Journalismus & Glosse
Baumkuchensplitter

0
"Weihnachtsszenen"
Veröffentlicht am 12. Dezember 2013, 12 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
© Umschlag Bildmaterial: zirconicusso / FreeDigitalPhotos.net
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Weihnachtsszenen

Baumkuchensplitter

Weihnachtliche Stille


In ferner Zeit, als der Weihnachtsmann noch an der Tür klingelte, statt „HoHoHo“ in den Kamin zu röhren. Als man auf den Text von „Stille Nacht“ und „Vom Himmel hoch“ hörte und sie drum nur am 24. spielte und sang.


Welcher Halbwüchsige singt schon gern im Unterricht mit. Und gar Weihnachts-lieder. So sang uns Fräulein D. am Flügel eben etwas vor: „Tausend Sterne sind ein Dom“, die Stille in der Klasse ignorie-rend. Auch die letzte Strophe hielt sie durch: „All dies Schweigen macht uns

froh.“ Wir Ahnungslosen wußten nicht, daß andernorts seriöse Menschen mit bier-ernster Miene „Heidschi Bumbeidschi Bumm Bumm“ zu Protokoll geben.


Heute möchte ich Fräulein D., einer netten feinen Person nicht ganz von dieser Welt, für die Jahre mit uns eine Tapferkeitsmedaille umhängen. (Ja, Ihr Lehrer heute, ich weiß schon...)

Bescherung


„Erst ein Lied singen! Das ist ein christliches Fest, da macht man das so! Der Karton ist von uns, der von Oma und der vom Westen!“ Teenager sind natür-lich Sektierer und schärfste Kritiker der Erwachsenen. Aber einmal im Jahr fröm-melnd die Kirche besuchen? Einmal im Jahr eine herzige Familie simulieren? Jesus wurde im Stall geboren, drum werfen wir uns Geschenke zu wie Heu-fuder. Schön, ein Buch und ein Taschen-rechner finden sich, damit kann man den Abend überbrücken.


Festtage können sehr offenbaren, wie jemand das Leben so sieht. Immer nur Erhalten minus Gegeben im Blick, ein ständiges Minusgeschäft. Der Mühe allein fehlt das Aroma. Und die Erwar-tung, mittels Kind eheliche oder seeli-sche Probleme zu überbrücken, ist eine Art legalen Kindesmißbrauchs.


Sie wissen es halt nicht anders. Sollte da oben jemand sitzen, er übt sicher für verschenkte Leben Nachsicht. Manche Kinder haben nicht mal solche Eltern. Manche Leute haben nicht mal solche Kinder.

Tischnachbarinnen


Man fragt ja nicht. Aber die Achtzig haben die drei Damen, die jetzt ihre Stützen am Stuhl einhängen, klar hinter sich. Was man ihren aufgekratzten Ge-sprächen und dem guten Appetit nicht anmerkt, mit dem sie wiederholt das Weihnachtsbüffet plündern. Mangels Lesebrille enträtseln sie erst am Tisch die Beute. Den Ausschank des fruchtigen Glühweins finden sie aber sofort. Hinter den endlosen Falten strahlen ihre Mäd-chengesichter hindurch. Und nochmal gibts Glühwein für alle.


Einen Tag später kommt mir eine der drei auf einer Liege entgegen, Augen ge-schlossen, Schlauch im Mund. Ein Sturz im Bad. − Es ist ja immer zu früh, aber sollte sie nicht mehr aufstehen: Solche letzten Tage wünscht sich halt jeder.

Sturm


Heiligabend kommt plötzlich Sturm auf. Er spielt auf dem Luftschacht des Hotels Didgeridoo und intoniert an der Fassade kreischende Autorennen. Stundenlang versucht der Sturm, Häuser, Palmen und alle anderen Hindernisse mit ins Meer zu reißen, das er wild aufschäumt.

Der nächste Tag ist windig und mit 18 Grad winterlich kühl. Eine Nacht ohne Schlaf und ein Tag ohne Baden, das ist nachgeholter Weltuntergang genug. Ich will mein Geld zurück...


