Kurzgeschichte
Flucht und Heimkehr

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"Flucht und Heimkehr"
Veröffentlicht am 25. November 2013, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
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Flucht und Heimkehr

Flucht und Heimkehr

Flucht und Heimkehr

Es war Nacht, als sie sich hinaus schlich. Ihr weißes Kleid leuchtete im Licht des Mondes und auf ihren dunklen Haaren lag ein silberner Schimmer. Ihre helle Haut hatte den Ton von Porzellan und aus den grünen Augen sprach stumpfe Gleichgültigkeit. Lange hatte sie über das nachgedacht, was sie gerade tat. Tagelang, Nächtelang, Wochenlang hatte sie das Für und Wider abgewogen, aber jetzt, jetzt war es endlich so weit. Endlich war geschehen, was hatte geschehen müssen. Sie war gegangen. Endlich hatte sie es geschafft.

Gegangen, geflohen, verschwunden, entschlichen und nie mehr, nie mehr würde sie zurück kommen. Nie mehr würde sie die gräulichen Mauern ihres Elternhauses sehen. Nie mehr müsste sie die knarrende Treppe erklimmen, nie mehr aus ihrem Fenster sehen. Nie mehr an diesem, einen, selben Ort aufwachen und dort einschlafen und sich wünschen woanders zu sein. Sie sattelte den schwarzen Hengst. Sein Atem dampfte in der Nachtluft und verschwand im Sternenzelt. Das Weiß seiner Augen brannte in der Dunkelheit und er tänzelte unruhig von einem Huf auf den Nächsten. Auch er schien zu spüren, dass eine Veränderung in der

Luft lag. Sein Hals wölbte sich, als er stieg und sie faste entschieden, doch behutsam nach seinen Zügeln. Die Schritte des Rappen hallten leise über den verwaisten Hof und ihr weißes Kleid wehte hinter dem Hengst her. Es dauerte nicht lange, da hatten sie das Elternhaus hinter sich gelassen, das im Dunst verschwand und sie und der schwarze Hengst ritten über die Felder durch ein Nebelmeer. Im Galopp durchschnitten sie schließlich einen dichten Wald und singende Vögel tanzten über ihnen. Schweiß schäumte auf dem schwarzen Fell des Hengstes und Pferdepeichel spritzte gegen die Brust des Pferdes und

gegen die schwarzen Schuhe, die sie an den Füßen trug. Dennoch zwang sie das Pferd den scharfen Galopp beizubehalten. Sein schweres Keuchen begleitete das schnelle Rasen ihres Herzens. Dreck schleuderte hinter ihnen in die Luft und erschrockene Menschen, sprangen zur Seite, als sie endlich die Straße zur Stadt erreichten. Der Hengst rannte vorbei an Wagen, auf denen Bauern saßen und Pferde bäumten sich auf, wo sie entlang ritten. Flüche wurden ihnen hinterher geworfen und Kinder fingen an zu weinen, wenn sie vor Schreck in den Dreck fielen. Aber ihr war das Alles egal. Sie und ihr

Hengst hatten die Menschen hinter sich gelassen, bevor sie auch nur ihr Gesicht erkennen konnten. Dann erhoben sich die Tore der Stadt vor ihnen in die Höhe und dahinter erstreckten sich Dächer wie ein Meer. Es ist lange her, dass sie mir ihren Schwestern und ihrer Mutter hier gewesen ist. Damals waren sie über den Markt gegangen um Stoffe zu kaufen und der Gestank nach Unrat und Vieh hatte ihr beinahe den Atem geraubt. Aber jetzt empfing sie ihn wie einen alten Bekannten. Vor den Toren parierte sie den schwarzen Hengst durch. Sein Körper dampfte in der kühlen Luft und sein

Hufschlag vermischte sich mit zahlreichen anderen. Das weiße Kleid klebte ihr feucht am Körper und in den dunklen Haaren hingen Kletten. Dunkelbrauner Matsch trocknete an den Beinen des Pferdes und Spritzer sprenkelten ihre Beine. Sie und der Rappe mussten einen schrecklichen Anblick bieten, aber niemand scherte sich darum und ihr war es egal. Ein Lächeln tanzte über ihre Lippen, denn endlich war sie hier und endlich war sie frei. Menschen drängten sich auf den Straßen, stießen und schubsten, aber hoch oben auf dem Hengst merkte sie das alles

nicht. Nach wenigen Minuten nur war sie auf dem großen Marktplatz, heute war nicht ein Stand auf ihm aufgebaut und die Fenster der Häuser waren geschlossen. Es war ein kalter Tag und doch weckten die Feuer, die sie durch schmutzige Scheiben erkennen konnten keine Sehnsucht in ihr. Sie wusste, wo sie hin musste und der Hengst trug sie treu in diese Richtung. Die Straße, die sie nahmen war abschüssig und an ihrem Ende wartete der stinkende Fluss. Im Kopfsteinpflaster klebte Dreck und die Menschen, die sich hier bewegten wurden gedrungener und magerer.

Hungernde Frauen warfen ihrem Pferd neidische Blicke zu und sie schnürte den kleinen Beutel fester, den sie sich um die Brust geschlungen hatte. Und dann waren sie da. Am Fluss stand eine kleine Holzhütte. Ein gammliges Ruderboot trieb still im Wasser und Algen rankten sich an dem Fuß der Hütte. Die Fenster waren milchig und undurchlässig und aus einem kleinen Schornstein stieg dichter Rauch. Die Wellen des Flusses schlugen einen leisen Takt gegen das Ufer und auf einer kleinen Bank saß ein junger Mann. Er blickte auf, als er den Schlag der Hufe vernahm und ein Glanz trat in seine

Augen, der auch auf ihrem Gesicht leuchtete. „Ich habe dir gesagt, ich würde wiederkommen!“, rief sie ihm entgegen und ihr glockenhelles Lachen durchschnitt die kalte Luft.

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FetteEule

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