Kurzgeschichte
Erinnerungen

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"Erinnerungen"
Veröffentlicht am 07. Januar 2014, 2 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Erinnerungen

Erinnerungen

Erinnerungen

Kleine Wolken , weiß aufbauschend und dann verwehend, kein Laut außer dem Atem, den ich stoßweise in die klirrende Kälte schicke und das Knarren meiner Schritte. Der Schnee unter meinen Füßen ist fest, ich komme gut voran. Aber das ist nebensächlich, genauso nebensächlich wie die Natur um mich herum. Es geht allein um das laufen, Schritt um Schritt, Fuß um Fuß. Der dichte Wald umschließt mich mit seiner kalten Ruhe fast bedrohlich. Ich bleibe stehen und höre um mich. Wirklich kein Laut, als wäre ich ertaubt eine Ruhe, irgendetwas zwischen umschließend und bedrohlich. Er ist kein Freund an diesem Tag, nicht heimelig wie im Sommer. Aber er lässt mich gewähren, zieht sich zurück und lässt mich meinen Weg finden. Also gehe ich weiter auf dem Weg, bei dem ich nicht weiß, wohin er mich führt. Etwas knackt im Wald, etwas fliegt auf, Pulverschnee zerstäubt auf dem Weg zum Boden. Die kalte Luft brennt in meiner Nase, der bunt geringelte Schal schützt sie nur unzureichend. Ich weiß, dass ich nicht ewig weiterlaufen kann. Langsam meldet sich mein Körper, mit Kälte, Schweiß, Brennen, Stechen. Ich will nicht auf ihn hören, ich will nicht überlegen, was der nächste Schritt wäre, will einfach nur weiterlaufen. Laufen ohne Denken, ohne Vernunft. Der Weg wird steiler. Ich bin nicht völlig unsportlich, aber auch nicht besonders trainiert. Mein Körper meldet sich immer lauter zu Wort. Der Atem geht schneller, die Seite fängt an zu stechen, ich merke ein Zittern in meinen Beinen. Also bleibe ich stehen. Ruhe. Kälte. Ich möchte mich zusammenrollen, den inneren Stimmen den Mund verbieten, einfach abtauchen, eins sein mit der kalten, leblosen Natur um mich herum. Doch der Wald will mich nicht haben. Ich spüre es, ich bin nur geduldet. Ich weiß, dass ich nicht ewig weiterlaufen kann. Da ich nicht sterben möchte, erfrieren zwischen den Bäumen, muss ich mich der Vernunft stellen, ich weiß es. Aber ich will noch nicht. Will jeden Moment auskosten, der mir noch bleibt. Also stehe ich im Wald. Es hat angefangen zu Schneien. Die Flocken setzen sich auf meinen Mantel. Immer dichter fallen sie vom Himmel. Ein weißer Schleier legt sich über das, was vor Minuten noch ein Weg war. Die Welt um mich verengt sich. Ich habe keine Angst. Ich stehe inmitten der Flocken und warte auf den Augenblick, an dem ich zurückkommen muss. Die Kälte kriecht langsam durch meine Stiefel und wandert die Beine hinauf. Meine Atemluft hängt kalt und klebrig in meinem Schal. Weiter den Weg hinauf oder zurück zu meinem Auto so oder so, ich muss weiterlaufen. Ich entscheide mich für den Weg hinauf. Die leise Stimme meines Verstandes meldet, dass dort oben auch ein Weg zum Parkplatz führen müsste, ich registriere es, höre ihr aber nicht zu. Jetzt meldet sich auch meine Blase. Aber ausziehen und in den Schnee hocken das wäre zu profan für meine Stimmung. Ich möchte nicht, dass mein Körper Herrschaft über meinen Kopf übernimmt. Wenn ich schon sonst nichts unter Kontrolle habe, so soll sich zumindest mein Körper unterordnen. Dieser registriert es und stellt seine Forderungen zurück -wohlweislich, dass er am Ende gewinnen wird. Das Geräusch meiner Schritte im Schnee hat sich nun verändert. Das harte Knarren verwandelt sich in ein weicheres Knirschen. Ich habe nun die Kreuzung auf dem Kamm erreicht und bleibe stehen. Ich kippe meinen Kopf und schaue in den Himmel, hinein in das Toben und Wirbeln der Flocken. Weiße Flocken auf schmutzigweißem Grund. Mir schwindelt. Ich schließe die Augen und spüre nur die Flocken die sich auf meinem Gesicht in Wasser verwandeln. Eiskalte Flocken auf kalter Haut. Langsam gehe ich in die Knie bis ich über dem Weg hocke. Dann setze ich mich auf den eisigen Grund. Die Schottersteine pieken in meinen Rücken während ich langsam die Beine ausstrecke und mich in den Schnee lege. Die