Auf der Seebrücke kann man endlos aufs Meer gehen. Aber wozu? Nun irrlichtert wieder die Sonne auf den Wellen. Am Strand kreisen Möwen um das fleischlose Fell eines Weihnachtsmanns, Größe L.



© 2013 Brubeckfan

Titelbild: © Image: zirconicusso / FreeDigitalPhotos.net

0

Hörbuch

Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

Leser-Statistik
31

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
KaraList Baumkuchen gehört nicht zu meinen favorisierten Leckereien, aber Deine Baumkuchenspllitter gefallen mir ausgesprochen gut. Das Fazit jeder Geschichte sarkastisch ... oder doch bitterböse?
Gut beobachtet und toll geschrieben, lieber Gerd!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Eher wehmütig, ein Schuß Humor machts erträglich. Die überall verkündete Vorfreude auf Weihnachten kenne ich jedenfalls nicht, und ich bin sicher, in der Verwandtschaft damit nicht alleine gewesen zu sein. Jeder macht sich das Leben halt nach Kräften schwer...
Vielen Dank für alle "Süßigkeiten" hier.
Machs Dir kuschlig bei der grauen Soße draußen.
Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ach Gott, diese Lieder... damals schrecklich... heute schrecklich melancholisch. Doch allzeit besser als das Radioprogramm.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Wham, nun sind sie wieder alle allgegenwärtig. Und wer was auf sich hält, bringt eigene Fassungen der wehrlosen alten Lieder heraus (Du noch nicht?). Über "Volksliedersendungen" oder den grinsenden belgischen Geiger kann ich nichts sagen.
Wozu haben wir Konserven, nöch?
Viel Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Friedemann 
Guten Morgen Gerd,
Deine zu Herzen gehenden Geschichten erinnern daran, dass Weihnachten nicht nur ein Freudenfest sein sollte, sondern einen besinnlichen Ursprung hast. So erinnert mich Dein Titel an die weihnachtlichen Pakete mit selbstgebackenen Baumkuchen, die wir im Westen früher von unserer Verwandtschaft im Osten bekamen. Sie hatten ja sonst nichts, was wir wir hier wesentlich günstiger erwerben konnten.

Liebe Grüße,
Friedemann
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Verbreitet waren auch die Dresdner Stollen. Die mußte man halt irgendwie besorgen. Ein bißchen wollte man sich ja revanchieren für Südfrüchte und Nutella im duftenden Westpaket.
Übrigens, die beschriebenen Ladys haben mir an dem Abend viel Spaß gemacht. Auch die singende Lehrerin am Flügel war an jener Textstelle damals sehr lustig -- natürlich auf ihre Kosten.
Eine schöne Zeit wünscht Dir
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Miranda Lieber Gerd,
ja, auch so kann man Weihnachten verbringen, dieses Fest aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Deine Geschichte lässt mich nachdenklich zurück, sehr nachdenklich!
Liebe Grüße
sigrid
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Liebe Sigrid,
wer kann schon auf Knopfdruck strahlen und schwärmen. Und wer alleine unterwegs ist, hat mehr Zeit zum Betrachten und Schreiben. Mit den Jahren finde ich Weihnachten nicht mehr bedrückend, aber ein Freund der Weihnachtsmärkte bin ich immer noch nicht.
Interessant übrigens, welche Aktivitäten es am Abend des 24. und des 31.12. in diesem Forum so gibt.
Vielen Dank für alle Auszeichnungen!
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Miranda Lieber Gerd,
oho...ich kenne ein paar Leute die das können. Mit Hilfe von Alexa, da heißt es: Alexa, 100% Weihnachten, und schwupps muss ich meine Sonnenbrille aufsetzen, es ist so hell, dass man fast erblindet und, ich übertreibe nicht.
Viele " Stille Adventsgrüße"
sigrid
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan O weh... Siri, mein Baby schreit, mach mal was...
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
36
0
Senden

101946
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung