Kurzgeschichte
Wie man Kistenritte tauscht

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"Es ist eine wahre Geschichte über zwei gefallene Hindernisjockeys, die trotzdem siegreich waren. "
Veröffentlicht am 27. Dezember 2013, 22 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich schreibe schon seit meiner Kindheit sehr gerne. Eine von mir verfasste Kurzgeschichte hat mir einen Preis eingebracht, was mich zusätzlich motiviert hat. Mein Roman - ein Krimi - wird in 2014 fertig gestellt sein. Endlich, denn es hat, aus verschiedenen Gründen, große Verzögerungen gegeben. Das Thema deckt eine interessante Nische ab, mal sehen, was dabei heraus kommt.
Es ist eine wahre Geschichte über zwei gefallene Hindernisjockeys, die trotzdem siegreich waren.

Wie man Kistenritte tauscht

Anfang der 1970er Jahre, Galopprennen an einem Sonntag. Ich war Hindernisjockey

und hatte einen Ritt in einem Jagdrennen, das in Dortmund gelaufen wurde. Nach

einem ausgiebigen Frühstück - ausnahmsweise musste ich mein Gewicht für diesen

Ritt nicht reduzieren - bekam ich einen Anruf des Trainers, für den ich reiten sollte.

Er teilte mir mit, dass sein Pferd nicht starten kann. Es hätte Fieber und mache einen

müden Eindruck. Vorsichtshalber werde

er den Tierarzt anrufen und das Pferd in

jedem Fall im Stall belassen.

“In Ordnung“, sagte ich zu ihm, “dann wollen wir mal hoffen, dass der alte Kämpfer

bald wieder auf dem Damm ist “.

Eigentlich war ich an diesem Tag mit einem Kollegen in Dortmund verabredet, aber

jetzt, wo ich keine Rittverpflichtung hatte, wollte ich auch nicht unbedingt auf die

Rennbahn fahren. Gut, Köln Dortmund ist jetzt keine Weltreise, aber da ich keine

große Lust hatte mich auf den Weg zu machen, fuhr ich auch nicht hin.

Eine Woche später habe ich mich mit meinem Kollegen erneut verabredet. Dieses mal

in Krefeld, nur das ich an dem Tag kein Rennen zu reiten hatte, zumindest hatte ich

für diesen Sonntag keinen Ritt angenommen.

An diesem Tag war ich es diesmal, der Fieber hatte. Ich fühlte mich schlapp und

hätte mich nach dem duschen am liebsten wieder ins Bett gelegt, denn ich hatte mir

eine fiebrige Erkältung eingefangen und hing körperlich ziemlich durch.

Allerdings quälte mich mein Gewissen,

denn zweimal hintereinander eine

Verabredung platzen zu lassen, wäre mir doch ziemlich peinlich gewesen. Also nahm

ich mich zusammen und fuhr auf die Galopprennbahn nach Krefeld, um meinen

Kollegen zu treffen.

Dort angekommen führte mich mein erster Weg ins Waagegebäude. Ich ging auf die

Tür zu, auf der “Sekretariat“ stand, da ich mir dort ein Rennprogramm besorgen

wollte. Ich fühlte mich wirklich mies und habe vielleicht auch deswegen nicht

bemerkt, dass der damalige Jockeydiener Michel Schmitz und

Trainer Willi Schütz,

nur wenige Meter neben mir, angeregt miteinander über einen Reiterwechsel

diskutierten.


Der Grund für dieses Gespräch war Jockey Klaus Grube, der in Krefeld eigentlich für

Trainer Willi Schütz reiten sollte. Allerdings war er einen Tag zuvor in Düsseldorf in

einem Hürdenrennen gefallen und konnte heute verletzungsbedingt seinen Ritt nicht

ausführen.

Kurz bevor ich das Sekretariat betreten

konnte, wurde ich vom Jockeydiener

ausgebremst.

“Hee, Tölle, kommens her, los, loß jon“, rief Michel Schmitz in seiner Kölschen

Mundart, die keinen Widerspruch erlaubte und winkte mich zu sich heran. Dann

drehte er sich um und sagte zu Willi Schütz

“Dä Tölle hätt nix zu rigge, dä is frei“.

Bevor ich begriff um was es eigentlich ging, stand ich auch schon auf der Waage und

Willi Schütz stellte fest, dass mein Gewicht genau richtig war, um sein Pferd Assur

mit einem etwas größeren Sattel reiten

zu können.

“Hätte ich doch meinen Kollegen am letzten Sonntag nicht in Dortmund versetzt,

dann wäre ich heute gar nicht hier. Dann würde ich jetzt noch im warmen Bett liegen

und schlafen können“, so meine Gedanken.

