen erschrocken zurück. Er drückte mich nach hinten, gefährlich nahe an den Rand der Klippen. Ich kämpfte mit aller Kraft gegen ihn an, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Die anderen kamen mir zu Hilfe, packten Marceliano und zogen ihn von mir weg. Er war stärker als ich geglaubt hatte. Auch als alle meine Freunde, ingesamt vierzehn, mit vereinten Kräften an seiner Jacke, seinen Armen und seinen Beinen zogen, schien er es überhaupt nicht zu merken. Ein letzter Versuch meinerseits, ihn wegzustoßen - plötzlich war er verschwunden. Ich

taumelte rückwärts. Ich hörte Schreie und sah Marceliano wegrennen. Polizeisirenen. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen, als ich rückwärts die Klippen hinabfiel. Plötzlich war ich nicht mehr in mir. Es schien, als wenn meine Seele und mein Körper sich getrennt hatten. Ich sah mich fallen und schwebte über dem geschehen wie ein Geist. Meine Clique eilte an den Rand der Klippe und einige riefen meinen Namen. Ein paar Mädchen fingen an zu weinen. Ich hätte ihnen am liebsten gesagt, dass ich immer noch da war, doch sie konnten mich nicht sehen oder hören. Also musste ich mit ansehen, wie Verzweiflung ausbrach. Anscheinend wollte Celina sich hinterher stürzen, doch irgendjemand hielt sie fest.

Meine Freunde gingen schluchzend und weinend davon. Immer noch fiel ich. Ich fiel. Ich fiel in die Ewigkeit.

Danke!


Ich hoffe, euch hat mein erstes Buch gefallen und freue mich immer über eure Meinungen!


Bis zum nächsten Mal!


Eure Alina

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Über den Autor

Alina
Ich bin mit meine süßen 15 Jahren noch ziemlich jung, doch ich liebe und lebe für das Schreiben! Meine Inspiration sind Werke anderer Autoren und meine beste Freundin. Ich steh auf Horror und mystische Geschichten, Creepypastas immer erwünscht. :-)

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mkrey Gefällt mir schon sehr gut und werde definitiv weiterlesen :) Ist sehr spannend geschrieben und so flüssig durchgekomen bin ich auch schon lange nicht mehr :)
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Alina Danke :)
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