mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Bauchschreiber vs. Planer

Die weitaus meisten Schreiber dürften ihr erstes Manuskript begonnen haben, indem sie mit ein paar Ideen im Kopf einfach drauflosgeschrieben haben. Da der Austausch mit anderen Autoren in Zeiten des Internets aber nicht lange auf sich warten lässt, wird jeder früher oder später auch mit jenen in Kontakt gekommen sein, die ihre Schreibarbeit vorher ausgiebig planen, die Figurenblätter entwerfen, Arbeitsexposés schreiben, plotten und was sonst noch alles. Und unweigerlich stellt man sich die Frage, ob man selbst alles falsch gemacht hat, wenn man die Geschichte ohne jede Vorarbeit hat aufs Papier oder in den Rechner fließen lassen.

Darum soll es in diesem Artikel gehen. Natürlich gilt das hier Gesagte im Wesentlichen für längere Werke wie den Roman. Im Prinzip lässt es sich aber in abgeschwächter Form auch für Kurzprosa anwenden.

1. Die einen und die anderen

Ob und wie viel man plant, ist jedem selbst überlassen. Es zählt nur das Ergebnis, nicht der Weg dahin. Die beste Methode ist immer die, mit der man selbst am besten zurechtkommt und mit der man das beste Ergebnis erzielt. Welche das ist, wird man über die Jahre herausfinden müssen.

Es gibt Autoren, denen das Planen beinahe noch mehr Freude bereitet als das eigentliche Schreiben, und solche, die das Gefühl haben, ihre Kreativität einzuengen, wenn sie sie nicht spontan umsetzen können. Manchem Manuskript sieht man deutlich an, dass der Autor es besser gründlich geplant hätte, manches hätte man gar nicht besser planen können.

Aber einige allgemeine Empfehlungen kann man trotzdem geben:

  • Zwischen gar nicht planen und bis ins kleinste Detail planen gibt es unendliche viele Zwischenschritte. Eine gesunde Mischung ist meist besser als das eine oder das andere Extrem.
  • Vielen hilft es, Schreib- und Planungsphasen abzuwechseln.
  • Je länger das Manuskript, desto wahrscheinlicher ist es, dass Planen die Arbeit erleichtert.
  • Gleiches gilt für komplex strukturierte Manuskripte.
  • Die Zeit, die der Bauchschreiber zu Beginn der Arbeit an einem Manuskript spart, wird er in der Regel am Ende in die Überarbeitung stecken müssen
  • Mancher kann es im Kopf, andere werden um ein paar Notizen nicht herumkommen. Das gilt vor allem für Rechercheergebnisse, und die Ausarbeitung vielschichtiger Charaktere.

2. Vor- und Nachteile des Bauchschreibens

Die meisten, die dieser Schreibmethode bewusst den Vorzug geben, tun das, weil sie so ihre Kreativität am besten gefördert sehen. Sie fühlen sich freier beim Schreiben, lassen sich gern von der Entwicklung der Handlung und der Figuren überraschen, brauchen beim Schreiben eine Art von Miterleben, die der des Lesers nahekommt.

Hat man ein gutes Gefühl für Spannungsbögen, Konflikt- und Figurenentwicklung, dann hilft ein ungehemmter Schreibfluss sicher, auch schon vor der Überarbeitungsphase zu einem relativ runden Ergebnis zu kommen.

Damit sind auch schon die Nachteile angedeutet: Je weniger man „auf dem Zettel hat“, desto leichter kann man sich verzetteln. Logikfehlern sind Tür und Tor geöffnet, der Spannungsbogen wird brüchig, der Konflikt wird nicht klar, verliert sich wieder oder bleibt ungelöst, die Figuren handeln ihren Charakteren zuwider oder entwickeln keine nachvollziehbaren Persönlichkeiten.

Vieles kann schiefgehen und muss im Anschluss umständlich repariert, um- oder gar neugeschrieben werden. Und mancher verzettelt sich so sehr, dass er gar nicht erst bis ans Endes seines Manuskripts kommt.

3. Vor- und Nachteile des Planens

All die Nachteile des Bauchschreibens schließt der Planer zu einem hohen Prozentsatz von vornherein aus. Er entwickelt im Vorhinein und kann sich beim Schreiben jederzeit an seinen Aufzeichnungen orientieren. Je mehr er plant, desto weniger Probleme können ihn bei der eigentlichen Schreibarbeit aufhalten.

Allerdings steckt darin auch der Haken: Je detaillierter die Vorplanung ist, desto unkreativer wird der eigentliche Schreibprozess. Auch der Planer sollte sich also Freiheiten lassen, die dem Schreiben zugute kommen. Zumal so manche Idee wie auch manches Problem erst dann zutage tritt.