Durch meinen vom Fieber bestimmten etwas benebelten Zustand und der

ungebrochenen Redseeligkeit vom Jockeydiener Schmitz und Trainer Willi Schütz, ist

es mir nicht gelungen, den beiden zu erklären, dass ich gesundheitlich nicht so ganz

auf der Höhe war und lieber nicht reiten wollte. Ich bin einfach nicht zu Wort

gekommen. Na ja, jeder, der diese Herren noch Life miterlebt hat, weiß was ich

meine. Da gab es kaum ein durchkommen.

Also beugte ich mich der - auf mich niederprasselnden Dynamik und nahm den

Kistenritt an so nannte man es, wenn man unerwartet für einen Kollegen

einsprang. Ich ging in die Jockeystube, nahm die Rennsachen die Michel Schmitz mir

in die Hand drückte, zog mich für das Jagdrennen um und griff mir einen

passenden

Sattel, um das zu reitende Gewicht auszuwiegen.

Danach sah ich mir die Grundstückskarte an, die im Waagegebäude an der Wand

hing und die Krefelder Rennbahn im Detail wieder gab.


Ich wusste nicht welchen Kurs wir reiten mussten, denn ich hatte in Krefeld noch

nicht über Sprünge geritten. Drei Hürdenrennen hatte ich bis dahin erst gewonnen

und ein einziges Jagdrennen - in Mülheim

an der Ruhr - geritten, war also noch

relativ neu in diesem Metier.

Ich sah mir die Kursführung an, prägte sie mir ein und hoffte, dass ich nicht vorne

gehen musste. Einfach den führenden Pferden hinterher, dann geht das schon, war

ich überzeugt.

Nachdem Willi Schütz mir geholfen hatte auf Assur Platz zu nehmen, führte er mich

persönlich zum Geläuf. Auf dem Weg dahin musste ich mir noch mehrfach die

Reitorder anhören. Mitbekommen habe ich nicht viel, denn mir war ein wenig

schwindelig und ich hoffte, nicht aus

Schwäche vom Pferd zu fallen.

Allerdings war Assur ein Top-Springer, der zwar über die gesamte Renndistanz

gefordert werden wollte, aber praktisch keine Fehler machte, worüber ich natürlich

sehr froh war.

Der Start klappte für alle Beteiligten gut und die acht Sprünge, die es in der ersten

Runde zu bewältigen galt, nahmen alle Pferde und Reiter problemlos.

Als wir in der Gegenseite den Wassergraben genommen hatten und es auf den

nächsten Sprung zu ging, wusste ich nicht mehr, ob wir nach diesem nächsten

Sprung nach rechts abbiegen mussten, weil die „Kleine Bahn“ zum Ziel führte oder ob

wir Außen herum die „Große Bahn“ nehmen mussten.

Ich hatte zwei Gegner vor mir, als wir auf der anderen Seite des Jagdsprunges

landeten. Ich wäre sicher geradeaus weiter geritten, wenn die beiden führenden

Pferde nicht nach rechts abgebogen wären. Ich schloss mich Ihnen an, sprang den

Bogensprung noch knapp hinter ihnen und war am letzten Hindernis zur Stelle.

Letztendlich habe ich gewonnen, weil es mir - sicher das Adrenalin - doch

deutlich

besser ging und ich während des Rennens und im Endkampf relativ konzentriert

reiten konnte.

Als mein Pferd jedoch nach dem Ziel ausgaloppierte und die Anspannung von mir

wich, fühlte ich mich leer und müde.


Zurück in der Jockeystube kam Michel Schmitz auf mich zu und sagte : “ Siesse, han

ich dir doch jesaaht, Kistenritte sin immer jud, da hässe immer`ne Schanks “.

An diesem Tag hat er von mir das doppelte Entgelt für seine Leistung verlangt,

“Schließlich han ich dir dä Ritt besorcht“, so seine Argumentation für den gestiegenen

Preis. Natürlich hatte er recht, auch wenn ich das vor dem Rennen ganz anders sah.

Bevor ich mich wieder umziehen wollte, setzte ich mich in der Jockeystube auf den

mir zugewiesenen Platz, um erst einmal ein wenig Kraft zu tanken und meinem

Kreislauf die Chance zu geben sich zu regenerieren. Kaum saß ich, kam der damalige

Spitzenjockey Uwe Mathony zu mir. Er schlug mir anerkennend auf die Schulter,

gratulierte zum Sieg und meinte, ziemlich beeindruckt :

“Du hast aber die Ruhe weg. Mein lieber Mann, ich hätte nicht so lange gewartet wie

du, hätte die führenden Pferde eher angegriffen. Das hast du aber gut im Griff

gehabt, alle Achtung“.