Schneekristalle fallen weiter und während sie beginnen, meinen Körper unter sich zu begraben, kann ich meine Gedanken nicht mehr zurückhalten. Ich hoffte, sie würden sich durch die Bewegung und die Natur ordnen, wie sie es schon so oft getan haben, wenn ich verzweifelt war und drohte, in meinen Gedanken zu ertrinken. Aber heute hat dies nicht geklappt. Wie ein wilder unberechenbarer Haufen sehen sie, wie die Tore sich öffnen und stürmen alle gleichzeitig los, fallen übereinander, rollen sich gegenseitig überholend auf das Tor zu und überrollen mich. Ein wirres Knäuel Gedanken dreht und wirbelt in meinem Kopf. Ich suche ein Ende, um das Knäuel zu entwirren aber vergebens. Also gebe ich mich ganz dem wirbeln und toben hin. Vor meinen geschlossenen Augen lösen sich einzelne Gedanken und verfestigen sich zu Bildern: Meine Großmutter, mit der ich im knorrigen Apfelbaum spielte, die meine Leibspeise kochte und mir Geschichten erzählte. Spaziergänge in der Schrebergartensiedlung neben ihrem Haus, erwachsene Gespräche an ihrer Hand, das Gefühl, vollkommen sicher und geliebt zu sein ein warmer schützender Kokon aus Liebe. Gemeinsame Weihnachten mit Musik, Nadelduft und viel zu vielen Plätzchen. Ihr tiefer, vergeblicher, Wunsch, an meiner Hochzeit teilnehmen zu können, mich als Braut  zusehen und an diesem Tag zu begleiten. Das bunt geschmückte Grab, wo wir von ihr Abschied nahmen, nachdem die Demenz bereits ihre Seele zerfressen hatte und sie als schreienden Haufen Mensch zurücklies. Trauernd, um den Menschen, der sie einmal war, erleichtert, dass ihre Leiden ein Ende hatten. Obwohl sie sich schon in den letzten Jahren verabschiedete, Stück für Stück ihre Persönlichkeit verlor und wieder zu dem Kind wurde, dass sie einmal gewesen sein musste. Aber ein zu einem Kind, dass wusste, dass etwas unaussprechliches, unverständliches nicht stimmte, dagegen aufbegehrte und verlor. Ohne Chance zu greifen, was der Feind war, ohne die Chance zu begreifen. Eine Träne läuft über meine Wangen erst warm, dann immer kälter. Zurück bleibt nur ein eisiger Streifen. Das verschwommene Bild eine Fotografie meiner anderen Oma. Nie kennengelernt, nie eigene Erinnerungen aufbauen können. Aber viele Geschichten, zum Einschlafen erzählt. Eine warmherzige Frau, die auf ihre Familie achtete und bei der immer ein Platz am Tisch frei war, für die, die Essen und Wärme brauchten. Sie weigerte sich zum Arzt zu gehen, als die Schmerzen kamen. Und mit jedem Weigern, gab sie dem Krebs die Aufforderung, sich weiter in ihren Körper zu fressen. Während ich in dem Bauch meiner Mutter heranwuchs, verlor sie ihre Lebenskraft und starb, ohne mich gesehen zu haben, ja ohne von mir zu wissen. So weit entfernt und plötzlich, aus dem nichts mir wieder so nah. Hier auf dem steinigen Waldboden, inmitten der Bäume und der tosenden Flocken spüre ich sie. Ich spüre die Linie, die von ihnen zu mir führt. Und die Linien ihrer Großmütter zu ihnen, und immer weiter zurück. Mein Kokon gesponnen aus den Liebesfäden von Großmüttern zu der Enkelin.

Ich spüre nun doch die Kälte und den harten Boden. Die Zeit der Gedanken ist vorbei, ich spüre es, weiß es. Lieber würde ich verweilen, aber mein Körper und die Vernunft, die die letzten Minuten im Hintergrund gelauert haben, sehen ihre Chance und übernehmen. Ich stehe auf, schüttle den Schnee von meinem Mantel und bewege zitternd meine steifen Glieder. Dann laufe ich los. Wo eben noch Kälte in mir war, ist nun Wärme und sanftes Licht. Fast höre ich die Weihnachtsmusik und die beruhigenden Stimmen meiner Familie, rieche Nadelholz und Kerzen. Der Weg führt durch die Bäume nach unten. Nur wenig Schnee liegt auf der Erde, die blattlosen Äste der Bäume überspannen den Weg. Ich schreite schnell aus. Ich will zu meinem Wagen und wieder hinein in die warme Welt, will nach Hause. Und während mir Tränen über die Wangen laufen, entscheide ich mich für das kleine, warme Lebewesen in mir.

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annakatharina

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