4. Die Recherche ist unumgänglich

Ob man sie nun als besonders spannend oder als notwendiges Übel empfindet, an der Recherche kommt ein Autor langfristig nicht vorbei. Ein Autor kann nicht alles wissen.

Das ist im Prinzip auch jedem klar. Dass man also eventuell über historische Zusammenhänge nachforschen muss, sich über geographische Zusammenhänge informieren, mit Betroffenen sprechen und vieles mehr, muss kaum besonders hervorgehoben werden.

Leicht übersehen werden dagegen die vielen scheinbaren Kleinigkeiten, über die man nicht Bescheid weiß: Was verdient eine Krankenschwester? Leben Hirsche in einem Rudel, einer Herde oder einer Rotte? Wann beginnt die erste Schicht in einem Discounter? Muss mein Protagonist tanken, wenn er mit seinem vollgetankten Diesel von Hamburg nach München unterwegs ist? Wie verhält sich ein Tiger bei einem Angriff? Wie schnell konnte ein Bote im Mittelalter von einem Ort zum anderen gelangen?

Solche und ähnliche Fragen tauchen immer wieder auf. Dabei sind die am tückischsten, von denen man nur glaubt, die Antwort zu kennen, außerdem die, über die man gar nicht weiter nachdenkt.

Und es gibt immer Leser, die es besser wissen! Zu glauben, es werde schon keinem auffallen, wäre also ein Fehler. Zu glauben, es würde keinen stören, könne also nicht allzu sehr schaden, wäre Fehler Nummer zwei.

Man sammelt also jede Menge Informationen, um sich als Autor sattelfest zu fühlen. Im Prinzip gibt es kein Zuviel an Recherche, sofern man darüber nicht das Schreiben vergisst. Allerdings folgt nicht selten Fehler drei auf dem Fuße. Wenn der Autor nämlich zeigen will, was er inzwischen alles auf dem Kasten hat.

Da beginnt dann schon einmal mitten im herrlichsten Schlachtengetümmel ein Essay über die Waffen- und Kampftechniken des Mittelalters. Oder ohne jeden Zusammenhang erfährt der Leser, wie hoch das monatliche Einkommen der Krankenschwester ist, die dem Protagonisten ein Rezept ausstellt. Im schlimmste Fall liest sich der Roman eher wie ein Sachbuch.

Die Recherche ist für den Autor da! Nur indirekt kommt sie auch dem Leser zugute. Der Autor will eine Geschichte erzählen nicht über Sachzusammenhänge aufklären. Schon gar nicht sollte er belehrend wirken. Oder mit seinem Wissen protzen.

Die Recherche dient dem Autor, um seinen Stoff souverän zu beherrschen und Fehler zu vermeiden. Wenn er weiß, was seine Protagonistin in ihrem Job verdient, weiß er, was sie sich leisten kann und wo sie an ihre Grenzen stößt. Wenn er weiß, auf welche Entfernung ein englischer Langbogenschütze treffen konnte, weiß er, wo er sie in einer Schlacht postieren muss.

Die Recherche ist also unumgänglich, um dem Leser eine glaubhafte Geschichte zu erzählen, nicht um ihm ein Extra zur Geschichte zu liefern.

Recherche benötigt übrigens entgegen der landläufigen Meinung auch für den Fantasyautor. Zum einen muss er eine in sich stimmige Alternativwelt erschaffen, denn der Leser erwartet auch in dieser Prinzipien, auf die er sich verlassen kann. Zum anderen lassen sich die wenigsten Fantasywelten völlig von unserer Welt abkoppeln, sei es, dass es auch dort Menschen und Tiere gibt, die denen aus unserer Welt gleichen, sei es, dass auch dort soziale und historische Strukturen herrschen, die dem Leser logisch erscheinen müssen.

5. Auf dem Weg zum Exposé

Wer eine Geschichte erzählen will, sollte wenigstens eine grobe Vorstellung davon haben, was er erzählen will. Diese eine Frage sollte er sich also zumindest stellen und die Antwort, falls er fürchtet, er könne sie vergessen, griffbereit notieren.

Ich will die Geschichte von einem Jungen erzählen, der von seinen Eltern getrennt wurde.

Nun hilft uns dieser Satz noch nicht viel, denn er berichtet nur von einem Zustand, erzählt keine Geschichte. Immerhin enthält er einen Ausgangspunkt, einen potentiellen Konflikt, von dem aus sich eine Geschichte erzählen lässt.

Dazu ist zunächst wichtig, dass wir ihn von dem folgenden Satz unterscheiden:

Ich will die Geschichte von einem Jungen erzählen, der von seinen Eltern getrennt wird.