“Na ja, so doll ist das ja auch nicht. Im Rennen hast du die Pferde doch genau vor dir

und kannst schon in etwa einschätzen, ob deren Reserven ausreichend sind oder dein

eigenes Pferd besser geht“, habe ich geantwortet.

“Nur nicht so bescheiden“, sagte er, klopfte mir nochmals auf die Schulter und ging

wieder.

Ehrlich gesagt hört man so ein Lob nicht gerade ungern, zumal von einem wahren

Sattelkünstler, und so habe ich ihm nicht erzählt das ich nur so lange gewartet habe

die führenden Pferde anzugreifen, weil ich die Kursführung nicht genau kannte, also

abwarten musste, bis mir klar war, welchen Weg wir ins Ziel nehmen

müssen.

Ich freute mich einfach über den Sieg und das Lob von Uwe Mathony für meine

“eisernen Nerven“, grinste vor mich hin und entschloss mich, mein Wissen für mich

zu behalten.


Etwa ein Dreiviertel Jahr darauf stürzte ich Sonntags in einem Hürdenrennen in

Frankfurt/Main.

Nach dem ich aus dem Krankenhaus zurück auf die Rennbahn kam, fragte mich der

französische Trainer M. Lutz, für den ich auch an diesem Tag geritten hatte, ob

ich

am nächsten Mittwoch in Köln für ihn Banacek reiten könnte.

Natürlich habe ich zugesagt, denn die paar Prellungen und Blutergüsse sind nicht der

Rede wert und bis Mittwoch wieder verschwunden, so meine Aussage. Den strammen

Verband, den man mir angelegt hatte um zwei angebrochene Rippen zu stützen,

verschwieg ich ihm.

Trotz schmerzstillender Spritzen konnte ich an dem besagten Mittwoch jedoch nicht

reiten. Die Verletzungen waren insgesamt doch umfangreicher als

zunächst

befürchtet. Die angebrochenen Rippen erschwerten mir das atmen und der linke

Arm war kaum zu bewegen. Es ging beim besten Willen nicht.

Am morgen des Renntages rief ich in Frankreich an und informierte Herrn Lutz über

die aktuelle Situation.

Da der Trainer an diesem Kölner Renntag ohnehin nicht anwesend gewesen wäre,

weil er in Frankreich noch Pferde laufen hatte und sich um diese kümmern wollte,

überließ er es mir einen anderen Jockey zu verpflichten.

Es haben sich gleich mehrere Reiter

angeboten. Teilweise haben sie sich regelrecht

aufgedrängt, weil sie Banacek gerne reiten wollten, aber ich wählte Klaus Grube aus.

So wie ich mit Assur in Krefeld für ihn, machte er es mit Banacek in Köln für mich.

Banacek gewann und so habe ich dem Kollegen Klaus Grube auf diesem Weg einen

Sieg zurück gegeben. Mit diesem “Tauschgeschäft“ der siegreichen - Kistenritte

waren wir beide zufrieden, und das kleine Bier, das wir uns anschließend gegönnt

haben, hat uns auch geschmeckt.


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Über den Autor

heinztoelle
Ich schreibe schon seit meiner Kindheit sehr gerne. Eine von mir verfasste Kurzgeschichte hat mir einen Preis eingebracht, was mich zusätzlich motiviert hat.
Mein Roman - ein Krimi - wird in 2014 fertig gestellt sein. Endlich, denn es hat, aus verschiedenen Gründen, große Verzögerungen gegeben.
Das Thema deckt eine interessante Nische ab, mal sehen, was dabei heraus kommt.

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xXJessiXx Pferdegeschichten ... Ich liebe Pferdegeschichten ^^
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heinztoelle Hallo Jessi,
vielen Dank für deine Kontaktaufnahme. Als Züchter und Besitzer von Galopprennpferden freue ich mich natürlich sehr, wenn ich auf nette Menschen treffe, die ein Herz für Pferde haben.
Ich hätte mich gerne schon vor ein paar Tagen gemeldet, aber ich hatte mir den "Schumi-Trojaner" eingefangen und musste drei Tage lang versuchen meinen Computer vor dem Totalabsturz zu retten.
Leider sind sehr viele Dokumente verloren gegangen, darunter auch noch einige Pferdegeschichten.
Eine davon : "Ein Schimmel ohne Regenschirm"
werde ich auf jeden Fall neu schreiben. Wenn du sie lesen möchtest, gib mir bitte kurz Bescheid. Ich glaube nicht, dass ich sie hier einstellen werde.
Hast du auch ein Pferd und reitest du ? Bin jetzt neugierig geworden.

Gruss Heinz


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