Kurzgeschichte
Märchenschloss - Take the first step in faith.

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"Märchenschloss - Take the first step in faith."
Veröffentlicht am 07. Januar 2014, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ein kleines, unnormales, kreatives, leicht schräges Mädchen, das seine Träume und Fantasien auf Papier bringt, damit es das Geld für den Therapeuten sparen kann.
Märchenschloss - Take the first step in faith.

Märchenschloss - Take the first step in faith.

Märchenschloss

Take the first step in faith. You dont have to see the whole staircase, just take the first step.

-Dr. Martin Luther King Jr.

Schon seit vielen Minuten starre ich aus der Windschutzscheibe, ohne die sich vor mir erstreckenden Dinge zu sehen. Ich fixiere das Nichts und versuche vergeblich meinen Gedanken auszuweichen.

Oft schon bin ich genau zu demselben Punkt gekommen. Doch habe ich es nie weiter geschafft. Unbekannte Angst ist

mein neuer Begleiter, der sich unerwünscht meldet und mich stets dazu bringt den Schwanz einzuziehen. Mein Mut geht plötzlich auf Wanderschaft, Unsicherheit und Unbehagen nehmen seinen Platz ein, halten ihn warm für den Selbsthass, der mich immer überkommt, wenn ich aufs Gas steige und mit quietschenden Reifen aus der Ausfahrt fahre. Es geht nur noch darum so viel Abstand wie möglich zwischen mir und dem Gebäude zu schaffen.

Ich muss meine Gefühle loswerden. Ich muss sie ignorieren, damit sie keine Chance auf die vollkommene Kontrolle bekommen, die sie sonst von mir gewöhnt sind. Gefühle kann ich mir in

diesem Moment nicht leisten.

Es ist ein Schritt. Ein kleiner Schritt, den ich machen muss, damit sich das erste Zahnrad dreht, um alle anderen mit ihr verbundenen Gesellen anzutreiben, es ihm gleich zu tun, damit sich die Spieluhr bewegt. Jedoch bin ich kein Objekt. Kein Roboter ohne jegliche Emotionen, den man per Knopfdruck befehlen kann was er sagen, was er tun und was er fühlen soll. Ich bin ein Mensch, der seine bisherige Grenze nun überschreiten muss. Ich muss es tun. Besonders heute.

Jeder Tag ist zu entschuldigen, für alle Augenblicke, in denen ich aufgegeben habe, besitze ich die passende Ausrede,

um mich meinem wahren Beweggrund nicht stellen zu müssen.

Es ist Angst. Pure Angst, die sich in mein Herz schleicht und meinen Körper lähmt. Ich fühle mich wie ein Gefangener in der eigenen Haut, im eigenen Heim, das mir einst so vertraut war.

Ich fühle mich wie sie.

Grauenvoll. Beängstigend. Lähmend. Herzzerreißend.

Unbarmherzig. Kalt.

Alles sind sie Wörter, die es aufs genauste Beschreiben. Den Tag, an dem es passiert ist. Den Tag, die Situation, die Gefühle, das Ende. Sie alle beschreiben es.

Fast ein Jahr ist es her, als wir beide die

Straße entlanggefahren sind. Fast fühlt es sich an, als wäre es eine andere Person gewesen. Eine andere Zeit.

Es war Winter und der Boden mit einer Eisschicht verziert, die in der strahlenden Sonne glitzerte, die sich zwischen den Wolken hervor gekämpft hatte. Unbeschwertheit lag in der Luft, wie es nur diese Jahreszeit aufzubringen vermochte. Die Welt war in einen tiefen Schlaf gefallen und Stille hallte von den weißen Bäumen, neben denen wir fuhren. Es war wunderbar. Es war schrecklich.

Drei, vielleicht vier, Kurven trennten uns von unserem Ziel, das wir von unserem Standort aus schon betrachten konnten. Die Unterkunft, auf die wir zusteuerten

erinnerte an ein Märchenschloss, in einer fremden Welt, die wir zu betreten wagten. Unsere Blicke wanderten an dem Bild umher, wir wollten schließlich jede Kleinigkeit dieser Unwirklichkeit in uns einnehmen, damit wir sie nie vergessen würden. Wir wollten den Augenblick vollkommen ausnutzen, ihn tief in unsere kalten Lugend einatmen, bis er schlussendlich als weißer Dampf aus uns wich.

Doch die Neugierde des Menschen ist seine größte Schwäche, die viele ins Verderben führt.

Denn plötzlich begann sich das Schloss zu drehen, wurde immer wackliger und verschwamm in der Ferne. Die Bäume

umringten uns und die Stille wurde durch unsere Schreie durchbrochen. Aber die Welt schlief und ließ sich nicht stören. Nicht, als sich unser Wagen drehte. Nicht, als wir die Klippe runterfielen. Nicht, als ich dachte, meine Schwester wäre tot.

Rasch schüttle ich den Kopf, versuche die Bilder, die sich in mein Hirn geschlichen haben, zu vertreiben, damit sie wieder verschwinden. Aber sie haben ihre Arbeit getan, ihr Ziel erreicht.

Mit wackligen Beinen stehe ich nun vor der Tür. Ich kann das Lachen gedämpft hören und wünsche mir sehnlichst ein Teil davon zu sein. Ich will lachen und toben. Ich will vergessen. Langsam

drücke ich die eiskalte Klinke hinunter und trete in das Zimmer. Sofort wird es still. Die Freude verfliegt und ihre Gesichter starren mich an. Keiner weiß, wie er sich verhalten soll. Niemand ist auf diesen Moment vorbereitet.

Alles ist weiß, wie der Schnee damals, der uns begraben wollte. Jedoch ist da eine Wärme, die die Menschen verbreiten. Sie gibt mir die Kraft zu tun, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen.

Ich trete zum Bett. Ihr Gesicht ist blass, ihre Augen geschlossen. Sie liegt in Frieden und ist umringt von ihren Liebsten.

Eine Träne schleicht sich auf meine

Wange, ehe sie von ihren Brüdern und Schwestern Gesellschaft bekommt. Ich weine lange. Halte ihre Hand fest. Ich muss sie berühren. Will sie spüren, um mich in Sicherheit wiegen zu lassen.

Sie wird die Augen wohl nie wieder öffnen. Sie wird ihre Hände nie bewegen, um mir ein Zeichen zu geben, dass sie mir vergibt. Sie wird nie wieder etwas tun können.

„Happy Birthday“, flüstere ich ihr ins Ohr und hoffe, dass sie mich irgendwo hört. Ich hoffe, dass sie auf dem Märchenschloss angekommen ist und in ihrem Herzen spürt, dass ich sie liebe.

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Über den Autor

MayUnicorn
Ein kleines, unnormales, kreatives, leicht schräges Mädchen, das seine Träume und Fantasien auf Papier bringt, damit es das Geld für den Therapeuten sparen kann.

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Vampirin Wunderschön. Und so traurig . . .
Ich konnte mich gut in die Situation hineinversetzen und mir vorstellen, wie schrecklich es sein muss, seine über alles geliebte Schwester zu verlieren.
Aber trotzdem sehr gut geschrieben.
Lg Vampirin
Vor langer Zeit - Antworten
MilunaTuani mystisch aufregend und gut untermalt,
sehr gut gelungen,
LG,
MILUNA
Vor langer Zeit - Antworten
Silbenfaeller Stark. Gänsehaut! Gute Mischung aus Bildern und leichter Unklarheit, um zum Nachdenken anzuregen. lg SF
Vor langer Zeit - Antworten
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