Dieser Satz enthält bereits eine Geschichte, aber nicht die, die wir erzählen wollen, sondern die Vorgeschichte dazu. Wir wollen stattdessen vielleicht eine der folgenden Geschichten erzählen:

1. Ich will die Geschichte von einem Jungen erzählen, der sich auf eine gefährliche Reise begibt, um seine Eltern wiederzufinden.

2. Ich will die Geschichte von einem Jungen erzählen, der lernen muss, ohne seine Eltern zu überleben.

3. Ich will die Geschichte von einem Jungen erzählen, der endlich die Chance bekommt, seine Träume zu verwirklichen.

Das sind nur drei der vielen Möglichkeiten, aus der Ausgangslage des Jungen eine Geschichte zu entwickeln. Dabei sehen wir schon, dass diese drei Sätze viel genauer wiedergeben, um was für eine Geschichte es sich handelt.

Mehr noch: Jeder der drei Sätze gibt schon eine ziemlich genaue Richtung vor, wie die jeweilige Geschichte zu erzählen ist.

In jedem steckt einerseits die Hauptfigur, der Junge, und das Ziel, das diese Hauptfigur ansteuert. Damit ist ein roter Faden vorgegeben, nach dem der Autor sich richten kann. Für jede der drei Geschichten muss er die Figur des Jungen anders anlegen, das Setting anpassen, andere Mit- und Gegenspieler entwickeln, den Spannungsbogen anders aufbauen, andere Szenen auswählen usw.

Der Satz in Beispiel 1 verrät uns zum Beispiel schon, dass zwischen dem Jungen und seinen Eltern offenbar eine sehr enge Beziehung besteht, ganz anders in Beispiel 3.

Während in Geschichte 1 offenbar ein revidierbarer Vorfall, also zum Beispiel ein Verbrechen, Auslöser für den Konflikt war, scheint in Geschichte 2 ein Schicksalsschlag eingetroffen zu sein, der dem Jungen keine Aussicht lässt, seine Eltern wiederzufinden.

In Geschichte 1 wird Mut eine wichtige Rolle spielen, in Geschichte 2 der nackte Überlebenskampf, womit bereits eine lebensfeindliche Umgebung als Setting vorprogrammiert ist.

Hat man sich erst einmal einen solchen Satz zurechtgelegt, ist es nicht mehr weit, bis zu einem Arbeitsexposé. Denn jeder dieser Sätze wirft sogleich neue Fragen auf:

Wie endet die Geschichte? Erreicht der Junge sein Ziel? Wer oder was, steht dem im Wege? Ist die Geschichte im Hier und Jetzt denkbar oder braucht sie besondere Umstände, um glaubhaft zu funktionieren? Welchen Zeitpunkt kann ich wählen, um mit der Geschichte zu beginnen? Welche Charaktereigenschaften muss meine Hauptfigur besitzen, um sich dem Konflikt zu stellen? Und wie muss sie beschaffen sein, um ihn am Ende erfolgreich zu bestehen. Oder um zu scheitern? Wie kann ich den Konflikt immer weiter steigern, um einen funktionierenden Spannungsbogen herzustellen? Welche Schlüsselszenen wären dafür die richtigen?

Auf diese Weise leistet man schon einiges an Vorarbeit und entwickelt - in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht - eine Art Arbeitsexposé, an dem man sich bei der weiteren Arbeit orientieren kann.

Angemerkt sei hier noch, dass zumindest die Entwicklung eines solchen Exposés nicht nur für Planer hilfreich ist. Das gilt vor allem für diejenigen, die darauf hoffen, einmal dauerhaft als Autor im Literaturbetrieb anzukommen, bietet es doch die Möglichkeit, sich allein mit einem gut ausgearbeiteten Exposé um einen Platz im Verlagsprogramm zu bewerben und so flexibler und schneller zu reagieren, als wenn man jedes Mal erst ein komplett ausgearbeitetes Manuskript fertigstellen müssen.

6. Auf Du und Du mit den Figuren

Es deutete sich schon an: Ob nun in der Vorausplanung oder im Schreibprozess, der Autor sollte sich bemühen, seine Figuren, vor allem natürlich die Hauptfigur(en), so früh wie möglich umfassend kennenzulernen.

Der Planer wird diese Aufgabe mit ähnlicher Akribie verfolgen wie die Recherchearbeit. Und tatsächlich gilt auch hier: Man sollte praktisch alles über die Figur wissen, um sie glaubhaft handeln zu lassen, also auch das, was man explizit im Roman nie erwähnen wird.

Man könnte hier eine endlose Liste mit Dingen aufführen, über die der Autor Bescheid wissen sollte: Natürlich gehören aller Äußerlichkeiten dazu, der Kleidungsstil, die Hobbys, die Vorlieben, was die Figur gar nicht mag, ihr Lieblingsessen, ihr Beruf, ihre Vergangenheit, ihr Charakter usw.

Aber im Prinzip lassen sich die meisten Fragen in einer einfachen Formel zusammenfassen: Der Autor muss in jeder Situation wissen, wie sich seine Figur verhalten würde und warum sie genau so und nicht anders handeln würde. Und auf diese Weise muss sich ein in sich schlüssiges Gesamtbild der Figur ergeben.

Natürlich wäre es langweilig, würde sich eine Figur immer in der Weise verhalten, wie man es von ihr erwartet, aber ihre Handlungen müssen sich mit dem fiktiven Lebenslauf und dem daraus resultierenden Charakter der Figur in Einklang bringen lassen. Ein Thema, das an anderer Stelle vertieft werden soll.

Der Planer stellt sich dieser Aufgabe mit diversen Hilfsmitteln. Vermutlich am weitesten verbreitet ist das Figurenblatt (Charaktersheet). Es stellt eine Art selbst entwickelte Kartei dar, in die mittels feststehender Vorgaben Aussehen, Eigenschaften, Charakter, soziales Umfeld, Karriere usw. eingetragen werden.

Eine weitere Möglichkeit ist es, für alle wichtigen Figuren einen Lebenslauf anzufertigen, je nach Vorliebe in Stichpunkten oder ausformuliert.

Manche Autoren nehmen ihre Figuren in einem Interview ins Kreuzverhör. Unter welchen Umständen würdest du deinem Partner einen Seitensprung verzeihen? Wie viel Geld müsste man dir bieten, damit du deine Mutter verrätst? Was würdest du mit einem Lottogewinn anfangen? Bist du glücklich in deinem Beruf? Welches Haustier würdest du dir anschaffen? Isst du lieber Schoko- oder Vanilleeis?

Wie auch immer man es anstellt, am Ende sollte man die Figur mindestens so gut kennen wie die engsten Verwandten oder den besten Freund. In den meisten Fällen wird man sich eingestehen müssen, dass man sie am Ende besser kennt, als sich selbst.

Es gibt übrigens durchaus Bauchschreiber, die eine Figur schon früh im fortlaufenden Schreibprozess ebenso gut kennen.

7. Möglichkeiten des Plottens

Plot lässt sich mit der dramatischen Handlung eines literarischen Werkes übersetzen. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine lose Folge von Ereignissen, sondern die kausale Verknüpfung dieser Ereignisse ist entscheidend. Vereinfacht gesagt: Im dramatischen Handlungsverlauf ergibt sich das eine aus dem anderen.

Damit begegnen wir beim sogenannten Plotten auch wieder dem Konflikt, denn der Handlungsverlauf ist aufs Engste mit der Entwicklung des Konflikts verbunden.

Streng genommen entspricht der Handlungsverlauf der Ausgestaltung der Konfliktentwicklung.

W/ptext-align: justify;as sagt uns das? Sowohl, um im Vorhinein zu plotten, als auch, um während des Bauchschreibens einen in sich geschlossenen und logischen Plot aufzubauen, sollte man sich des Hauptkonflikts immer bewusst sein.

Beim Plotten notiert man also die Stationen des Handlungsverlaufs. Wer es kann, darf das gerne auch im Kopf tun.

Auch beim Plotten ist es dem Autor nicht nur überlassen, mit welcher Gründlichkeit er vorgeht, beziehungsweise wie detailreich er vorplottet, sondern auch, die für sich beste Methode zu finden. Ich will hier nur einige Möglichkeiten benennen:

  • Szenenweise wird jede im Roman auftauchende Szene mit einem oder wenigen Sätzen festgehalten. Das entspricht im Prinzip dem Storyboard beim Film.
  • In einem ausführlichen Exposé wird die gesamte Romanhandlung dargelegt. Der Autor schreibt sozusagen seine Geschichte in Kurzfassung vor.
  • Möglich ist auch eine Verbindung aus beidem, indem man Kapitel- oder Szenenexposés schreibt.
  • Die Chronologie bezieht man ein, wenn man einen Zeitstrahl oder eine entsprechende Tabelle anlegt.

Hilfe beim Plotten bieten übrigens verschiedene kostenlose oder kostenpflichtige Computerprogramme, indem sie dem Autor bereits eine passende Arbeitsumgebung für das Plotten und die Figurenentwicklung bieten. Genannt seien hier die kostenlosen Programme yWriter und Storybook sowie die kostenpflichtige Software Storylines (enthalten in der Programmsammlung Writer’s Café) und Papyrus Autor.

Veröffentlicht am 06.07.2010
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